Veranstaltungsprogramm

Eine Übersicht aller Sessions/Sitzungen dieser Veranstaltung.
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Sitzungsübersicht
Datum: Mittwoch, 11.09.2024
12:00 - 12:30Begrüßung & Organisation
Ort: Schloss/Raum 213
Chair der Sitzung: Nele Kuhlmann
Chair der Sitzung: Richard Lischka-Schmidt
Chair der Sitzung: Sven Thiersch
Chair der Sitzung: Eike Wolf
12:30 - 13:30Keynote 1: Brauchen wir eine neue Schultheorie? Zeithistorische Schlaglichter
Ort: Schloss/Raum 213
Chair der Sitzung: Sabine Reh
13:30 - 14:00Kaffeepause
Ort: Schloss/Foyer
14:00 - 16:00Workshop-Session 1: Empirische Re-Fokussierung allgemeindidaktischer Theorien
Ort: Schloss/Raum 215
Chair der Sitzung: Karla Spendrin
Chair der Sitzung: Maria Hallitzky
14:00 - 16:00Workshop-Session 2: Schulkulturtheorie und -analyse. (Schul-)Theoretische Grundlagen und methodologische Bedingungen
Ort: Schloss/Raum 214
Chair der Sitzung: Merle Hummrich
14:00 - 16:00Workshop-Session 3: Rekonstruktive Governanceforschung. Gegenstandkonstitution und schultheoretische Anschlüsse
Ort: Schloss/Raum 211
Chair der Sitzung: Fabian Dietrich
16:00 - 16:30Kaffeepause
Ort: Schloss/Foyer
16:30 - 18:30Panel 1a: Einzelvorträge
Ort: Schloss/Raum 215
Chair der Sitzung: Ingrid Kunze
 

Schule multiperspektivisch analysieren. Theodor Ballaufs Theorie der Schule

Thomas Mikhail1, Jochen Laub2

1Universität Stuttgart, Deutschland; 2RPTU, Deutschland

Theodor Ballauffs umfangreiche historisch-systematisch angelegte Studie zu den „Funktionen der Schule“ von 1984 ist in der Erziehungswissenschaft resp. Schulpädagogik kaum zur Kenntnis genommen worden. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Dabei besticht diese Theorie der Schule durch zwei Auffälligkeiten, die gegenwärtig als Desiderata identifiziert werden können: 1. Mit insgesamt 31 Teilfunktionen bietet sie ein subtiles Raster, um sämtliche Wandlungs-, Reform- und Innovationsprozesse der Institution Schule analysieren zu können, ohne dabei unpräzise Subsumtionen vornehmen zu müssen; 2. Schule wird nicht einseitig, d.h. weder als rein gesellschaftliche noch als genuin pädagogische Einrichtung in den Blick genommen, sondern multiperspektivisch und „in vielem antithetisch“ (S. 6). Somit muss keine Deutungsperspektive vorausgesetzt werden, die zwar vieles sichtbar machen, vieles aber auch verstellen kann.

Der geplante Vortrag kann dem vierten Feld des CfP zugeordnet werden. Zunächst soll Ballauffs Analyseinstrument vorgestellt (1.), dessen analytisches Potenzial in der Gegenüberstellung mit Helmut Fends Schultheorie plausibilisiert (2.) sowie letztlich anhand von drei aktuellen Beispielen für die Untersuchung von Schulwirklichkeit veranschaulicht werden.



Beyond Fend: Erörterungen um Schultheorie heute

Ann-Kathrin Keppke

Humboldt Universität zu Berlin, Deutschland

Durch die Ausdifferenzierung der Forschungsfelder und durch die Verlagerung der erziehungswissenschaftlichen Denkstile von eher geistes- zu vermehrt sozialwissenschaftlichen Ansätzen sind Veröffentlichungen zu Groß- oder Gesamttheorien über Schule rar geworden (Terhart 2017, 39). Die aktuell in erziehungswissenschaftlichen Handbüchern oder Einführungsvorlesungen wohl populärste sowie oft einzige neuere Schultheorie ist die soziologisch begründete „Neue Theorie der Schule” von Helmut Fend (Fend 2006). Aus u.a. sozialisations- und systemtheoretischen, struktur-funktionalistischen und neo-institutionalistischen Sichtweisen nähert sich Fend der Frage danach, welche Aufgaben die Schule zu erfüllen hat. Aber ist diese Analyse der Schule zeitgemäß, und ist sie überhaupt pädagogisch? In diesem Beitrag soll Fends Theorie mit dem Ansatz Jan Masscheleins (Masschelein & Simons 2013) kontrastiert und in Beziehung zu aktuellen Diskursen um Outputorientierung gesetzt werden. Masscheleins Verständnis von Schule speist sich hierbei insbesondere aus Ideen Jacques Rancières. Inwiefern welche Sichtweise in aktuellen Forschungen sowie bildungspolitischen Debatten angewendet werden kann oder soll und welche Implikationen dies für die schulische Praxis bedeuten würde, wird Gegenstand der Erörterungen dieses Beitrags sein, der nach einer aktuellen Theorie der Schule fragt.

 
16:30 - 18:30Panel 1b: Einzelvorträge
Ort: Schloss/Raum 214
Chair der Sitzung: Anna Moldenhauer
 

Leistung in inklusiven Bildungssystemen – Empirische Annäherungen an einen grundlegenden Begriff im Schnittfeld von Unterrichtsforschung und Kindheitsforschung

Simone Seitz, Petra Auer, Alessandra Imperio

Freie Universität Bozen, Italien

Die politischen Debatten zur Grundschulbildung in Deutschland werden derzeit von Programmatiken zur Leistungssteigerung dominiert (u.a. SWK 2023), die vielfach in ein abgrenzendes Verhältnis zu inklusionsbezogenen Anforderungen gesetzt werden (u.a. Kuhl/Solzbacher 2023). Damit unterscheiden sich diese Diskurse erkennbar von denen zur Grundschulbildung in Italien, die Teil eines seit vier Jahrzehnten inklusiv strukturierten Bildungssystems ist und gänzlich notenfrei verläuft (Seitz et al., 2024).

Dies führt zu der Frage nach einem Leistungsbegriff in Relation zu inklusiven Systembedingungen, auf den in Empirie und Konzeptbildung referenziert werden kann, und die daher Gegenstand einer in der Provinz Bozen / Italien realisierten Studie ist (CrisP Children's Perceptions of Performance in Primary Schools). Leistung verstehen wir dabei als Konstrukt, das in sozialen Praktiken - vor allem solcher der Leistungsbewertung - konstruiert wird (Bräu & Fuhrmann, 2015; Seitz, Imperio & Auer, 2023).

Im Vortrag diskutieren wir die mittels narrativer Interviews (n=35; deutsch/italienisch) rekonstruierten Orientierungen von Kindern (Bohnsack 2017) hinsichtlich schulischer Leistung und Leistungsbewertung unter Rückgriff auf die Frage danach, wie sich rekonstruktiv und theoriegenerierend angelegte forschungsmethodische Zugänge zum Forschungsgegenstand Leistung im Schnittfeld von Unterrichts- und Kindheitsforschung innerhalb eines inklusiven Bildungssystems verhalten.



„Sorge“ als Erfahrungsdimension von Schule? Anfragen an die Schultheorie aus der Perspektive von Schüler:innen

Till-Sebastian Idel1, Christina Huf2

1Uni Oldenburg, Deutschland; 2Uni Münster, Deutschland

Reformen wie Ganztag und Inklusion intendieren auch eine Veränderung schulischer Anerkennungsbeziehungen. Schultheoretisch wird dies als funktionale Erweiterung bzw. Entgrenzung und mit Bezug auf die Verhältnisbestimmung von Erziehungs- und Bildungsprozessen diskutiert (Idel, 2013). Der Begriff der Sorge spielt in den schul- und professionstheoretischen Reflexionen dieser Veränderungsprozesse bislang aber keine prominente Rolle (Ausnahmen: Idel & Schütz, 2017, S. 153ff.; Althans et al., 2015; Toppe, 2010; bereits Zinnecker, 1997). Ziel des Vortrags ist es, über das Konzept Sorge im schul- und professionstheoretischen Kontext nachzudenken und Sorgebeziehungen in Schule sicht- und thematisierbar zu machen. Wir beziehen uns dazu empirisch auf längsschnittliche lernbiographische Interviews mit Schüler:innen aus der wissenschaftlichen Begleitung des Schulversuchs PRIMUS (Dogmus et al., 2022), die mit der Grounded Theory Method (Charmaz, 2014) ausgewertet wurden. Dabei wird deutlich, dass Sorge von den Schüler:innen nicht additiv als etwas zur Sprache gebracht wird, das an den Rändern der Schule lokalisiert wird, sondern in deren sogenanntem Kerngeschäft, dem Unterricht und den Sozialbeziehungen zu den Lehrkräften. Bei der Theoretisierung unsere Befunde lassen wir uns von der feministischen Care-Debatte in der internationalen Frühpädagogik inspirieren (Langford, 2019) und versuchen, diese Perspektivenerweiterung für die schulpädagogische Diskussion fruchtbar zu machen.



