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Panel 11: Antisemitismuskritische und rassismuskritische politische Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft
Zeit:
Donnerstag, 19.09.2024:
11:00 - 12:30
Moderator*in: Judith Goetz, Universität Innsbruck, Österreich Kommentator*in: Stephanie Graf, Universität Innsbruck, Österreich
Ort:Seminarraum 12
Präsentationen
Rassismen und Antirassismen in der Entstehung der Narrative in der postmigrantischen Gesellschaft: Das Beispiel Favoriten 2020
Evrim Ersan Akkilic
DÖW Dokumentationsarchiv der österreuchischen Wiederstandes, Österreich
Die rassistischen und antirassistischen Artikulationen innerhalb der postmigrantischen Gesellschaften, die stets in Konfrontation zueinanderstehen, spielen eine konstitutive Rolle bei der Konstruktion und Umwandlung der Narrative über Migration. In medialen Debatten über Migration oder migrantische Ereignisse treten diese Positionen oft in 'Krisensituationen' auf. Ein Beispiel hierfür ist der Vorfall im Juni 2020 im Wiener Gemeindebezirk Favoriten. Eine Kundgebung gegen Gewalt an Frauen wurde angegriffen. Die Aktivist*innen fanden Zuflucht im Lokal eines linken Vereins. Vor dem Lokal versammelten sich mehrheitlich junge Männer und es kam zu Eskalation. Die Ereignisse erhielten ein großes Medienecho. Dabei wurden zwei Gruppen stilisiert: auf der einen Seite junge türkische Männer, die als rechtsextrem und faschistisch bezeichnet wurden, auf der anderen Seite kurdische Frauen, Aktivist*innen die als links und antifaschistisch beschrieben wurden. Gegenstand dieses Vortrags ist die in den Medien zirkulierenden Narrative über den Vorfall 2020 unter Berücksichtigung der sozialen Positionierungen der Akteur*innen zu identifizieren, zu analysieren und zu vergleichen. Wie werden in diesen konkurrierenden Argumentationslinien hegemoniale Narrative einerseits reproduziert und stabilisiert, andererseits in Frage gestellt und destabilisiert? Wie werden Jugendliche in diesen Diskussionen dargestellt, werden sie als politische Subjekte wahrgenommen, oder wird ihnen dies in diesem Kontext abgesprochen? Welche Sprecher*innen positionieren sich in diesem Feld und welche Akteur*innen werden von der Diskussion ausgeschlossen? Am Ende des Vortrags wird diskutiert, wie in einer von Rassismen geprägten postmigrantischen Gesellschaft die Analyse von Narrativen über Migration und Migrant*innen sowie Rassismen und Antirassismen zugleich zur Erarbeitung von Handlungsalternativen und widerständigen Strategien in der rassismuskritischen Bildungsarbeit beitragen kann.
"Nichts weist darauf hin, dass hier Menschen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Religion ermordet wurden.“ – Die Thematisierung von Antisemitismus in der historisch-politischen Bildung an KZ-Gedenkstätten.
Nina Rabuza
Universität Innsbruck, Österreich
KZ-Gedenkstätten gelten als „tragende Säulen“[1] in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus und anderen Formen von menschenfeindlichen Ideologien. Der Fokus auf den historischen NS-Antisemitismus birgt jedoch mannigfaltige Probleme für die antisemitismuskritischen Bildung in sich. So könnte beispielsweise die Vergangenheitsorientierung der Bildung an KZ-Gedenkstätten den Antisemitismus aus der Gegenwart ausschließen) oder gar den brutalen NS-Antisemitismus zum Maßstab dessen machen, was als antisemitisch gilt. Zugleich ist gerade die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Antisemitismus für eine antisemitismuskritische Bildung wichtig, da daran antisemitische Kontiunitäten aufgezeigt werden können sowie eine Banalisierung antisemitischer Ressentiments und antisemitischer Gewalt entgegengewirkt werden kann. Es kommt in der historisch-politischen Bildung zu Antisemitismus an KZ-Gedenkstätten also ganz besonders darauf an, wie Antisemitismus thematisiert wird.
Der Vortrag knüpft an dieser Debattenlage an und untersucht am Beispiel der KZ-Gedenkstätte Dachau, wie dort Antisemitismus thematisiert und dargestellt wurde. Dabei stehen Akteur*innen der Geschichte der Gedenkstätte im Fokus. So waren es vor allem Jüdinnen und Juden, die einforderten, Antisemitismus in der KZ-Gedenkstätte zu thematisieren, was bisweilen zu Konflikten um die Erinnerung mit nicht-jüdischen Überlebenden, vor allem aber zu Auseinandersetzungen mit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft führte. Aus migrationsgeschichtlicher Perspektive wird dabei vor allem die Rolle von jüdischen Displaced Persons für die Auseinandersetzung mit Antisemitismus an der KZ-Gedenkstätte Dachau diskutiert.
[1] Von Wrochem, Oliver: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Gegenwart – Was können Gedenkstätten tun?, in: Gedenkstättenrundbrief 192 (12/2018), S. 3-10, hier S. 3.
(Erfahrungs-)Perspektiven und Projektionen auf Jugendliche in der antisemitismus- und rassismuskritischen Bildungsarbeit in Österreich
Hanna Grabenberger1, Bianca Kämpf2
1Universität Innsbruck, Österreich; 2Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Österreich
Ausgehend von einer postmigrantischen Perspektive werden in dem Vortrag Überlegungen zur Verbindung von rassismuskritischen und antisemitismuskritischen Ansätzen in der Bildungsarbeit diskutiert. Dabei stehen die Fragen im Zentrum, wie im Bildungsdiskurs über und mit der Zielgruppe der Lernenden gesprochen wird, sowie welche Chancen und Grenzen der Einbezug von Erfahrungs-/Betroffenheitsperspektiven sowohl von Vortragen selbst als auch von den Lernenden mit sich bringen kann. Uns ist wichtig zu betonen, dass diskriminierungskritische Bildungsarbeit von Menschen etabliert wurde und oft heute noch getragen wird, die selbst Diskriminierungserfahrungen machen, sehen es jedoch als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, sich gegen ungerechte Strukturen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einzusetzen. Neben theoretischen und empirischen Bezügen werden die Erfahrungen der Vortragenden aus ihrer eigenen Vermittlungspraxis thematisiert.
Gegenwärtige Herausforderungen in der antisemitismus- und rassismuskritischen Bildungsarbeit sind neben den strukturellen Rahmenbedingungen des schulischen Lernsettings ebenso auf pädagogischer und inhaltlicher Ebene zu finden. Nach dem antisemitischen Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und den darauffolgenden Reaktionen und Ausschreitungen auch in Österreich wurde die Notwendigkeit antisemitismuskritischer Bildung erneut diskutiert. Gleichzeitig wurden jene Forderung oftmals rassistisch argumentiert („Antisemitismus der Anderen“) oder die Wichtigkeit einer gleichzeitigen Rassismuskritik ausgelassen. Weiters stellt die Verbreitung islamistischer und rechtsextremer Narrative neben rassistischen Projektionen eine Herausforderung dar.
Dem Vortrag liegt die Position zugrunde, eine auf verschiedenen Ebenen pluralen Gesellschaft anzuerkennen, da sie für eine gelingende diskriminierungssensible Bildungsarbeit eine notwendige Voraussetzung darstellt. Denn die gesellschaftlichen Trennungslinien gehen schließlich nicht von migrantisch oder nicht-migrantisch aus, sondern von der Abwehr oder Akzeptanz von Pluralität.