Veranstaltungsprogramm

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Sitzungsübersicht
Sitzung
Panel 4: Postmigrantische Perspektiven auf Transtopie, Konvivialität und Feminismen
Zeit:
Mittwoch, 18.09.2024:
15:30 - 17:00

Moderator*in: Linda Supik, Rat für Migration, Deutschland
Kommentator*in: Diana Lohwasser, Universität Innsbruck, Österreich
Ort: Seminarraum 13


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Präsentationen

Von der Bühne zur Gesellschaft: Die Ursprünge des Postmigrantischen und seine transformative Kraft in der (Post-)Migrationsforschung

Jasmin Donlic1, Anita Rotter2

1Universität Klagenfurt, Österreich; 2Universität Innsbruck, Österreich

In den letzten Jahren taucht im deutschsprachigen Raum zunehmend der Begriff „Postmigration“ auf, der wörtlich übersetzt „nach der Migration“ heißt. Unter diesem Terminus lassen sich verschiedene Aspekte oder Perspektiven finden, die sich zu einem Gesamtdiskurs zu verdichten scheinen. Analog zu postkolonialen, dekolonialen oder subalternen Studien sprechen wir hier von postmigrantischen Studien. Eine radikal kritische Haltung gegenüber dominanten ethno-nationalen Deutungen und der damit einhergehenden Geschichtsschreibung ist das Markenzeichen der postmigrantischen Studien. Die postmigrantische Lesart, die aus der Kritik am etablierten methodologischen Migrantismus (Erol Yildiz) hervorgegangen ist, geht über die eingeübten Dichotomien von „Wir/Sie“ hinaus, leitet eine epistemologische Wende ein, ermöglicht neue Denkweisen, eröffnet neue Forschungsperspektiven und entwirft eine andere Genealogie der Gegenwart. In diesem Vortrag werden wir zunächst aus historischer Perspektive aufzeigen, wie die Idee des Postmigrantischen entstanden ist, welche Aspekte in jüngster Zeit diskutiert werden und wohin die zukünftige Diskussion gehen wird. Was bedeutet es, Gesellschaften postmigrantisch zu denken? Was sind die methodologischen und gesellschaftspolitischen Konsequenzen für die zukünftige Migrationsforschung in Europa? Schließlich werden wir den Begriff „Transtopie“ als eine Art realisierte Utopie einführen und ihn mit postmigrantischen Praktiken und Artikulationsformen verbinden. Die Verbindung von Transtopie mit postmigrantischen Ideen stellt somit eine Brücke zu einer zukünftigen, inklusiven Gesellschaft dar, die über traditionelle Muster und Stereotypen hinausgeht.



Verunsicherung, Aversion und Konvivialität: Affektive Dimensionen in der Geflüchteten-Unterbringung in der Postmigrationsgesellschaft

Lukas Baumann

Universität Klagenfurt, Österreich

Dieser Beitrag beleuchtet die Unterbringung von jungen Geflüchteten in Österreich im Kontext der komplexen Beziehungen zwischen dem Affektiven und den verschiedenen Konstruktionen von Raum, Zeitlichkeit, Sozialität und Politik (Ahmed). Es wird gezeigt, dass die Geflüchteten-Unterbringung als Spannungsverhältnis von Verunsicherung, Aversion und Konvivialität verstehbar ist, welches auf unterschiedliche Positionalitäten und Machtasymmetrien der Akteur*innen hinweist und gerade durch jene erst erzeugt wird. Es wird konstatiert, dass die Betonung des Affektiven als konstitutives Moment menschlichen Zusammen-Seins untrennbar mit sozialen Beziehungen verbunden ist, was in der Folge die Frage nach einer professionellen Beziehungsgestaltung von Fachkräften in den Vordergrund rückt. Das Affektive wird hier in Anlehnung an Ágnes Heller als „Involviert-Sein“ verstanden und bezieht darüber hinaus die Ebene nichtbewusster affektiver Dynamiken mit ein. Auf Basis meines aktuellen ethnografischen Forschungsmaterials wird so weiters der Frage nachgegangen, inwiefern Verunsicherung, Aversion und Konvivialität ein komplexes affektives Gefüge des „Involviert-Seins“ aufspannen und wie jenes mit Solidarität in postmigrantischen Gesellschaften zusammenzudenken ist. Schließlich wird diskutiert, inwiefern eine postmigrantische Solidarität durch affektive Dynamiken (v)er(un)möglicht wird.