Relationierung(en) von Eltern und Schule: Anfragen an schultheoretische Verhältnisbestimmungen

Christina Radicke1, Thorsten Schnückel2

1Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland; 2Georg-August-Universität Göttingen, Deutschland

Das Verhältnis von Familie und Schule wird schultheoretisch vor allem in dreierlei Weise gefasst: als Differenz (Helsper 2022, 312), kompensatorische oder komplementäre Beziehung (Thiersch/Silkenbeumer 2022, 576). Empirisch werden u.a. Grenzziehungen zwischen Familie und Schule diskutiert, gesprochen wird von einer „Überanpassung“ der Familie an die Schule (Tyrell 1987, 113), einer ‚Familialisierung der Schule‘, einer Scholarisierung der Familie’ (Fraji/Maschke/Stecher 2015, 178/179, Kessl/Harmann/Lütke-Harmann/Reh 2012, 166) und allgemein von einem spannungsreichen Verhältnis zwischen Familie und Schule (Helsper 2022, 311). Wie aber Familien gegenüber Schule agieren bzw. Familie und Schule sich wechselseitig aufeinander beziehen, wird kaum diskutiert (Thiersch/Silkenbeumer 2022, 589).

Der Beitrag versteht das Verhältnis von Eltern und Schule relational und betrachtet es mehrperspektivisch. Anhand von Interviews mit Eltern bzw. Lehrkräften und von audiografierten Eltern-Schüler*innen-Lehrkräfte-Interaktionen an Elternsprechtagen wird rekonstruiert, wie Eltern und Lehrkräfte welches Verhältnis von Familie und Schule performativ hervorbringen. Deutlich wird ein wechselseitiges Verhältnis der De/Legitimierung schulpädagogischen Handelns. Der Beitrag plädiert mit daraus resultierenden, thesenhaften Anfragen an die bisherigen schultheoretischen Verhältnisbestimmungen von Familie und Schule für eine empirische Neuausrichtung ihrer schultheoretischen Reflexion.

 
16:30 - 18:30Panel 1c: Refokussierung auf Nützlichkeit? Zur Frage didaktischer Anschlüsse an rekonstruktive Unterrichtsforschung
Ort: Schloss/Raum 211
Chair der Sitzung: Daniel Goldmann
Arbeitsgruppe
 

Refokussierung auf Nützlichkeit? Zur Frage didaktischer Anschlüsse an rekonstruktive Unterrichtsforschung

Chair(s): Daniel Goldmann (Universität Tübingen, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Matthias Proske (Universität zu Köln), Ewald Terhart (Universität Münster)

In den letzten 20 Jahren sind zahlreiche Unterrichtstheorien ausgearbeitet und auf Basis von qualitativ-rekonstruktiver Unterrichtsforschung weiterentwickelt worden (vgl. Meseth et al., 2011). Viele einzelne Theorien wie auch der unterrichtstheoretische Diskurs insgesamt können inzwischen eine gewisse Konsolidierung für sich beanspruchen (vgl. Asbrand/Martens 2018; Proske/Rabenstein 2018). Dagegen ist der Diskurs der Allgemeinen Didaktik – ungeachtet „trotzig[er]“ (Rothland, 2013, S. 629) Gegenbehauptungen – in diesem Zeitraum zu einem weitgehenden Stillstand gekommen.

Die rekonstruktive Unterrichtsforschung kann dabei als ‚verwissenschaftlichter Nachfolger‘ der Allgemeinen Didaktik verstanden werden, deren Fokussierung auf praxisseitiger Nützlichkeit bzw. Verwertbarkeit bei der ‚Ablösung‘ weitgehend ausgeschlossen wurde. Es ist zwar in seltenen Einzelfällen der Anspruch formuliert worden, aus der rekonstruktiven Unterrichtsforschung eine „schultheoretisch reflektierte ‚empirische Didaktik‘“ (Kolbe et al., 2008, S. 126) zu motivieren. Anschlussfähige Impulse in Form einer solchen eigenständigen Didaktik oder über einen produktiven Austausch zwischen rekonstruktiver Unterrichtsforschung und Allgemeiner Didaktik sind bisher nicht erkennbar. Denn die Didaktik neigt dazu, in den Verhältnisbestimmungen zur empirischen Unterrichtsforschung „umstandslos [und zum Teil …] unbemerkt“ (Breidenstein, 2009, S. 202) empirische Unterrichtsforschung mit pädagogisch-psychologischer Lehr-Lern-Forschung gleichzusetzen und damit das Feld der rekonstruktiven Unterrichtsforschung gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Und die Seite der rekonstruktiven Unterrichtsforschung enthält sich entweder ebenso gänzlich einer Relationierung ihrer Forschung zu didaktischen Fragen oder sieht sich ausschließlich in der Rolle der desillusionierenden „Überbringerin schlechter Nachrichten“ (Flitner, 1991, S. 95), indem „das befremdende Potenzial [… gegenüber den …] programmatischen Überzeugungen“ (Breidenstein & Tyagunova, 2020, S. 199f) zur Aufklärung über (fach-)didaktische Simplifizierungen genutzt wird.

Zum einen verkennt dies jedoch, dass Simplifizierungen genau die notwendige entscheidungstheoretische Leistung der Didaktik zur Herstellung von praxisseitiger Nützlichkeit sind (vgl. Luhmann 1999). Zum anderen argumentiert der Impulsvortrag, dass die verstehensorientierte Form, mehr theoretisches Wissen zu generieren, ohne dass praktisch-nützliche Anschlüsse entstehen, der Aufgabe der Erziehungswissenschaft als „widerstreitende[r] Einheit von normativ-pädagogischer Reflexionstheorie und analytisch-deskriptiver Wissenschaft“ (vgl. Meseth 2011, S. 13) zuwiderläuft und in einen Bedeutungsverlusts in Bezug auf Stellen, Forschungsgelder und öffentliche Diskurse mündet bzw. darüber empirisch beobachtbar wird.

Für eine solche Übersetzung wird zum einen mithilfe der systemtheoretischen Unterscheidung von Sozial- und Entscheidungstheorien (Luhmann 1999) und der Differenzierung unterschiedlicher Lösungen des Theorie-Praxis-Problems (Radtke 2004) ein theoretischer Rahmen entworfen, der Bemühungen zur Herstellung von Nützlichkeit rekonstruktiver Unterrichtsforschung Begrifflichkeiten und Konzepte zur Verfügung stellt. Darüber hinaus wird mit dem Entwurf einer postheroischen Didaktik ein Ansatz in Grundzügen vorgestellt, der beansprucht, komplexer an aktuelle Unterrichtstheorie anzuschließen. Konkret versucht der Ansatz, Didaktik nicht vom didaktischen Dreieck und damit von der ausschließlich „dyadische[n] Beziehung von Lehrer und [dem einzelnen, DG] Schüler“ (Herzog 2002, S. 393) aus zu denken, sondern die Schulklasse als eigenlogische Entität zum konstitutiven Ausgangspunkt didaktischer Überlegungen zu machen. So sieht diese Perspektive in der Anwesenheit einer Vielzahl von Lerner*innen anstelle eines Nachteils ein spezifisches Lernpotenzial – die Anwesenheit von einer Vielzahl von Anders-/Falsch-Verstehen –, das im Besonderen dann gehoben werden kann, wenn unter den Schüler*innen ein Diskurs um das richtige Verstehen der Sache initiiert wird. Diese diskursiven Aushandlungen erhöhen über die eigenlogische Dynamik der interaktiven Aushandlung und die komplexere Kopplung an das Lernen der Schüler*innen – so die zentrale Annahme – die Adaptivität, Inklusion und damit die Wahrscheinlichkeit auf Lernen im Vergleich zu lehrergesteuerten Formen (vgl. Goldmann 2023, i.E.). An diesem Beispiel kann die Relationierung von Unterrichtstheorie bzw. -forschung und Allgemeiner Didaktik verdeutlicht und diskutiert werden.

