Unterrichtsfächer strukturieren – anhaltender Kritik und gegenläufiger Tendenzen zum Trotz (Reh & Caruso 2020) – den schulischen Alltag. Der mit ihnen verbundene Anspruch an Fachlichkeit gilt als zentrale Dimension von Unterricht (Martens et al. 2022), Medium für Bildungsprozesse (Schneuwly 2018) und Kern der Professionalität von Lehrkräften (Hericks et al. 2020). In den letzten Jahren ist eine verstärkte, interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Fachlichkeit zu beobachten (Martens et al. 2018; Heer & Heinen 2019), die darin als relationales und mehrperspektivisches Konstrukt erscheint, das in der Schul- und Unterrichtsforschung unterschiedlich bestimmt wird und immer wieder neu zu bestimmen ist. Die eingereichte Arbeitsgruppe setzt hier an. Die Beiträge fokussieren (Re)Konstruktionen von Fachlichkeiten, die als abgrenzbare und wiedererkennbare Modi der (fach)unterrichtlichen Sachkonstitution in Praktiken der Wissensaneignung bzw. -vermittlung verstanden werden (Reh 2018). Fachlichkeiten verweisen dabei auf Referenzen, die außerhalb der Unterrichtspraxis selbst liegen, integriert und mit anderen Ansprüchen vermittelt werden müssen. Es werden Felder der Unterrichtsforschung in den Blick genommen, in denen die Rolle des Fachlichen uneindeutig scheint, programmatisch relativiert oder empirisch herausgefordert wird.
Beitrag 1: Fachlichkeit als Wissenspraxis: Empirische und theoretische Analysen zur Mehrdimensionalität des Unterrichts (Matthias Martens)
In einer engen Definition ist Unterricht als dreistelliges Interaktionsgeschehen dadurch konstituiert, dass jemand jemanden über etwas unterrichtet – dies macht Fachlichkeit zu einer zentralen Dimension von Unterricht (Gruschka 2017; Martens et al. 2018). Auf der Basis beispielhafter Rekonstruktionen von Unterrichtsvideografien entwickelt der Beitrag eine Theoretisierung von Fachlichkeit als unterrichtlicher Wissenspraxis, in der fachliche Normen und Anforderungen mit expliziten und impliziten fachlichen Wissensbeständen und Routinen vorn Lehrpersonen und Schüler:innen relationiert werden. Das fallvergleichende Vorgehen ermöglicht, fachliche Wissenspraxen im Kontext anderer Dimensionen des Unterrichts (etwa Lehr-/Lernkulturen, Peerkulturen, Herkunftskulturen der Akteur:innen) zu beleuchten und Differenz- oder Konfliktverhältnisse zwischen den Dimensionen sichtbar zu machen (Vogd 2011).
Beitrag 2: Konstruktion und Rekonstruktion von Sachen im Sachunterricht
(Marina Bonanati)
Die Sachen des Sachunterricht bilden mit ihren inter- und transdisziplinären Bezügen einen weiten Gegenstandsbereich des Faches. Eine zentrale Denkfigur ist es, die Gegenstände in einer Trias aus Kind, Sache und Welt zu konstituieren (u.a. Pech 2009). Die Orientierung an Lebenswelt und Vielperspektivität bilden dabei nicht nur ein didaktisches Prinzip, sondern modellieren die Fachlichkeit des Sachunterrichts mit. Die Ebene der Interaktion und die Bedeutung von Aushandlungen im Unterricht sind in diesen Modellierungen nicht enthalten. Im Vortrag frage ich nach der situativen und interaktiven Verfasstheit von Fachlichkeit im Sachunterricht und verstehe die Gegenstände des Unterrichts als interaktiv konstruiert (u. a. Bennewitz 2021). Exemplarisch erfolgt die Rekonstruktion der Gegenstände anhand einer Szene aus dem Sachunterricht, die im Rahmen des Projekts FASAN (Fachlichkeit im Sachunterricht in der Inklusion, Skorsetz et al. 2021) videographiert wurde. Zu diskutieren ist, inwiefern die rekonstruierten Praktiken als spezifisch sachunterrichtliche Praktiken und Gegenstände beschrieben werden können.
Beitrag 3: Jenseits des Fachprinzips? Anspruch und praktische Logik fächerübergreifenden Unterrichts (Christopher Hempel)
Konzepte fächerübergreifenden Unterrichts grenzen sich von der mit Schulfachlichkeiten verbundenen, teils impliziten und einseitigen fachlichen Perspektivierung ab und werden als komplementäre Lerngelegenheiten in Stellung gebracht, die in Auseinandersetzung mit komplexen Themen auf Mehrperspektivität und Vernetzung zielen (Klafki 1998; Labudde 2006). Didaktisch werden fachliche Perspektiven damit nicht irrelevant, sondern zum Instrument integrativer Themenbearbeitung und zum expliziten Gegenstand von Reflexion (Hempel 2020). Insbesondere die enge Verknüpfung zum Projektunterricht scheint diesen Anspruch aber praktisch zu unterlaufen, indem Handlungs- und Produktorientierung fachliche Auseinandersetzungen mit der Sache des Unterrichts überformen (Bastian & Combe 2002). Der Beitrag sondiert mit didaktischem und empirischem Interesse den Ort der Fachlichkeit in fächerübergreifend angelegten Unterrichtssettings. Sie wird dabei als konstitutive und zugleich ‚bedrohte‘ Dimension diskutiert.
Diskussion der Beiträge (Christian Herfter)
Mit Blick auf die drei Vorträge werden einige übergreifende Thesen zum Thema der Arbeitsgruppe formuliert und zur Diskussion gestellt