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Sitzungsübersicht
Sitzung
Panel 13: Einsprachigkeit, Mehrsprachigkeit, Spracherwerb und sprachliche Diskriminierung
Zeit:
Donnerstag, 19.09.2024:
11:00 - 12:30

Moderator*in: Marta Guarda, Eurac Research - Bolzano/Bozen, Italien
Kommentator*in: Nadja Thoma, University of Innsbruck, Österreich
Ort: Seminarraum 14


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Präsentationen

Sprachliche Diversität und wohlfahrtsstaatliche Institutionen in der Migrationsgesellschaft – das Beispiel der deutschen Jobcenter

Franziska Schreyer1, Katja Hartosch1, Peter Kupka1, Christopher Osiander1, Angela Rauch1, Daniela Böhringer2

1Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Deutschland; 2Universität Duisburg-Essen

„Die Amtssprache ist deutsch“ – so steht es im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch, das die Sozialverwaltungsverfahren in Deutschland formell regelt. Migrationsgesellschaften wie die deutsche zeichnen sich aber durch hohe sprachliche Diversität aus. Dies stellt Herausforderungen auch an die Wohlfahrtsstaatlichkeit von Migrationsgesellschaften: Unabhängig von ihren rechtlichen Ansprüchen können sprachliche Barrieren den faktischen Zugang von Eingewanderten zu ihren Rechten behindern mit der Gefahr ihrer indirekten Diskriminierung. Umgekehrt bedeutet es für wohlfahrtstaatliche Institutionen viele Herausforderungen, wenn sie Klient*innen betreuen, die die national dominante Sprache (noch) nicht beherrschen.

Der Beitrag beleuchtet diese Spannungsverhältnisse am Beispiel von Menschen mit Fluchterfahrung, die in Deutschland von den Jobcentern betreut werden. Er verfolgt dabei einen institutionellen Fokus auf Jobcenter als zentrale street level bureaucracies im deutschen Wohlfahrtsstaat. Sie bilden eine wesentliche Säule der Arbeitsverwaltung und sind institutionelle gate keeper auf dem Weg der Menschen in den Arbeitsmarkt und die deutsche Migrationsgesellschaft. Die Jobcenter sollen nach Möglichkeit ihre Leistungen so erbringen, dass sie für alle hilfebedürftigen Menschen zugänglich sind. Das gilt auch für Beratungs- und Vermittlungsdienstleistungen für Menschen, die Deutsch (noch) nicht beherrschen.

Der Beitrag fokussiert auf folgende Fragen: Wie gehen Jobcenter als im Kern monolinguale Institutionen mit sprachlicher Diversität um? Inwieweit werden (Kommunikations-)Prozesse so gestaltet, dass sie die Zugangswege von Klient*innen mit (noch) eingeschränkter Deutschkompetenz zu ihren Rechten ebnen können? Welche Gefahren von linguistic discrimination zeigen sich? Inwieweit werden sprachliche Diversität in der Mitarbeiterschaft und professionelle Dolmetscherdienste durch die Institution Jobcenter gefördert und anerkannt? Wie verständigen sich Fachkräfte mit geflüchteten Klient*innen in ihrer konkreten Alltagsarbeit? Welche Rolle spielen technische Übersetzungstools und Sprachmittler*innen aus dem ehrenamtlichen und privaten Umfeld der Klient*innen?

Die empirische Basis bildet ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Betreuung von Geflüchteten durch Jobcenter in Deutschland. Es folgt einem Mixed-Methods-Ansatz aus quantitativen und qualitativen Methoden: Zum einen wurden die Jobcenter standardisiert online befragt. Zum andern wurden vertiefende qualitative Fallstudien in ausgewählten Jobcentern durchgeführt. Der Beitrag stellt empirische Befunde dazu vor, wie Jobcenter als zentrale wohlfahrtsstaatliche Institutionen mit sprachlicher Diversität umgehen. Theoretisch gerahmt wird der Beitrag durch Konzepte des institutionellen gate keepings, der street-level-bureaucracies und der linguistic discrimination.