Diese Überlegungen sollen im Anschluss an den Impulsvortrag (Daniel Goldmann) über Kommentierungen von Seiten einer rekonstruktiven Unterrichtsforschung (Matthias Proske, zugesagt) und einer nützlichkeitsorientierten Schulpädagogik (Ewald Terhart, zugesagt) ausführlich kritisch kommentiert werden, um so eine gemeinsame Diskussion um die Frage der (Re-)Fokussierung auf Nützlichkeit im Plenum anzubahnen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Refokussierung auf Nützlichkeit? Zur Frage didaktischer Anschlüsse an rekonstruktive Unterrichtsforschung

Daniel Goldmann
Universität Tübingen, Deutschland

 
Datum: Donnerstag, 12.09.2024
9:00 - 10:00Keynote 2: Fragmente einer Praxis didaktischer Unterrichtsforschung: Überlagerungen theoretischer und empirischer Bezüge auf schulischen Unterricht
Ort: Schloss/Raum 213
Chair der Sitzung: Christian Herfter
10:00 - 10:30Kaffeepause
Ort: Schloss/Foyer
10:30 - 12:30Panel 2a: Bezugsprobleme des Schulischen - Neue Kombinationen von schul- und sozialtheoretischen Perspektiven am Beispiel des Sportunterrichts
Ort: Schloss/Raum 215
Chair der Sitzung: Maike Lambrecht
Arbeitsgruppe
 

Bezugsprobleme des Schulischen – Neue Kombinationen von schul- und sozialtheoretischen Perspektiven am Beispiel des Sportunterrichts

Chair(s): Maike Lambrecht (Universität Bielefeld, Deutschland)

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich nicht nur unterschiedliche theoretische und empirische bzw. methodologische Perspektiven auf Schule und Unterricht herausgebildet, sondern auch voneinander abgegrenzt und dadurch den zu beforschenden Gegenstand different konstituiert (Hummrich & Kramer 2011, Böhme 2016). Nichtsdestotrotz bleibt gerade der Gegenstand „des Schulischen“ empirisch häufig leer (Bender, Dietrich & Silkenbeumer 2021). Vor diesem Hintergrund soll in der Arbeitsgruppe danach gefragt werden, welche Potenziale in neueren schul- und sozialtheoretisch kombinierten Perspektivierungen zur Verfügung stehen, so dass sowohl das Schulische selbst, als auch gängige Muster der (erziehungswissenschaftlichen) Schulkritik sowie (gesellschaftliche) Erwartungen an das Schulische transparenter hervortreten. Dazu werden in den drei Beiträ-gen der Arbeitsgruppe schul- und unterrichtstheoretische mit neo-institutionalistischen, kontexturanalytischen und hegemonietheoretischen Ansätzen verknüpft. Diese Ansätze ermöglichen es, das Schulische anhand von konstitutiven Bezugsproblemen des Schulischen – Leistung, Teilhabe und Autonomie – zu verhandeln. Die Explikationskraft und theoretische Tragfähigkeit der gewählten Ansätze für das Schulische werden dabei an einem gemeinsamen empirischen Datum aus dem Sportunterricht erkundet, also eines Fachunterrichts, der in besonderer Weise für Veränderungen von diskursiven (Wissens-)Praktiken (Reh 2017) steht und aufgrund der Verschränkung von schulischen und außerschulischen Logiken als Grenzfall des Schulischen gelten kann (Breidenstein 2006). An diesem Beispiel werden die skizzierten Bezugsprobleme des Schulischen exemplarisch entfaltet und wie folgt analysiert.

1. Spielstunden – Neo-Institutionalistische Perspektiven auf differente Leistungsordnungen im Sportunterricht (Maike Lambrecht, Bielefeld)

Leistung ist konstitutiv für das Schulische (Parsons 1968); gleichzeitig erfährt die Kritik am Leistungsprinzip im Zuge schulischer Inklusion neuen Aufschwung (Lütje-Klose et al. 2017) und es werden Möglichkeiten alternativer Leistungsbewertung eruiert (Beutel & Pant 2020). Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag die Verhandlung schulischer und außerschulischer Leistungsordnungen, die im Sportunterricht aufeinandertreffen, und arbeitet deren jeweilige Spezifik heraus. Dazu wird auf neo-institutionalistische Ansätze (Koch & Schemmann 2009) zurückgegriffen, die den Doppelcharakter von Schule als Organisation und Institution reflektieren (Göhlich 2014). Anhand der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion des empirischen Materials wird diskutiert, inwiefern sich das Schulische durch einen im Vergleich zur gesellschaftlichen Umwelt gesteigerten Leistungsanspruch (Wernet 2003) auszeichnet.

2. Teilnahme als Bezugsproblem. Unterrichtliche Bearbeitung struktureller Spannung aus einer kontexturanalytischen Perspektive (Nora Katenbrink, Bielefeld)

Aus schultheoretischer Perspektive ist für Schule die Schulpflicht konstitutiv, sodass auch die Teilnahme am Unterricht nicht freigestellt ist (vgl. Diederich & Tenorth 1997). In didaktischer Perspektive wiederum ist Unterricht i.S. eines Lehr-Lerngeschehens ohne aktive Mitwirkung von Lehrkraft und Schüler*innen nicht möglich, wobei dieses Mitwirken über ein Anwesendsein hinaus geht und Fragen nach unterrichtlicher Teilnahme im Kontext von engagierter Teilhabe verhandelt werden (Klingberg 1990). Der Beitrag lotet mit Blick auf das empirische Datum aus, wie aus einer kontexturanalytischen Perspektive (Janssen & Vogd 2022) an die entworfene Spannung angeschlossen und diese bearbeitet wird. Herausgearbeitet wird, dass eine professionelle Praxis, die aus einer fachdidaktischen Perspektive unerwünscht erscheint, mit Blick auf ihren strukturellen Kontext eine mehrdimensionale Funktionalität entwickelt.

3. Pädagogisches Handeln in kontingenten aber relativ stabilen Ordnungen. Struktur- und hegemonietheoretische Pfade in der Schul- und Unterrichtstheorie (Saskia Bender, Bielefeld)

Die Verortung der Spannungen zwischen Handlung und Struktur stützt und perpetuiert implizit jene antinomischen (Helsper u.a. 2001) Figuren zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, Nähe und Distanz etc. Theoretische und methodologische Zugänge scheinen zudem in besonderer Weise akzeptiert zu werden, wenn es ihnen gelingt, das jeweils Andere nicht zu übergehen. Struktur- und hegemonietheoretische Perspektiven auf Schule und Unterricht sollen in diesem Beitrag als Annäherungen vorgestellt werden, die diese Spannung aufgeben, indem sie von zwar kontingenten, also gestaltbaren, aber relativ stabilen sozialen Ordnungen ausgehen. So wäre eine „Hegemonie, die Autonomie bedrohen würde, ein schlecht gestelltes Problem“ (Laclau & Mouffe 2020, 179). Der Beitrag fragt, was dies für das Verhältnis von Schule und Gesellschaft und darin eingelagerte pädagogische Subjektivierungen bedeutet und welche Geschehnisse darüber empirisch sichtbar und theoretisierbar werden.

 

Beiträge des Symposiums

 

Spielstunden – Neo-Institutionalistische Perspektiven auf differente Leistungsordnungen im Sportunterricht

Maike Lambrecht
Universität Bielefeld

 

Teilnahme als Bezugsproblem. Unterrichtliche Bearbeitung struktureller Spannung aus einer kontexturanalytischen Perspektive

Nora Katenbrink
Universität Bielefeld

 

Pädagogisches Handeln in kontingenten aber relativ stabilen Ordnungen. Struktur- und hegemonietheoretische Pfade in der Schul- und Unterrichtstheorie

Saskia Bender
Universität Bielefeld

 
10:30 - 12:30Panel 2b: Zu (Neu-)Justierungen von Grenzziehungen zwischen Schule, Unterricht und ,einem Außen’ in praxistheoretischer Perspektivierung
Ort: Schloss/Raum 214
Chair der Sitzung: Anna Moldenhauer
Chair der Sitzung: Kerstin Rabenstein
Arbeitsgruppe
 

Zu (Neu-)Justierungen von Grenzziehungen zwischen Schule, Unterricht und ‚einem Außen‘ in praxistheoretischer Perspektivierung

Chair(s): Anna Moldenhauer (Universität Bremen, Deutschland), Kerstin Rabenstein (Universität Göttingen)

Für die praxistheoretische Forschung spielt die Frage, wie Unterricht und Schule als komplexe Gefüge von Praktiken gefasst und forschungspraktisch in den Blick genommen werden können, derzeit eine zentrale Rolle. Die Grenzziehung in der Bestimmung von Unterricht (bzw. Schule) als ein in situ zu beobachtendes soziales Geschehen sui generis im Unterschied zu seinem ‚Außen’ hat sich für die qualitative Unterrichts- (und analog die Schul-)forschung in den letzten 20 Jahren zwar als äußerst produktiv erwiesen. Aus praxistheoretischer Perspektive ist sie jedoch als eine der Forschung vorangestellte Setzung in Frage zu stellen.

