In den vergangenen Jahrzehnten haben sich nicht nur unterschiedliche theoretische und empirische bzw. methodologische Perspektiven auf Schule und Unterricht herausgebildet, sondern auch voneinander abgegrenzt und dadurch den zu beforschenden Gegenstand different konstituiert (Hummrich & Kramer 2011, Böhme 2016). Nichtsdestotrotz bleibt gerade der Gegenstand „des Schulischen“ empirisch häufig leer (Bender, Dietrich & Silkenbeumer 2021). Vor diesem Hintergrund soll in der Arbeitsgruppe danach gefragt werden, welche Potenziale in neueren schul- und sozialtheoretisch kombinierten Perspektivierungen zur Verfügung stehen, so dass sowohl das Schulische selbst, als auch gängige Muster der (erziehungswissenschaftlichen) Schulkritik sowie (gesellschaftliche) Erwartungen an das Schulische transparenter hervortreten. Dazu werden in den drei Beiträ-gen der Arbeitsgruppe schul- und unterrichtstheoretische mit neo-institutionalistischen, kontexturanalytischen und hegemonietheoretischen Ansätzen verknüpft. Diese Ansätze ermöglichen es, das Schulische anhand von konstitutiven Bezugsproblemen des Schulischen – Leistung, Teilhabe und Autonomie – zu verhandeln. Die Explikationskraft und theoretische Tragfähigkeit der gewählten Ansätze für das Schulische werden dabei an einem gemeinsamen empirischen Datum aus dem Sportunterricht erkundet, also eines Fachunterrichts, der in besonderer Weise für Veränderungen von diskursiven (Wissens-)Praktiken (Reh 2017) steht und aufgrund der Verschränkung von schulischen und außerschulischen Logiken als Grenzfall des Schulischen gelten kann (Breidenstein 2006). An diesem Beispiel werden die skizzierten Bezugsprobleme des Schulischen exemplarisch entfaltet und wie folgt analysiert.
1. Spielstunden – Neo-Institutionalistische Perspektiven auf differente Leistungsordnungen im Sportunterricht (Maike Lambrecht, Bielefeld)
Leistung ist konstitutiv für das Schulische (Parsons 1968); gleichzeitig erfährt die Kritik am Leistungsprinzip im Zuge schulischer Inklusion neuen Aufschwung (Lütje-Klose et al. 2017) und es werden Möglichkeiten alternativer Leistungsbewertung eruiert (Beutel & Pant 2020). Vor diesem Hintergrund analysiert der Beitrag die Verhandlung schulischer und außerschulischer Leistungsordnungen, die im Sportunterricht aufeinandertreffen, und arbeitet deren jeweilige Spezifik heraus. Dazu wird auf neo-institutionalistische Ansätze (Koch & Schemmann 2009) zurückgegriffen, die den Doppelcharakter von Schule als Organisation und Institution reflektieren (Göhlich 2014). Anhand der objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion des empirischen Materials wird diskutiert, inwiefern sich das Schulische durch einen im Vergleich zur gesellschaftlichen Umwelt gesteigerten Leistungsanspruch (Wernet 2003) auszeichnet.
2. Teilnahme als Bezugsproblem. Unterrichtliche Bearbeitung struktureller Spannung aus einer kontexturanalytischen Perspektive (Nora Katenbrink, Bielefeld)
Aus schultheoretischer Perspektive ist für Schule die Schulpflicht konstitutiv, sodass auch die Teilnahme am Unterricht nicht freigestellt ist (vgl. Diederich & Tenorth 1997). In didaktischer Perspektive wiederum ist Unterricht i.S. eines Lehr-Lerngeschehens ohne aktive Mitwirkung von Lehrkraft und Schüler*innen nicht möglich, wobei dieses Mitwirken über ein Anwesendsein hinaus geht und Fragen nach unterrichtlicher Teilnahme im Kontext von engagierter Teilhabe verhandelt werden (Klingberg 1990). Der Beitrag lotet mit Blick auf das empirische Datum aus, wie aus einer kontexturanalytischen Perspektive (Janssen & Vogd 2022) an die entworfene Spannung angeschlossen und diese bearbeitet wird. Herausgearbeitet wird, dass eine professionelle Praxis, die aus einer fachdidaktischen Perspektive unerwünscht erscheint, mit Blick auf ihren strukturellen Kontext eine mehrdimensionale Funktionalität entwickelt.
3. Pädagogisches Handeln in kontingenten aber relativ stabilen Ordnungen. Struktur- und hegemonietheoretische Pfade in der Schul- und Unterrichtstheorie (Saskia Bender, Bielefeld)
Die Verortung der Spannungen zwischen Handlung und Struktur stützt und perpetuiert implizit jene antinomischen (Helsper u.a. 2001) Figuren zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, Nähe und Distanz etc. Theoretische und methodologische Zugänge scheinen zudem in besonderer Weise akzeptiert zu werden, wenn es ihnen gelingt, das jeweils Andere nicht zu übergehen. Struktur- und hegemonietheoretische Perspektiven auf Schule und Unterricht sollen in diesem Beitrag als Annäherungen vorgestellt werden, die diese Spannung aufgeben, indem sie von zwar kontingenten, also gestaltbaren, aber relativ stabilen sozialen Ordnungen ausgehen. So wäre eine „Hegemonie, die Autonomie bedrohen würde, ein schlecht gestelltes Problem“ (Laclau & Mouffe 2020, 179). Der Beitrag fragt, was dies für das Verhältnis von Schule und Gesellschaft und darin eingelagerte pädagogische Subjektivierungen bedeutet und welche Geschehnisse darüber empirisch sichtbar und theoretisierbar werden.