Zweitspracherwerb von erwachsenen Flüchtlingen in Österreich: Einflussfaktoren auf den Spracherwerbsverlauf und den Lernerfolg in bestimmten Kursen

Keri Hartman, Lorenz Eckhard, Lisa Bertel

Österreichischer Integrationsfonds, Österreich

Trotz der Relevanz des Themas Zweitspracherwerb für die Integration von Flüchtlingen gibt es nur wenige Studien, die sich auf den formalen Spracherwerb anhand des staatlich geförderten Kursangebots fokussieren, und noch keine für den österreichischen Kontext. Aus diesem Grund wurden Daten des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) zu den Spracherwerbsverläufen von mehr als 13.000 Flüchtlingen mit Asyl- oder subsidiärer Schutzzuerkennung seit 2021 ausgewertet, um die Rolle verschiedener Einflussfaktoren auf den Spracherwerbserfolg innerhalb einzelner Kursmaßnahmen sowie über die Spracherwerbsbiographie hinweg zu bestimmen.
In der ersten Studie wurden Ereigniszeitanalysen durchgeführt, um Einflussfaktoren auf das (schnellere) Erreichen einer bestandenen A2-Prüfung nach dem ersten ÖIF-Deutschkurs zu überprüfen. Dieses Sprachniveau ist für die Bewältigung des Alltags wesentlich, muss jedoch auch als Zwischenstadium eines länger andauernden Spracherwerbsprozesses gesehen werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem der Alphabetisierungsgrad und das Alter für den Spracherwerbserfolg von entscheidender Bedeutung sind. Während davon auszugehen ist, dass die Mehrheit der 15-24-Jährigen ohne Alphabetisierungsbedarf innerhalb von 3,5 Jahren die A2-Prüfung bestehen wird, trifft diese Annahme nur auf ein Drittel der Zweitschriftlernenden und ein Fünftel der Erstschriftlernenden dieser Altersgruppe zu. Ab einem gewissen Alter sinkt die Bestehenswahrscheinlichkeit in allen drei Gruppen weiter.

Weitere Einflussfaktoren auf den Spracherwerbserfolg in den ersten 3,5 Jahren nach dem ersten Kursbesuch sind eine geringere Zeitdauer zwischen Zuerkennung des Schutzstatus und erstem Kursbeginn (was als Anzeichen der Motivation verstanden werden kann), die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und der Wohnort, wobei Letzterer einen unterschiedlichen Einfluss je nach Alphabetisierungsgrad ausübt. Während ein Wohnort außerhalb Wiens den Spracherwerb Erstschriftlernender begünstigt, haben in Wien wohnhafte Flüchtlinge ohne Alphabetisierungsbedarf bessere Chancen, eine bestandene A2-Prüfung zu erreichen, als jene außerhalb Wiens.

In der zweiten Studie wurde der Blick auf einzelne Kursmaßnahmen gerichtet, um mögliche Einflussfaktoren auf Teilnehmer- und Kursebene auf den Lernerfolg innerhalb des konkreten Kurses zu evaluieren. Auch hier zeigte sich, dass Frauen, Jüngere und Personen ohne Alphabetisierungsbedarf erhöhte Erfolgschancen aufwiesen.

Darüber hinaus hingen verschiedene Aspekte der aktiven Mitarbeit am Sprachlernprozess positiv mit dem Lernerfolg zusammen, darunter der durchgängige Besuch von Deutschkursen ohne längere Unterbrechung, die Anwesenheitsquote im aktuellen Kurs und eine kürzere Zeitdauer zwischen Statuszuerkennung und aktuellem Kursbeginn.

Die Kursgröße und die Kurszusammensetzung bezüglich demografischer Merkmale wie Alter, Alphabetisierungsbedarf, Staatsbürgerschaft oder Geschlecht übten keinen Einfluss auf den Lernerfolg aus. Das heißt, die Erfolgschancen einzelner Personen sind nicht davon abhängig, welche und wie viele andere Personen im Kurs sitzen.