Ansätze einer transsituativen Unterrichtsforschung, in welcher Unterricht in der zeitlichen Perspektive als ein sich über Situationen im, vor und nach dem Unterricht hinweg erstreckendes soziales Geschehen verstanden wird, liegen vor (vgl. z. B. Lange & Wiesemann 2019; Röhl 2015). Weitere Studien suchen, der Komplexität von Schule gerecht zu werden, indem sie u. a. Verknüpfungen und Interferenzen stärker berücksichtigen (vgl. z. B. Kelle 2015). Die theoretischen und methodologischen Möglichkeiten praxistheoretischer Forschung scheinen uns damit jedoch noch nicht ausgeschöpft. Vielmehr geben sich derzeit entwickelnde Fragestellungen zu Transformationen von Unterricht und Schule Anlass, über eine Dezentrierung des Unterrichtsbegriffs der Unterrichtsforschung ebenso wie über eine Öffnung der theoretischen Perspektiven auf Schule und ihre möglichen Grenzen (neu) nachzudenken und die Herausforderungen zu reflektieren, die sich aus dem Einbezug weiterer Akteure und Schauplätze in die ethnografische Forschung ergeben.

In der Arbeitsgruppe sollen ausgehend von einem für alle vier Beiträge geltenden Problemaufriss theoretisch-empirische Skizzen aus vier Projekten diskutiert werden, welche die aufgerufene Frage auf verschiedene Weise beantworten. Mit den Beiträgen der AG soll übergreifend das Potential von (Neu-)Justierungen von Grenzziehungen zwischen Schule, Unterricht und ‚einem Außen‘ für die Theoriebildung in der Unterrichts- und Schulforschung diskutiert werden.

In Beitrag 1 knüpfen die Autor:innen an Schatzkis Ausführungen zur Praxistheorie als flacher Ontologie (Schatzki 2016) und einem Verständnis von Schule als Konstellation von Praktiken an, um den komplexen Relationierungen von Schule, Unterricht und Bildungsadministration nachzugehen, die in der Arbeit mit einem an Partizipation orientierten Schulentwicklungsinstrument hervorgebracht werden. Die Metapher der Interferenz bzw. eine Idee „interferierender Praktiken“ (Breidenstein 2021, 934) dient als Bezugspunkt für die Analyse ethnographischer Beobachtungen von Schulentwicklungsgesprächen aus einem Forschungsprojekt zu ‚Aushandlungen von Schulqualität‘. Im Vortrag werden Analyseergebnisse präsentiert und hinsichtlich ihrer schultheoretischen Implikationen diskutiert.

In Beitrag 2 fragen die Autor:innen, welche Neujustierungen am Begriff Unterricht notwendig sind, um den digitalitätsvermittelten Transformationen von Unterricht theoretisch wie empirisch gerecht zu werden. Bildungsmedien und digitale Anwendungen/Geräte sind in Schule und Unterricht nicht nur präsent, sie nehmen auch Einfluss auf Vorstellungen, wie Unterricht zu machen ist. Um Konstellationen und Zusammenspiel von auf Unterricht bezogenen Praktiken vor, nach und neben dem Unterricht mit Praktiken im Unterricht untersuchbar zu machen, schärft der Vortrag Eckpunkte einer Methodologie der Relationierung. Angeschlossen wird an den Begriff von Praktiken als „normativer Verweisungszusammenhang“ (Wagenknecht 2020), dessen analytische Produktivität an Beobachtungs- und Interviewdaten gezeigt werden soll.

Die Autor:innen des Beitrags 3 knüpfen an die in Beitrag 2 aufgegriffene normative Konzeption von Praktiken an (Rouse 2007) und entwerfen Unterricht als ein spezifisches, historisch gewordenes, situiert vollzogenes Ver-Antwortungsgeschehen. So wird zum einen argumentiert, dass Praktiken durch den sequenziellen Vollzug von Performances entstehen, die sich (potenziell) als ‚richtige‘ Anschlüsse ver-antworten müssen. Zum anderen wird – auch im Anschluss an Schatzkis (2016) Konzept der Teleoaffektivität – diskutiert, was im Unterricht als „common stake“ (Rouse 2007, 53) für die Teilnehmenden auf dem Spiel steht.

In Beitrag 4 wird explorativ an Material aus einem Forschungsprojekt zur Schulklasse die These entfaltet, dass neue Wege der Schulforschung darin liegen könnten, die eingewöhnten Grenzziehungen und insofern die Gegenüberstellung zwischen forschender und beforschter Praxis infragezustellen. Im Anschluss an Barads (2007) agentiellen Realismus und Latours (2004) Verständnisses eines Lernens, affiziert zu werden wird die Möglichkeit eines affektiv involvierten Forschens exploriert, innerhalb dessen Forschende und ihre Gegenstände in spezifischer Relationierung zueinander gedacht und insofern nicht nur als abhängig voneinander, sondern als sich gegenseitig herstellend verstanden werden.

 

Beiträge des Symposiums

 

Interferenzen in der Verhandlung von Schule und Qualität

Anna Moldenhauer, Matthias Olk, Sven Pauling
Universität Bremen

 

Unterricht über Unterricht hinaus erforschen. Zu einer Methodologie der Relationierung

Matthias Proske1, Kerstin Rabenstein2, Anne Zimmer1
1Universität zu Köln, 2Universität Göttingen

 

Unterricht als Ver-Antwortungsgeschehen. Zur Normativität von Praktiken

Nele Kuhlmann, Kai Wortmann
Universität Jena

 

Involviert forschen? Affekte und die Verschiebung von Grenzen in der Schulforschung

Lars Wicke
Universität Göttingen

 
10:30 - 12:30Panel 2c: (Re)Konstruktionen von Fachlichkeit als Wissenspraxis – Empirische Sondierungen und theoretische Perspektivierungen
Ort: Schloss/Raum 211
Chair der Sitzung: Christopher Hempel
Arbeitsgruppe
 

(Re)Konstruktionen von Fachlichkeit als Wissenspraxis – Empirische Sondierungen und theoretische Perspektivierungen

Chair(s): Christopher Hempel (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Christian herfter (Universität Leipzig)

Unterrichtsfächer strukturieren – anhaltender Kritik und gegenläufiger Tendenzen zum Trotz (Reh & Caruso 2020) – den schulischen Alltag. Der mit ihnen verbundene Anspruch an Fachlichkeit gilt als zentrale Dimension von Unterricht (Martens et al. 2022), Medium für Bildungsprozesse (Schneuwly 2018) und Kern der Professionalität von Lehrkräften (Hericks et al. 2020). In den letzten Jahren ist eine verstärkte, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Fachlichkeit zu beobachten (Martens et al. 2018; Heer & Heinen 2019), die darin als relationales und mehrperspektivisches Konstrukt erscheint, das in der Schul- und Unterrichtsforschung unterschiedlich bestimmt wird und immer wieder neu zu bestimmen ist. Die eingereichte Arbeitsgruppe setzt hier an. Die Beiträge fokussieren (Re)Konstruktionen von Fachlichkeiten, die als abgrenzbare und wiedererkennbare Modi der (fach)unterrichtlichen Sachkonstitution in Praktiken der Wissensaneignung bzw. -vermittlung verstanden werden (Reh 2018). Fachlichkeiten verweisen dabei auf Referenzen, die außerhalb der Unterrichtspraxis selbst liegen, integriert und mit anderen Ansprüchen vermittelt werden müssen. Es werden Felder der Unterrichtsforschung in den Blick genommen, in denen die Rolle des Fachlichen uneindeutig scheint, programmatisch relativiert oder empirisch herausgefordert wird.

