Zum Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus am Beispiel osteuropäischer Jüd*innen und Juden in Deutschland
Darja Klingenberg
Europa Universität Viadrina, Deutschland
Das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus, etwa die Frage, ob es sich um zwei unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse handelt, wie es im Kontext der deutschen Migrations- und Rassismusforschung etablierte Forschungsposition ist oder ob ersteres eine Unterform des letzten sei, wie es die anglosprachige, besonders US-amerikanische Forschung diskutieren, wird gegenwärtig innerhalb wie außerhalb akademischer Kontexte kontrovers verhandelt. Jüd*innen als rassifizierte Personen, als Menschen, die nicht nur Antisemitismus erfahren, sondern auch unterschiedlich rassifiziert werden, die gemeinsame Entstehungsgeschichten und das Zusammenspiel von Antisemitismus und Rassismus, sowie Wechselverhältnisse verschwinden in den oft zugespitzten Debatten. Dabei sind besonders im deutschen Kontext jüdisches Leben und Formierungen von Antisemitismus nicht ohne das Zusammenwirken von Rassismus, Migrationspolitiken und Klassenperspektiven zu denken. In meinem Beitrag möchte ich daher ausgehend von Erfahrungen osteuropäischer Jüd*innen und Juden verschiedene Aspekte des Verhältnisses von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland herausarbeiten, die helfen sollen das Verhältnis genauer zu bestimmen. Jüd*innen und Juden sind in Deutschland seit Jahrhunderten heimisch und keine Migrant*innen. Diese Position wird von antisemitismuskritischen Stimmen betont, um den Versuchen, Jüd*innen als sogenannte volksfremde, der deutschen Nation nicht zugehörige Gruppe nicht nur metaphorisch auszubürgern, entgegenzuwirken. Auch der staatlich geförderte Antiantisemitismus, bzw. die Wertschätzung von jüdischem Leben in Kampagnen wie „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“, 800 Jahre jüdisches Leben in Thüringen oder Initiativen, Frankfurt am Main zur jüdischsten Stadt Deutschlands zu erklären (Klingenberg 2022), beschreiben eine solche Kontinuität. So richtig diese Aussagen sind, so verkennen sie zugleich den diasporischen Charakter jüdischer Lebenswelten heute, wie vor 200 Jahren. Sie verdecken in Teilen der Debatten der deutschen Antisemitismus-, Migrations,- und Rassimusforschung, dass Jüd*innen und Juden oft flüchtende oder migrierende Menschen waren und als solche neben Antisemitismus auch rassistischen Migrationspolitiken unterlagen und unterliegen und das antisemitische Politiken, rassifizierende wie bevölkerungspolitische Dimensionen umfassen. Anhand von drei Beispielen – osteuropäischen jüdischen und nicht jüdischen Menschen im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik, jüdischen Exil- und Fluchtrouten der 1930er und 1940er Jahre und der Migration postsowjetischer Jüd*innen – werde ich das dynamische Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus genauer betrachten. Ich werde diskutieren, wo es gemeinsame Entstehungsgeschichten der Ungleichheitsverhältnisse gibt, was als Klassifikationsproblem diskutiert werden müsste, und wo Differenzen aus unterschiedlichen disziplinären und wissenschaftshistorischen Entwicklungen zu verstehen sind. Diese Schärfung soll beitragen zu der in der Rassismusforschung geführten Diskussion, um die Übersetzung us-zentrierter Rassismusdebatten in den deutschen Kontext und darum, was denn das Spezifische am deutschen Rassismus sei. Sie will aber auch die Erkenntnisse der Rassismusforschung fruchtbar machen für Untersuchung jüdischen Lebens und Konzeption von Antisemitismus.
