In Unterrichts- und Schultheorien finden Schüler:innen oftmals nur randständig Beachtung (Bennewitz, 2021; Idel & Stelmaszyk, 2015). Dies zeigt sich u. a. darin, wenn verstärkt auf Phänomene der Transformation von Schule und Unterricht fokussiert wird (z. B. Feldhoff et al., 2020; Helsper, 2000) oder die Thematisierung von Schüler:innen als eingespannt innerhalb des Verhältnisses von Schule und Gesellschaft erfolgt (z. B.: Fend, 2008). Unter einer praxistheoretischen Perspektive ist das Handeln der Schüler:innen jedoch zentral, um die Konstitution von Unterricht und Schule in der gemeinsamen Handlungspraxis der verschiedenen Akteur:innen und dabei insbesondere auch in den eigensinnigen Ausdeutungen der Schüler:innen verstehen und analysieren zu können. Empirisch wurde dies bereits mehrfach realisiert (z. B. Fuhrmann & Hoffmann, 2024/i. E.; Martens & Asbrand, 2021; Bräu & Fuhrmann, 2019; Breidenstein, 2006), bislang allerdings wenig auf die damit verbundenen Potenziale für Unterrichts- und Schultheorien befragt. Ausgehend davon verortet sich die Arbeitsgruppe im zweiten Schwerpunkt, nämlich dem Verhältnis von Theorie zur Empirie: Entlang von drei Forschungsprojekten – zum Selbstverständnis als Schüler:innen, zu Praktiken im Umgang mit Hausaufgaben sowie zu Anliegen von Schüler:innen im Schulsekretariat – wird in der Arbeitsgruppe die Rolle von Schüler:innen in Unterricht und Schule in den Mittelpunkt gerückt, um die empirischen Zugänge schließlich unterrichts- und schultheoretisch einzuordnen: Wie positionieren sich Schüler:innen im und zum schulischen Geschehen? Inwiefern wird darüber ein ‚Mehr‘ von Unterricht und Schule sichtbar? Zusammen betrachtet regen die Beiträge eine systematisierende und theoretisierende Auseinandersetzung mit der Frage nach der Relevanz der Schüler:innen für Unterrichts- und Schultheorien an.
Matthias Martens:
Schüler:innen und ihre Positionierung zum Schulischen
Die Klassiker der Schüler:innenforschung (Breidenstein, 2006; Heinze 1980) geben Einblicke in Anforderungsmuster von Schule und Unterricht, die zu charakteristischen, der Tendenz nach defensiven bis abwehrenden, Positionierungen der Schüler:innen zum Schulischen führen. Für den Beitrag werden Schüler:inneninterviews aus unterschiedlichen Jahrgängen und Schulformen dokumentarisch ausgewertet (Nohl 2017) und daraufhin untersucht, welche Relevanzsetzungen und habituellen Positionierungen Schüler:innen gegenüber Schule und Unterricht entfalten. Zwischen unterrichtlichen Anforderungen, schulischer und außerschulischer Bezie-hungsgestaltung wird Schüler:innen-Sein als komplexe, mehrdimensionale Lebensform sichtbar. Abschließend wird diskutiert, wie die Ergebnisse unterrichts- und schultheoretische Perspektiven ergänzen können.
Karin Bräu:
Schüler:innen und Hausaufgaben
Werden Schüler:innenpraktiken (Rabenstein & Wagener-Böck, 2022; Breidenstein, 2018) thematisiert, so geht es um die Teilnahme junger Menschen an Schule und Unterricht, was sowohl ausdrücklich unterrichtsbezogene Praktiken als auch solche der Peerkultur und deren Verschränkung einschließt. Im Fall von Hausaufgaben als unterrichtlich initiierte Aufgaben, die in der Regel außerhalb des Unterrichts bearbeitet werden sollen, stellt sich die Frage nach Schüler:innenpraktiken neu, da die Grenzen von Unterricht sowie die Grenze zwischen schulischen, peerkulturellen und familialen Praktiken unscharf werden (Budde & Bittner, 2018) und neu zusammengedacht werden müssen. Schüler:innenpraktiken in ihrer Gesamtheit innerhalb und außerhalb von Schule und Unterricht zu erfassen und sie bei der Theoretisierung von Schule und Unterricht einzubeziehen ist ein Schlüssel für das Verständnis dessen, was in Schule und im Unterricht auch jenseits didaktischer und pädagogischer Ziele geschieht.
Laura Fuhrmann:
Schüler:innen im Schulsekretariat
In Unterricht und Schule stellen sich zahlreiche und z.T. widersprüchliche Anforderungen an Schüler:innen, die u.a. im hidden curriculum, dem heimlichen Lehrplan, schulkritisch konzeptualisiert werden (Zinnecker, 1975). Während Schüler:innen solche Anforderungen im Unterricht bspw. mit vielgestaltigen Distanzierungen (Willis, 1979; Breidenstein, 2006) auf Vorder- und Hinterbühnen (Bennewitz & Meier, 2010) bearbeiten, stellt sich die Frage, wie sich (widersprüchliche) Anforderungsstrukturen auch an anderen Orten im schulischen Kontext niederschlagen und welchen schultheoretischen Stellenwert dies entfalten kann. Ausgehend von einer ethnographischen Studie zum Schulsekretariat fokussiert der Beitrag die Anliegen von Schüler:innen. Mit einer praxistheoretischen Perspektive wird in den Mittelpunkt gerückt, im Vollzug welcher Praktiken Schüler:innen unterrichts- und schulbezogene Anforderungen im Sekretariat bearbeiten und wie sich diese empirischen Befunde schließlich schultheoretisch konturieren lassen.