Beitrag 1: Fachlichkeit als Wissenspraxis: Empirische und theoretische Analysen zur Mehrdimensionalität des Unterrichts (Matthias Martens)

In einer engen Definition ist Unterricht als dreistelliges Interaktionsgeschehen dadurch konstituiert, dass jemand jemanden über etwas unterrichtet – dies macht Fachlichkeit zu einer zentralen Dimension von Unterricht (Gruschka 2017; Martens et al. 2018). Auf der Basis beispielhafter Rekonstruktionen von Unterrichtsvideografien entwickelt der Beitrag eine Theoretisierung von Fachlichkeit als unterrichtlicher Wissenspraxis, in der fachliche Normen und Anforderungen mit expliziten und impliziten fachlichen Wissensbeständen und Routinen vorn Lehrpersonen und Schüler:innen relationiert werden. Das fallvergleichende Vorgehen ermöglicht, fachliche Wissenspraxen im Kontext anderer Dimensionen des Unterrichts (etwa Lehr-/Lernkulturen, Peerkulturen, Herkunftskulturen der Akteur:innen) zu beleuchten und Differenz- oder Konfliktverhältnisse zwischen den Dimensionen sichtbar zu machen (Vogd 2011).

Beitrag 2: Konstruktion und Rekonstruktion von Sachen im Sachunterricht

(Marina Bonanati)

Die Sachen des Sachunterricht bilden mit ihren inter- und transdisziplinären Bezügen einen weiten Gegenstandsbereich des Faches. Eine zentrale Denkfigur ist es, die Gegenstände in einer Trias aus Kind, Sache und Welt zu konstituieren (u.a. Pech 2009). Die Orientierung an Lebenswelt und Vielperspektivität bilden dabei nicht nur ein didaktisches Prinzip, sondern modellieren die Fachlichkeit des Sachunterrichts mit. Die Ebene der Interaktion und die Bedeutung von Aushandlungen im Unterricht sind in diesen Modellierungen nicht enthalten. Im Vortrag frage ich nach der situativen und interaktiven Verfasstheit von Fachlichkeit im Sachunterricht und verstehe die Gegenstände des Unterrichts als interaktiv konstruiert (u. a. Bennewitz 2021). Exemplarisch erfolgt die Rekonstruktion der Gegenstände anhand einer Szene aus dem Sachunterricht, die im Rahmen des Projekts FASAN (Fachlichkeit im Sachunterricht in der Inklusion, Skorsetz et al. 2021) videographiert wurde. Zu diskutieren ist, inwiefern die rekonstruierten Praktiken als spezifisch sachunterrichtliche Praktiken und Gegenstände beschrieben werden können.

Beitrag 3: Jenseits des Fachprinzips? Anspruch und praktische Logik fächerübergreifenden Unterrichts (Christopher Hempel)

Konzepte fächerübergreifenden Unterrichts grenzen sich von der mit Schulfachlichkeiten verbundenen, teils impliziten und einseitigen fachlichen Perspektivierung ab und werden als komplementäre Lerngelegenheiten in Stellung gebracht, die in Auseinandersetzung mit komplexen Themen auf Mehrperspektivität und Vernetzung zielen (Klafki 1998; Labudde 2006). Didaktisch werden fachliche Perspektiven damit nicht irrelevant, sondern zum Instrument integrativer Themenbearbeitung und zum expliziten Gegenstand von Reflexion (Hempel 2020). Insbesondere die enge Verknüpfung zum Projektunterricht scheint diesen Anspruch aber praktisch zu unterlaufen, indem Handlungs- und Produktorientierung fachliche Auseinandersetzungen mit der Sache des Unterrichts überformen (Bastian & Combe 2002). Der Beitrag sondiert mit didaktischem und empirischem Interesse den Ort der Fachlichkeit in fächerübergreifend angelegten Unterrichtssettings. Sie wird dabei als konstitutive und zugleich ‚bedrohte‘ Dimension diskutiert.

Diskussion der Beiträge (Christian Herfter)

Mit Blick auf die drei Vorträge werden einige übergreifende Thesen zum Thema der Arbeitsgruppe formuliert und zur Diskussion gestellt

 

Beiträge des Symposiums

 

Fachlichkeit als Wissenspraxis: Empirische und theoretische Analysen zur Mehrdimensionalität des Unterrichts

Matthias Martens
Universität zu Köln

 

Konstruktion und Rekonstruktion von Sachen im Sachunterricht

Marina Bonanati
Goethe-Universität Frankfurt a.M.

 

Jenseits des Fachprinzips? Anspruch und praktische Logik fächerübergreifenden Unterrichts

Christopher Hempel
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

 
12:30 - 13:30Mittagspause
13:30 - 15:30Panel 3a: Einzelvorträge
Ort: Schloss/Raum 215
Chair der Sitzung: Daniel Goldmann
 

Die Schultheorien der 1970er-Jahre und ihr Beitrag zur theoretischen Fundierung von Bildungsreformen

Lucien Criblez

Universität Zürich, Schweiz

Darüber, was unter Schulpädagogik zu verstehen sei, gebe es keinen Konsens. Immerhin seien drei Grundfragen zu identifizieren, mit denen sie sich befasse: «eine didaktische, eine lehrplantheoretische und eine schultheoretische» (Benner, 1977, S. 88). Diese Unterscheidung impliziert auch eine Differenzierung der theoretischen Bezüge: zu Handlungstheorien, zu wissens- und/oder organisationssoziologischen Theorien bzw. zu institutionalistischen Theorien (Criblez, 2017).

Vor diesem Hintergrund bezieht sich der vorgeschlagene Beitrag vorwiegend auf Schultheorie unter einer institutionellen bzw. institutionentheoretische Perspektive, auch wenn in der Literatur solche Differenzierungen nur teilweise vorgenommen wurden. Auch ist ein so eingeschränkter Gegenstandsbereich nicht erst in den 1970er-Jahren und nicht nur unter den Stichworten «Schultheorie» oder – häufiger – «Theorie der Schule» diskutiert worden, sondern auch etwa unter «Pädagogische Soziologie» «Soziologische Pädagogik», «Soziologie der Schule» oder «Schule als Institution».

Der geplante Beitrag rekonstruiert auf der Grundlage einer Publikationsanalyse (systematische Bücher- und Zeitschriftenanalyse einschlägiger Titel) die Entwicklung der «Schultheorien» mit Fokus auf den 1970erJahren und plausibilisiert die These, dass sich die neuen Aufmerksamkeiten für die Schultheorie in den 1970er-Jahren insbesondere durch die Schulreformen seit den 1960er-Jahren und deren Krise ab Mitte der 1970er-Jahre erklären lassen.



Bildnerisches Verhalten – Fähigkeitsordnungen – Konstruktionen von Be_hinderung. Zur Wechselwirkung von Kunsterziehung und schulischer Exklusionspolitik

Alexander Henschel, Michaela Kaiser

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich in Westeuropa Wissenschaftler:innen für Zeichnungen von Kindern zu interessieren und verglichen diese mit anderen als ,primitiv‘ markierten bildnerischen Werken: mit Zeichnungen von Gefangenen, Psychiatrieinsassen und den kolonialen ,Anderen‘. Daraus abgeleitete Entwicklungstheorien bildnerischen Verhaltens formierten das kunstpädagogische Feld in Deutschland nachhaltig.

Anhand einer historischen Studie zur Funktion der Kunsterziehung in der deutschen Sonderschule (Henschel 2024) wird aufgezeigt, wie solche Entwicklungstheorien bis in die BRD hinein normalisierende Fähigkeitsordnungen über den Kunstunterricht hinaus herstellten, schulische Exklusionspolitik mitbestimmten und mitwirkten an der Konstruktion der Be_hinderung.

Die Ergebnisse werden in Beziehung gesetzt zu einer Analyse entwicklungspsychologischer Literatur zum Schuleintritt und Anfangsunterricht in der Grundschule, mit welcher die historisch gewachsenen normalisierenden Fähigkeitsordnungen im Hinblick auf die Herstellung und Verhandlung des ‚abweichenden‘ Kindes nachgezeichnet werden (Kaiser & Horst i.A.).

Es wird in der Zusammenschau der beiden Studien aufgezeigt, wie Erwartungen an den bildnerischen Ausdruck von Kindern historisch generiert, überliefert und in ihrer Hierarchisierung bis heute wirksam sind, jedoch im Impliziten verbleiben. Die Formation des Diskurses ist insofern nach wie vor an der Herstellung des ‚normalen‘ und des ‚abweichenden‘ Kindes beteiligt.



