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Die Schultheorien der 1970er-Jahre und ihr Beitrag zur theoretischen Fundierung von Bildungsreformen
Lucien Criblez
Universität Zürich, Schweiz
Darüber, was unter Schulpädagogik zu verstehen sei, gebe es keinen Konsens. Immerhin seien drei Grundfragen zu identifizieren, mit denen sie sich befasse: «eine didaktische, eine lehrplantheoretische und eine schultheoretische» (Benner, 1977, S. 88). Diese Unterscheidung impliziert auch eine Differenzierung der theoretischen Bezüge: zu Handlungstheorien, zu wissens- und/oder organisationssoziologischen Theorien bzw. zu institutionalistischen Theorien (Criblez, 2017).
Vor diesem Hintergrund bezieht sich der vorgeschlagene Beitrag vorwiegend auf Schultheorie unter einer institutionellen bzw. institutionentheoretische Perspektive, auch wenn in der Literatur solche Differenzierungen nur teilweise vorgenommen wurden. Auch ist ein so eingeschränkter Gegenstandsbereich nicht erst in den 1970er-Jahren und nicht nur unter den Stichworten «Schultheorie» oder – häufiger – «Theorie der Schule» diskutiert worden, sondern auch etwa unter «Pädagogische Soziologie» «Soziologische Pädagogik», «Soziologie der Schule» oder «Schule als Institution».
Der geplante Beitrag rekonstruiert auf der Grundlage einer Publikationsanalyse (systematische Bücher- und Zeitschriftenanalyse einschlägiger Titel) die Entwicklung der «Schultheorien» mit Fokus auf den 1970erJahren und plausibilisiert die These, dass sich die neuen Aufmerksamkeiten für die Schultheorie in den 1970er-Jahren insbesondere durch die Schulreformen seit den 1960er-Jahren und deren Krise ab Mitte der 1970er-Jahre erklären lassen.
Bildnerisches Verhalten – Fähigkeitsordnungen – Konstruktionen von Be_hinderung. Zur Wechselwirkung von Kunsterziehung und schulischer Exklusionspolitik
Alexander Henschel, Michaela Kaiser
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sich in Westeuropa Wissenschaftler:innen für Zeichnungen von Kindern zu interessieren und verglichen diese mit anderen als ,primitiv‘ markierten bildnerischen Werken: mit Zeichnungen von Gefangenen, Psychiatrieinsassen und den kolonialen ,Anderen‘. Daraus abgeleitete Entwicklungstheorien bildnerischen Verhaltens formierten das kunstpädagogische Feld in Deutschland nachhaltig.
Anhand einer historischen Studie zur Funktion der Kunsterziehung in der deutschen Sonderschule (Henschel 2024) wird aufgezeigt, wie solche Entwicklungstheorien bis in die BRD hinein normalisierende Fähigkeitsordnungen über den Kunstunterricht hinaus herstellten, schulische Exklusionspolitik mitbestimmten und mitwirkten an der Konstruktion der Be_hinderung.
Die Ergebnisse werden in Beziehung gesetzt zu einer Analyse entwicklungspsychologischer Literatur zum Schuleintritt und Anfangsunterricht in der Grundschule, mit welcher die historisch gewachsenen normalisierenden Fähigkeitsordnungen im Hinblick auf die Herstellung und Verhandlung des ‚abweichenden‘ Kindes nachgezeichnet werden (Kaiser & Horst i.A.).
Es wird in der Zusammenschau der beiden Studien aufgezeigt, wie Erwartungen an den bildnerischen Ausdruck von Kindern historisch generiert, überliefert und in ihrer Hierarchisierung bis heute wirksam sind, jedoch im Impliziten verbleiben. Die Formation des Diskurses ist insofern nach wie vor an der Herstellung des ‚normalen‘ und des ‚abweichenden‘ Kindes beteiligt.
Theoretisierung von 'Schule' in governanceanalytischen Zugängen
Katharina Nesseler
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland
Ausgangspunkt des Vortrags ist die Beobachtung, dass governanceanalytische Zugänge Schulsystem und Schule zwar in den Mittelpunkt Ihrer Forschung stellen, aber eine explizite Ausweisung schultheoretischer Fassung nicht erkennbar ist. Diese Ungeklärtheit der Fassung des Schulischen in der Governanceforschung wird problematisiert, wenn daraus Handlungsableitungen für Reformprozesse vollzogen werden. Auch reklamieren diese Zugänge beispielweise normative Konzepte der Bildungssteuerung mit den empirisch erfassten Wirkungen konfrontieren zu wollen, um veränderte Umsetzungen zu erzielen (Maag Merki und Altrichter 2015).
In Mittelpunkt dieses Beitrag wird das Herausarbeiten der theoretischen Bezüge, was unter ,Schuleʻ in governanceanalytischen Zugängen verstanden wird, stehen. Dafür werden aus zwei zentralen Beschreibungen zur Educational Governanceforschung – Maag Merki, Langer und Altrichter 2014 und Kussau & Brüsemeister 2007 – herausgearbeitet, welche Modellierungen und Theoretisierung des Schulischen vorliegen. Dem wird eine schultheoretische Fassung von Fend (2006) gegengehalten. Mit diesem einfach komparativen Zugang will der Beitrag zur Diskussion über die Fassung des Schulischen in der Educational Governanceforschung anregen.