Obwohl die durchgeführten Analysen wichtige Erkenntnisse zu den Einflussfaktoren auf die Spracherwerbsbiographien der erwachsenen Flüchtlinge in Österreich liefern können, stellen sie kein gesamthaftes Bild des Zweitspracherwerbs dieser Gruppe dar. Auch informelle Sprachlernmöglichkeiten wie der Spracherwerb am Arbeitsplatz, durch Selbststudium oder durch soziale Kontakte sowie von anderen Institutionen geförderte Deutschkurse spielen bei dem Erreichen eines höheren Sprachniveaus eine wichtige Rolle, die in den vorhandenen Daten nicht abgebildet werden können.



Diskriminierungserfahrungen von EU-Bürger:innen aus Osteuropa am Arbeitsmarkt in Wien

Clara Holzinger, Anna-Katharina Draxl, Elisabeth Scheibelhofer

Universität Wien, Österreich

Dequalifizierung, hier verstanden als inadäquater Einsatz des Bildungsabschlusses am Arbeitsmarkt, wird unter Migrant*innen überproportional häufig beobachtet. Bisher gibt es jedoch nur wenige Studien, die sich mit den konkreten Prozessen auf der Mikroebene beschäftigen, die zur Entstehung dieses sozialen Phänomens führen. In einem aktuellen Forschungsprojekt untersuchen wir mithilfe eines qualitativen Ansatzes Dequalifizierung aus verschiedenen Akteursperspektiven auf individueller Ebene. Wir konzentrieren uns dabei auf hochqualifizierte Migrant*innen aus osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten in der österreichischen Hauptstadt Wien. Basierend auf den Forschungsprinzipien der Grounded Theory wenden wir eine Methodentriangulation an, die eine qualitative Panelstudie mit Migrant*innen und Interviews mit institutionellen Akteuren kombiniert.

Unser Beitrag konzentriert sich auf subtile Formen der (rassistischen) Diskriminierung, die Migrant*innen aus osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten auf dem Wiener Arbeitsmarkt erfahren. Während sie weniger mit offener Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Religion oder rechtlichem Hintergrund konfrontiert sind, sehen sich unsere Befragten subtilen Prozessen der Ausgrenzung, vorrangig aufgrund von Migrationshintergrund und Sprache ausgesetzt. Diese Diskriminierungserfahrungen sind oft mehrdeutig und sowohl für unsere Forschungssubjekte als auch für uns als Forscher*innen schwer zu erfassen (und einzugestehen).

Sprachbezogene Diskriminierung zeichnet sich als besonders bedeutsam bei der Interpretation von Dequalifizierungsprozessen unter Migrant*innen ab, da diese mitunter rassistische oder ethnische Diskriminierung verschleiern kann. Wirkmächtig sind bspw. in Österreich und anderen de facto mehrsprachigen Migrationsgesellschaften Diskurse, die Kenntnisse der Landessprache(n) als Messinstrument und zugleich Schlüssel für Integration in einem als monolingual verstandenen Nationalstaat propagieren. Diese Diskurse sind hegemonial und werden mehrheitlich unhinterfragt als ‚common sense‘ akzeptiert.

Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Deutschkenntnisse nicht nur eine mittelnde, sondern auch eine soziale Funktion erfüllen – und es mitunter mehr um Ein- und Ausschlüsse als um die Weitergabe von Informationen geht. Oftmals sind es sehr subtile, feine (sprachliche) Unterschiede, die bspw. den Zugang zu beruflichen Positionen und Aufstiegschancen erschweren. Die Rolle von Sprache am Arbeitsmarkt geht folglich über Kommunikationsprobleme hinaus, da sprachbezogene Diskriminierung auch dann wirksam werden kann, wenn Sprachkenntnisse oder Akzent die Verständigung nicht behindern. Anhand von Beispielen aus unserer Forschungspraxis möchten wir den Blick darauf lenken, wie sich Rassismus durch Sprachpraktiken und Sprechen im migrationsgesellschaftlichen Kontext artikuliert und durch welche sprachspezifischen Mechanismen Ungleichheit am Arbeitsmarkt (re)produziert wird. Dabei konzentrieren wir uns nicht nur auf die Diskriminierungserfahrungen von Migrant*innen, sondern betonen auch die Bedeutung der individuellen Handlungsfähigkeit, die in den sozialen Kontext eingebettet ist, und analysieren Strategien, die eingesetzt werden, um Diskriminierung entgegenzuwirken.



 
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