Theoretisierung von 'Schule' in governanceanalytischen Zugängen

Katharina Nesseler

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland

Ausgangspunkt des Vortrags ist die Beobachtung, dass governanceanalytische Zugänge Schulsystem und Schule zwar in den Mittelpunkt Ihrer Forschung stellen, aber eine explizite Ausweisung schultheoretischer Fassung nicht erkennbar ist. Diese Ungeklärtheit der Fassung des Schulischen in der Governanceforschung wird problematisiert, wenn daraus Handlungsableitungen für Reformprozesse vollzogen werden. Auch reklamieren diese Zugänge beispielweise normative Konzepte der Bildungssteuerung mit den empirisch erfassten Wirkungen konfrontieren zu wollen, um veränderte Umsetzungen zu erzielen (Maag Merki und Altrichter 2015).

In Mittelpunkt dieses Beitrag wird das Herausarbeiten der theoretischen Bezüge, was unter ,Schuleʻ in governanceanalytischen Zugängen verstanden wird, stehen. Dafür werden aus zwei zentralen Beschreibungen zur Educational Governanceforschung – Maag Merki, Langer und Altrichter 2014 und Kussau & Brüsemeister 2007 – herausgearbeitet, welche Modellierungen und Theoretisierung des Schulischen vorliegen. Dem wird eine schultheoretische Fassung von Fend (2006) gegengehalten. Mit diesem einfach komparativen Zugang will der Beitrag zur Diskussion über die Fassung des Schulischen in der Educational Governanceforschung anregen.

 
13:30 - 15:30Panel 3c: Einzelvorträge
Ort: Schloss/Raum 211
Chair der Sitzung: Matthias Proske
 

Was macht ein Hund im/ mit Unterricht? Empirische Rekonstruktionen

Marion Pollmanns

Europa-Universität Flensburg, Deutschland

Werden – als Spielart „tiergestützter Pädagogik“ – Hunde in den Unterricht geholt, erscheint aus schulpädagogischer Sicht aufklärungsbedürftig, inwiefern er sich dadurch verändert, sofern sie nicht bloß als Unterrichtsgegenstand fungieren. Jüngste Analysen entsprechender Ansätze zeigen, dass sie sich auf psychologische oder physiologische Konzepte, nicht aber auf pädagogische Theorien stützen (Pollmanns & Kabel 2023, bes. S. 23ff.); sie werden daher weder der pädagogischen Gestalt eines Unterrichts mit Hund, noch potentiellen Verschiebungen gerecht, die sich in der Konstellation „Schüler – Lehrer – Gegenstand“ durch den zusätzlichen Pol „Schulhund“ ergeben. Um diese Praxis in ihrer schulpädagogischen Qualität und ihre unterrichtstheoretischen Implikationen zu verstehen, soll sie rekonstruktiv erschlossen werden.

Zu vermuten ist, dass sog. hundegestützter Unterricht, der bis jetzt weder erziehungswissenschaftlich noch schulpädagogisch hinreichend analysiert wurde, eine weitere Ausprägung von Entscholarisierung (Fölling-Albers 2000) oder Informalisierung (Reh 2012) des Unterrichts darstellt. Ob sich Dezentrierungen unterrichtlicher Interaktion etwa im Sinne einer Partnerschaft mit dem Hund (Haraway 2003) zeigen, ist zu prüfen; denkbar ist auch, dass der Hund als Stabilisator des unterrichtlichen Gefüges wirkt und weder einen Wandel von Unterricht mit sich bringt, noch sein Einbezug diese schulische Praxis transzendiert.



Unterricht in einer Kultur der Digitalität: praxistheoretische Überlegungen zu Unterricht als Teil mediatisierter Lernkultur

Isabel Neto Carvalho, Mandy Schiefner-Rohs

RPTU Kaiserslautern-Landau, Deutschland

Digitalisierung verändert schulische Lehr-Lernsettings (Kuttner/Münte-Goussar 2022). Während in Diskursen der Unterrichts-Optimierung die Forderung nach einer «neuen Lernkultur» (Eickelmann et al. 2019) laut wird, die aber unbestimmt bleibt, weisen praxeologisch-kulturtheoretisch orientierte Unterrichtsdiskurse (Proske & Rabenstein 2018) dagegen «ein großes Desiderat rund um die analytische Erarbeitung von Lernkulturen im Zusammenhang mit digitalen Medien» (Koller 2019:51; auch Proske et al. 2023) auf. Es erscheint notwendig, Unterrichtstheorien um einen Lernkulturbegriff zu erweitern, der ausgehend von medienbasierten pädagogischen Praktiken als verwobenes Zusammenspiel von Lehrenden, Lernenden und Dingen (vgl. Allert/Richter 2017) operiert. Digitale Medien sind keine «neutralen» Objekte, vielmehr sind ihnen Logiken und Offerten eingeschrieben, die aktiv (und unvorhersehbar) in Praktiken eingreifen.

Vor dem Hintergrund einer medienpädagogisch erweiterten Lernkulturtheorie (vgl. Kolbe et al. 2008), die Lernende als sich in pädagogischen Praktiken sprachlich-körperlich Zeigende in einer Kultur der Digitalität (Stalder 2016) versteht, die durch das Zeigen der Dinge und deren Re-Adressierung subjektiviert werden, wirft der Vortrag ethnographisch Schlaglichter auf solche Praktiken. Theoretisch fassbar und empirisch beobachtbar werden Akteure, die (obwohl nicht menschlich) in mediatisierten Lernkulturen wirksam werden und neue Beziehungen mit anderen beteiligten Akteuren eingehen.

 
15:30 - 16:00Kaffeepause
Ort: Schloss/Foyer
16:00 - 17:30Mitgliederversammlung der DGfE-Kommission Schulforschung und Didaktik
Ort: Schloss/Raum 213
Chair der Sitzung: Karin Bräu
Chair der Sitzung: Maria Hallitzky
18:00 - 19:00Stadtführung
19:30 - 23:59Abendessen
Ort: Brauhaus Rampendahl
Datum: Freitag, 13.09.2024
9:00 - 10:00Keynote 3: Widerstreitkraft schultheoretischer Gegenstandsbestimmungen im Wandel: Pädagogische (Re-)Fokussierungen des Eigenwerts, der Technologierbarkeit Isomorphie und Legitimation von Schule
Ort: Schloss/Raum 213
Chair der Sitzung: Jeanette Böhme
10:00 - 10:30Kaffeepause
Ort: Schloss/Foyer
10:30 - 12:30Panel 4a: Was war/ ist/ wird aus Schule? Eine Forschungswerkstatt zur Schul(theori)e der Zukunft
Ort: Schloss/Raum 215
Chair der Sitzung: Marion Pollmanns
Arbeitsgruppe
 

Was war/ ist/ wird aus Schule? Eine Forschungswerkstatt zur Schul(theori)e der Zukunft

Chair(s): Marion Pollmanns (Europa-Universität Flensburg, Deutschland)

Um der Frage nachzugehen, wie sich rekonstruktive Schulforschung ihrem Gegenstand widmet und ihn erschließt, kommen in dieser Forschungswerkstatt praxistheoretische und objektiv-hermeneutische Ansätze zur Diskussion eines Falles zusammen. Geklärt werden soll, worauf die Ansätze wie und aus welchen Gründen fokussieren; dies nicht nur theoretisch, sondern auch durch die gemeinsame Arbeit am Material. So können die mit differenten Erkenntnisinteressen hervorgebrachten Thesen aufeinander bezogen und die Ansätze gut miteinander verglichen werden. Reflektiert werden soll, wie rekonstruktive Schulforschung zur erziehungswissenschaftlichen Aufklärung über diese zentrale Bildungsinstitution bereits beiträgt und was angesichts ihres Wandels noch zu leisten ist.

Als empirisches Datum dient die Website einer Schule, die sich selbst als „Die Schule der Zukunft“ bezeichnet (https://asw-wutoeschingen.de/). Die Selbstdarstellung einer Schule, die sich als Avantgarde sieht, in das Zentrum der Analyse zu rücken, verspricht die schulpraktische Transformationsanforderung in ihrer empirischen Widersprüchlichkeit zu rekonstruieren und zugleich die Spannung von Reformierungswillen und Beharrungstendenzen des Schulischen schultheoretisch zu bestimmen.