Die Vergangenheit in der Gegenwart: Diskursive Verwobenheiten von Rassismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus in der Lehrer:innenbildung
Aysun Doğmuş
Technische Universität Berlin, Deutschland
Mit meinem Beitrag beschreibe ich diskursive Verwobenheiten von Rassismus und Antisemitismus vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, wie sie sich in rassismuskritischen Lehrveranstaltungen des Lehramtsstudiums widerspiegeln können. Ausgangspunkt ist die Erfahrung als Lehrende, dass die Einführung in Rassismustheorie(n) als Analyse- und Reflexionsinstrument gegenwärtiger (migrationsgesellschaftlicher) Gewaltverhältnisse und ihre Übersetzungen in Schule mit auch emotional aufgeladenen, transgenerational wirkenden Bearbeitungsmodi von Studierenden einhergehen können, die zwischen Scham, Schuld, Trauer, Trauma, Sorge, Zuwendung und Ablehnung variieren. Vordergründig zeigt sich dabei eine Gleichsetzung von Rassismus (als soziales Phänomen) mit dem Nationalsozialismus (als zeitliches Phänomen), in der Rassismus als Antisemitismus – wenn auch implizit – hergestellt und in einer als abgeschlossen verstandenen Vergangenheit platziert wird. Präsent ist die Diskursfigur Rassismus als Antisemitismus der deutschen Vergangenheit, sodass weniger verhandelt wird, ob Antisemitismus eine Variante in der Strukturlogik des Rassismus ist, sondern ob gegenwärtige (migrationsgesellschaftliche) Verhältnisse überhaupt als Rassismus verstanden werden können. In diesen Verwobenheiten fungiert folglich die bürokratisierte Vernichtungspraxis des Nationalsozialismus (als körperliches Gewaltphänomen) und die Adressierung von Täter:innenschaft (als weiß-deutsch-kollektiv individualisiertes Phänomen) als diskursiver Vergleichshorizont. Zur Disposition stehen dabei (zunächst) die invarianten Erscheinungsformen des Rassismus im Spektrum von geplanter Vernichtung, Mord, körperlicher Gewalt und normalisierter Alltäglichkeit, Reflexionsmöglichkeiten transgenerationaler Verstrickungen und die Einbindung der Erfahrungszusammenhänge von Studierenden, die jenseits dieser Verstrickungen situiert sind. Hiervon ausgehend wird das Verhältnis von Antisemitismus und Rassismus in eben dieser Verwobenheit befragt und ausgelotet, inwiefern die institutionelle Separierung der beiden Forschungsfelder sich in den skizzierten Verwobenheiten widerspiegelt. Von Interesse ist schließlich, was es für eine zeitgemäße Lehrer:innenbildung bedarf, und was die Forschungsfelder für deren Gestaltung möglicherweise beitragen können.
Antisemitismusprävention – Chancen und Herausforderungen. Wie gelingt Antisemitismus kritische Präventionsarbeit?
Désirée Galert
Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Germany
Die Welt nach dem Hamas Massaker am 7. Oktober 2023 ist nicht mehr dieselbe wie davor. Das Leid im Nahen Osten findet durch zahlreiche Filter und vielzitierte Filterblasen Eingang in den politischen Diskurs in Deutschland und Europa. Debatten sind aufgeheizt bis überreizt, Begegnungen finden kaum noch statt. In dieser Gemengelage stellt sich die Frage, wie eine Antisemitismus-kritische Bildungsarbeit überhaupt gelingen kann.
In dem Vortrag wird es vor allem um Erfahrungsberichte und um Einblicke in die Praxis der politischen Bildungsarbeit gehen. Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, KIgA e.V., deren Vorsitzender ich bin, bekämpft Antisemitismus seit nunmehr über 20 Jahren in Berlin, bundesweit und in europaweiten und internationalen Netzwerken. Alleine nach dem 7. Oktober hat KIgA e.V. mit hunderten Schülern Workshops durchgeführt, Universitäten, Politiker und pädagogisches Personal geschult und beraten. Der Vortrag gibt ein Einblick in die Bildungsarbeit der KIgA, zeigt Ansätze gelingender Präventionsonsarbeit und geht darauf ein, wie wir den Herausforderungen rund um Antisemitismus in unserer Gesellschaft gerechter werden können.
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