Plädoyer für eine alltagspraktische Neuausrichtung kritischer Migrationsforschung

Wolf-D. Bukow

Universität zu Köln, Deutschland

Der Umgang mit Migration und Debatten über deren Bedeutung für die jeweils betroffenen Gesellschaften waren zumindest im deutschsprachigen Raum über die Jahrzehnte hinweg in aller Regel wie selbstverständlich und fraglos von einem hermeneutischen Nationalismus bestimmt - einer Sichtweise, bei der selbst ganz konkrete alltagspraktische Fragestellungen aus einer alles nationalstaatlich überhöhenden pseudogesellschaftlichen Perspektive gesehen werden. Ein solcher hermeneutischer Nationalismus hat einerseits den alltäglichen Umgang miteinander und anderseits auch die alltags- wie gesellschaftspolitischen Debatten über Migration, Mobilität und Diversität bestimmt und ein sozialadäquates Zusammenleben von Anfang in ein falsches Licht gerückt und damit unterminiert. Der alltags- und der gesellschaftspolitische Umgang miteinander hat sich dabei in einer Art self-fulfilling prophecy oft genug auch noch wechselseitig bestätigt. Das Ergebnis war ein Gesellschaftsbild, in dem Migration bzw. Mobilität und Diversität als mit der Gesellschaft nicht kompatibel, ja als eine fortwährende gesellschaftliche Provokation empfunden wird. .
Spätestens seit der postmigrantischen Migrationsforschung ist offenkundig, dass man mit der hermeneutisch-nationalistischen Orientierung gleich mehrere fundamentale Fehler gemacht. Erstens ist der für den praktischen Umgang miteinander wie für die sie begleitenden Debatten gewählte Referenzrahmen falsch: Statt eines fundierten sozialadäquaten gesellschaftlichen Bezugs, nämlich einer urbanen Gesellschaft, einer Stadtgesellschaft, hat man einen abgehobenen, nationalstaatlich geprägten Gesellschaftsmythos verwendet, so als ob Staat und Gesellschaft deckungsgleich seien. Zweitens hat man Migration, Mobilität und Diversität zu Ausnahmeerscheinungen erklärt, statt in Rechnung zu stellen, dass urbane Gesellschaften überhaupt nur entstanden sind, um ein Zusammenleben jenseits von Familien und Verwandtschaftssystemen organisieren zu können. Und drittens hat man, wenn es darum geht, Herausforderungen zu identifizieren und zu deuten, die Opfer zu den Tätern gemacht. Denn wenn Mobilität und Diversität zur DNA der Stadtgesellschaft gehören, dann kann eine Provokation ja nicht in einer Bedrohung urbaner Wirklichkeit bestehen. Die Provokation besteht dann vielmehr in dem Versuch, ein abgehobenes mythisch aufgeladenes Homogenitätsnarrativ durchzusetzen, das nicht nur die Lebensweise von Vielen als Viele, sondern sogar den Kern urbanen Zusammenlebens bedroht und nur zu immer wieder neu arrangierten Versionen von Othering führt.
Eigentlich genügt es, sich mit den Niederungen des Alltags und hier der sogar global wachsenden Attraktivität städtischer, mobiler, diverser und hochindividueller Lebensformen zu befassen. Wichtig ist dann, wirklich einmal klar zu machen, welche urbane DNA, welche sozialen Routinen und formalen Systeme sowie welche urbanen Narrative geboten sind, um ein sachadäquates, nämlich soziokulturell diverses und funktional flexibles Zusammenleben zu ermöglichen. Und gleichzeitig wäre deutlich zu machen, welche problematischen Entwicklungen, Verwerfungen, Hindernisse, Barrieren, Ausgrenzung und Diskriminierung zu beobachten sind und inwiefern hier die urbanen Möglichkeitsräume eingeschränkt, ja bedroht werden und damit eine nachhaltige Stadtentwicklung gefährdet wird. Der urbane Raum steht ja zunehmend auch für Segregations- und Homogenisierungstendenzen, für überteuerte Mieten, eine fortschreitende Gentrifizierung, für das Überhandnehmen rein profitorientierter Projekte und zunehmend auch für postrassistische Dekonstruktionsstrategien. Die bisherige kritische Dynamik in der Migrationsforschung reicht dazu genauso wenig aus wie eine bloße hermeneutische Durchsetzung postmigratischer Perspektiven. Es kommt jetzt auf eine alltagspraktische Rekonstruktion der urbanen DNA an, um eine Veralltäglichung des globalen Urbanitätsnarrativs, um die gezielte Verankerung der urbanen DNA in dem von einer lokalen Einwohner:innenschaft geteilten Alltagsbewusstsein zu erreichen..



 
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