Das Format zeigt, wie rekonstruktive Schulforschung vom Material zur Theorie kommt, und fragt danach, in welchem Verhältnis dabei Theorie und Empirie stehen. Diskutiert werden soll nicht nur, welche Bedeutung der Empirie für die Theoriebildung zukommt, sondern auch, wie Theorie für empirische Forschung relevant wird.

Nach drei kurzen Impulsvorträgen, in denen die jeweilige Perspektive auf den Fall methodologisch und objekttheoretisch justiert und erste, analytisch gewonnene Hypothesen zu ihm darlegt werden, soll gemeinsam mit den Teilnehmenden an ausgewähltem Material des Falls analytisch gearbeitet werden (ca. 45 Min.). Die vorgestellten Perspektiven können so nachvollzogen, verglichen und in ihrem Ertrag beurteilt werden. In einer abschließenden Diskussion sollen – ausgehend vom besonderen Fall – allgemeine Fragen zum Verhältnis von Theorie und Empirie in der rekonstruktiven Schulforschung und der Gemeinsamkeiten und Differenzen ihrer Spielarten verhandelt werden (ca. 30 Min.).

(1) Schule lässt sich aus praktikentheoretischer Perspektive als Konstellation aus Bündeln von Praktiken und Arrangements verstehen, die in vielfacher Weise zu gesellschaftlichen Praktiken relationiert ist. Diese Relation ist schulischerseits durch ihren pädagogischen Charakter in eigentümlicher Weise konturiert und kein (uni)direktionales Ableitungsverhältnis (Idel et al. 2013). In routinisierten Choreographien drücken sich Tradierung und Transformation als stabilisierende Aspekte aus (Budde/Eckermann 2021). Versuche der Profilierung als ‚Schule der Zukunft‘ unterschlagen zum einen, dass Tradierung und Transformation wesentliche Elemente der praktischen Organisation von Schule darstellen. Zum anderen wird ein statisches Gesellschaftsverständnis zementiert. Der Beitrag argumentiert dafür, Relationen zwischen Transformation und Tradierung sowie zwischen Schule und Gesellschaft als ‚dynamische Stabilisierung‘ zu verstehen, welche durch eine Geste der Kritik Machtverhältnisse re/konstruiert (Boltanski/Chiapello 2005).

(2) Die immanenten Widersprüche pädagogischen Handelns, die ein zentraler Dauerbefund strukturrekonstruktiver Schul- und Professionstheorie sind (Helsper 1996, 2004; Wernet 2003, 2008), lassen sich nicht auf eine Spannung in dem Sinne reduzieren, dass gute pädagogische Ideen und Motive an den Unzulänglichkeiten der gesellschaftlichen und schulisch-institutionalisierten Realität scheitern (Rademacher/Wernet 2015). Bereits die pädagogische Ideologie selbst ist durchzogen von Widersprüchen. Anhand der Selbstdarstellung der sich als „Schule der Zukunft“ bezeichnenden Gemeinschaftsschule soll in diesem Beitrag die widersprüchliche Eigenlogik pädagogischer Transformationsversprechen mittels objektiv-hermeneutischer Analysen der Schulhomepage herausgearbeitet und verstehbar gemacht werden.

(3) Ausgehend von einer pädagogischen Modellierung der Eigenlogik schulischer Praxis als widersprüchlicher (Gruschka 2013) wird empirisch zu bestimmen versucht, wie eine Schule emanzipatorische Ansprüche erhebt und zugleich unterbietet und wie dies mit der institutionellen Rahmung in Zusammenhang steht. Zentral ist dabei die Bearbeitung des Widerspruchs von „Fördern und Auslesen“, der versprochenen sozialen Allgemeinheit der Bildung und der Selektion der Schule. Die der Schulhomepage eingeschriebenen Deutungsmuster von Schule werden rekonstruktiv erschlossen und für schultheoretische Überlegungen fruchtbar gemacht (Hünig 2021). Methodologisch wird dabei die mit der Objektiven Hermeneutik (Oevermann 2002) in die empirische Sozialforschung eingebrachte Perspektive eines genetischen Strukturalismus genutzt, mit der auch Fragen des Wandels von Schule bearbeitbar erscheinen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Praktikentheoretische Perspektivierung einer Schulforschung

Jürgen Budde, Johanna Geßner-Ott
Europa-Universität Flensburg

 

Struktur- und professionstheoretische Schulforschung

Sandra Rademacher
Europa-Universität Flensburg

 

Strukturtheoretische Schulforschung mit pädagogischer Gegenstandstheorie

Sascha Kabel
Europa-Universität Flensburg

 
10:30 - 12:30Panel 4b: Re-Fokussierung: Wo bleiben Schüler:innen in der Theoretisierung von Unterricht und Schule?
Ort: Schloss/Raum 214
Chair der Sitzung: Karin Bräu
Chair der Sitzung: Laura Fuhrmann
Chair der Sitzung: Matthias Martens
Arbeitsgruppe
 

Re-Fokussierung: Wo bleiben die Schüler:innen in der Theoretisierung von Unterricht und Schule?

Chair(s): Karin Bräu (Johannes Gutenberg Universität Mainz), Laura Fuhrmann (Johannes Gutenberg Universität Mainz), Matthias Martens (Universität zu Köln)

In Unterrichts- und Schultheorien finden Schüler:innen oftmals nur randständig Beachtung (Bennewitz, 2021; Idel & Stelmaszyk, 2015). Dies zeigt sich u. a. darin, wenn verstärkt auf Phänomene der Transformation von Schule und Unterricht fokussiert wird (z. B. Feldhoff et al., 2020; Helsper, 2000) oder die Thematisierung von Schüler:innen als eingespannt innerhalb des Verhältnisses von Schule und Gesellschaft erfolgt (z. B.: Fend, 2008). Unter einer praxistheoretischen Perspektive ist das Handeln der Schüler:innen jedoch zentral, um die Konstitution von Unterricht und Schule in der gemeinsamen Handlungspraxis der verschiedenen Akteur:innen und dabei insbesondere auch in den eigensinnigen Ausdeutungen der Schüler:innen verstehen und analysieren zu können. Empirisch wurde dies bereits mehrfach realisiert (z. B. Fuhrmann & Hoffmann, 2024/i. E.; Martens & Asbrand, 2021; Bräu & Fuhrmann, 2019; Breidenstein, 2006), bislang allerdings wenig auf die damit verbundenen Potenziale für Unterrichts- und Schultheorien befragt. Ausgehend davon verortet sich die Arbeitsgruppe im zweiten Schwerpunkt, nämlich dem Verhältnis von Theorie zur Empirie: Entlang von drei Forschungsprojekten – zum Selbstverständnis als Schüler:innen, zu Praktiken im Umgang mit Hausaufgaben sowie zu Anliegen von Schüler:innen im Schulsekretariat – wird in der Arbeitsgruppe die Rolle von Schüler:innen in Unterricht und Schule in den Mittelpunkt gerückt, um die empirischen Zugänge schließlich unterrichts- und schultheoretisch einzuordnen: Wie positionieren sich Schüler:innen im und zum schulischen Geschehen? Inwiefern wird darüber ein ‚Mehr‘ von Unterricht und Schule sichtbar? Zusammen betrachtet regen die Beiträge eine systematisierende und theoretisierende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Relevanz der Schüler:innen für Unterrichts- und Schultheorien an.

Matthias Martens:

Schüler:innen und ihre Positionierung zum Schulischen

Die Klassiker der Schüler:innenforschung (Breidenstein, 2006; Heinze 1980) geben Einblicke in Anforderungsmuster von Schule und Unterricht, die zu charakteristischen, der Tendenz nach defensiven bis abwehrenden, Positionierungen der Schüler:innen zum Schulischen führen. Für den Beitrag werden Schüler:inneninterviews aus unterschiedlichen Jahrgängen und Schulformen dokumentarisch ausgewertet (Nohl 2017) und daraufhin untersucht, welche Relevanzsetzungen und habituellen Positionierungen Schüler:innen gegenüber Schule und Unterricht entfalten. Zwischen unterrichtlichen Anforderungen, schulischer und außerschulischer Bezie-hungsgestaltung wird Schüler:innen-Sein als komplexe, mehrdimensionale Lebensform sichtbar. Abschließend wird diskutiert, wie die Ergebnisse unterrichts- und schultheoretische Perspektiven ergänzen können.

Karin Bräu:

Schüler:innen und Hausaufgaben

Werden Schüler:innenpraktiken (Rabenstein & Wagener-Böck, 2022; Breidenstein, 2018) thematisiert, so geht es um die Teilnahme junger Menschen an Schule und Unterricht, was sowohl ausdrücklich unterrichtsbezogene Praktiken als auch solche der Peerkultur und deren Verschränkung einschließt. Im Fall von Hausaufgaben als unterrichtlich initiierte Aufgaben, die in der Regel außerhalb des Unterrichts bearbeitet werden sollen, stellt sich die Frage nach Schüler:innenpraktiken neu, da die Grenzen von Unterricht sowie die Grenze zwischen schulischen, peerkulturellen und familialen Praktiken unscharf werden (Budde & Bittner, 2018) und neu zusammengedacht werden müssen. Schüler:innenpraktiken in ihrer Gesamtheit innerhalb und außerhalb von Schule und Unterricht zu erfassen und sie bei der Theoretisierung von Schule und Unterricht einzubeziehen ist ein Schlüssel für das Verständnis dessen, was in Schule und im Unterricht auch jenseits didaktischer und pädagogischer Ziele geschieht.

Laura Fuhrmann:

Schüler:innen im Schulsekretariat

In Unterricht und Schule stellen sich zahlreiche und z.T. widersprüchliche Anforderungen an Schüler:innen, die u.a. im hidden curriculum, dem heimlichen Lehrplan, schulkritisch konzeptualisiert werden (Zinnecker, 1975). Während Schüler:innen solche Anforderungen im Unterricht bspw. mit vielgestaltigen Distanzierungen (Willis, 1979; Breidenstein, 2006) auf Vorder- und Hinterbühnen (Bennewitz & Meier, 2010) bearbeiten, stellt sich die Frage, wie sich (widersprüchliche) Anforderungsstrukturen auch an anderen Orten im schulischen Kontext niederschlagen und welchen schultheoretischen Stellenwert dies entfalten kann. Ausgehend von einer ethnographischen Studie zum Schulsekretariat fokussiert der Beitrag die Anliegen von Schüler:innen. Mit einer praxistheoretischen Perspektive wird in den Mittelpunkt gerückt, im Vollzug welcher Praktiken Schüler:innen unterrichts- und schulbezogene Anforderungen im Sekretariat bearbeiten und wie sich diese empirischen Befunde schließlich schultheoretisch konturieren lassen.

 

Beiträge des Symposiums

 

Schüler:innen und ihre Positionierung zum Schulischen

Matthias Martens
Universität zu Köln

 

Schüler:innen und Hausaufgaben

Karin Bräu
Johannes Gutenberg Universität Mainz

 

Schüler:innen im Schulsekretariat

Laura Fuhrmann
Johannes Gutenberg Universität Mainz

 
10:30 - 12:30Panel 4c:Schulentwicklung jenseits von Planung und Steuerung
Ort: Schloss/Raum 211
Chair der Sitzung: Barbara Asbrand
Arbeitsgruppe
 

Schulentwicklung jenseits von Planung und Steuerung

Chair(s): Barbara Asbrand (Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland)

Diskutant*in(nen): Anna Moldenhauer (Universität Bremen)

Ausgangspunkt:

Neuere Beiträge, die die Bemühungen um einzelschulische Entwicklung der letzten Dekaden bilanzierend in den Blick nehmen (z.B. Schratz et al. 2019; van Ackeren et al. 2022, Maag Merki 2022), konstatieren einhellig, dass Konzepte, die Schulentwicklung als zielgerichteten, planbaren und gesteuerten Prozess auffassen, nicht zu den erwarteten Ergebnissen geführt haben. Als Erklärung wird u.a. angeführt, dass das aus dem Unternehmensmanagement entlehnte Konzept der Organisationsentwicklung im schulischen Bereich theoretisch unterbestimmt blieb, die evidenzbasierte Steuerung ohne high-stakes-assessment nicht funktionieren kann, d.h. eine ebenfalls theoretisch unterbestimmte Adaption an den deutschsprachigen Kontext stattgefunden hat. Gleichzeitig erfahren Konzepte, die Entwicklung nicht linear, sondern iterativ und komplex, auf sozialen Konstellationen basierend denken, auch in der Schulpraxis eine Konjunktur (z.B. Huber 2019). In der Arbeitsgruppe soll Schulentwicklung jenseits von Planung und Steuerung aus theoretischer Perspektive beleuchtet und gleichzeitig aktuelle Konzepte wie Partizipation oder Agilität kritisch befragt werden. Die Arbeitsgruppe zielt auf die Frage, wozu und zu welchem Ende Theorie im Schulentwicklungsdiskurs gebraucht wird.

Beiträge:

1. Bedingungen der Partizipation: Das Beispiel demokratische Schulentwicklung

In der Diskussion um demokratische Schulentwicklung nimmt die Partizipation als Praxis von Schüler:innen und Lehrpersonen einen zentralen Stellenwert ein. Aus Perspektive theoretischer Forschung (Bellmann 2020) wird durch die Zentralstellung der Partizipation ein neuer Mechanismus eingeführt, der verspricht, Schulentwicklung realisierbar zu machen. In diesem Vortrag wird der Begriff der Partizipation in der Diskussion um demokratische Schulentwicklung befragt und an ausgewählten Beispielen expliziert. Partizipation, so die These des Beitrags, geht mit Vorstellungen von Kapazitäten, Partizipationsbereitschaft, der Idee der Steuerung von und durch Partizipation und einer Vorstellung von starker Subjektivität einher. Partizipation bleibt aktuell ein theoretisch unterbestimmter, wenngleich zentraler Begriff für die Schulentwicklung.

2. Agilität: Evolution oder Entwicklung? Systemtheoretische Perspektiven auf Schulentwicklung

Der Beitrag betrachtet Schule als soziales System und Veränderung von Schule systemtheoretisch als soziale Evolution (John 2013; Asbrand & Zick 2021). Die Veränderung von Schule lässt sich auf diese Weise als ein Prozess verstehen, der von den Professionellen in Schule ausgeht und in der sozialen Interaktion auf einzelschulischer Ebene emergiert. Systemtheoretisch lässt sich Stagnation als funktionaler Systemerhalt, Wandel von Schule bzw. die Veränderungsbereitschaft in einem Kollegium als Bearbeitung von Soll-Ist-Differenzen basierend auf Vertrauen (Luhmann 1989) erklären. Am Beispiel der „agilen Schulentwicklung“ wird das Paradox diskutiert, wie die Logik von Schulreform auch systemische Konzepte in organisationale Steuerungs- und Planungsmethoden verkehrt.

3. Der Idee von Entwicklung durch Transformation auf der Spur

Der Beitrag betrachtet Schule als ein dynamisches Gebilde innerhalb einer Struktur von Strukturen, wobei ein zu eingeschränkter Blick zu einer abstrakten Selbstähnlichkeitsidee (ver)führt, die das vereinfachende Konzept des Identischen impliziert (Wiesner & Schreiner, 2021). Diese Sichtweise erbringt jedoch ein ungeeignetes lineares und instrumentelles Steuerungsdenken, das die Konzepte der Neue Steuerungen im Hinblick auf Phänomene der Entwicklung durch Fulguration, Progression, Evolution und Transformation grundsätzlich verfehlt (Wiesner, 2019). Aus einer phänomenologischen Perspektive kann Entwicklung angeregt, aber nicht gesteuert oder vorgeplant werden. Veränderungen und Innovationen werden im Besonderen als transformative Prozesse verständlich, die weniger darauf abzielen, einfach Neues oder Unbekanntes umzusetzen, sondern vielmehr auch Bekanntes auf neue Weise zu sehen und (gemeinsam) das Bekannte als veränderbar zu begreifen (Wiesner & Gebauer, 2023).

 

Beiträge des Symposiums

 

Bedingungen der Partizipation: Das Beispiel demokratische Schulentwicklung

Sebastian Engelmann
PH Karlsruhe

 

Agilität: Evolution oder Entwicklung? Systemtheoretische Perspektiven auf Schulentwicklung

Barbara Asbrand
Goethe-Universität Frankfurt am Main

 

Der Idee von Entwicklung durch Transformation auf der Spur

Christian Wiesner, Kerstin A. Zechner
PH Niederösterreich Baden

 
12:30 - 13:00Verabschiedung
Ort: Schloss/Foyer
Chair der Sitzung: Nele Kuhlmann
Chair der Sitzung: Richard Lischka-Schmidt
Chair der Sitzung: Sven Thiersch
Chair der Sitzung: Eike Wolf

 
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