Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Ethisches Urteilen und Werte im Geographieunterricht
Zeit:
Dienstag, 01.10.2024:
9:00 - 10:30

Chair der Sitzung: Jochen Laub, Universität Trier
Ort: Gebäude 3, Raum 3.009

Erdgeschoß, Seminarraum, 40 Sitzplätze, Ausstattung: Projektionsfläche(n), Dokumentenkamera, VGA/HDMI-Anschluss für externe Endgeräte, Tischmikrofon & Ansteckmikrofon, WLAN: Eduroam

Pro Vortrag incl. Nachfragen und Diskussion stehen 30 Minuten zur Verfügung.

Präsentationen

"Das System ist defekt, die Gesellschaft versagt – aber alles wird gut!" Antinomien zukunftsorientierter geographischer Bildung in der Lehrkräftebildung begegnen.

Jochen Laub

Universität Trier, Deutschland

Fast 50 Jahre nach den Mahnungen des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ (Meadows et al. 1972) ist das Streben nach Nachhaltigkeit heute wahrscheinlich gesellschaftlicher Konsens und in der Öffentlichkeit eigentlich unbestritten. Im Unterricht stehen Lehrkräfte allerdings vor verschiedenen Herausforderungen, die mit der Umsetzung des und dem Zukunftsbezug der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Unterricht verbunden sind. Gerade die Normativität des Ansatzes ist eine Herausforderung, die in kritischen Ansätzen zunehmend betont wird (Lambert 1999, Pettig & Ohl 2023; Hamborg 2022). Sie steht sowohl auf pädagogischer als auch auf inhaltlicher Ebene mit dem Bildungsgedanken in einem antinomischen Spannungsverhältnis (Singer-Brodowski 2016). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Werte und ethische Urteile von Lernenden. Derartige Spannungen können als Antinomien gefasst werden und sind im pädagogischen Diskurs um Antinomien des Lehrer*innenhandelns breit diskutiert (siehe Helsper 2001; Binder & Oelkers 2022). Geographieunterricht, der sich auf Zukunft bezieht, hält mehrere derartige Spannungsfelder bereit. Der Beitrag betrachtet in einem ersten Schritt didaktisch-pädagogische Antinomien, die im Geographieunterricht relevant sind (Freiheit – Zwang; Individuum – Struktur; Nachhaltigkeit als ökologischer Begriff – Lebenswelt, Offenheit von Zukünften – (normative) Geschlossenheit prognostischer Zugänge) (Laub 2023). Wie Lehrkräfte mental und praktisch mit diesen umgehen, ist von größter Bedeutung. Es kann davon ausgegangen werden, dass es zentral für deren Gestaltung von Unterricht ist. Lehrende müssen, wenn sie einen angemessenen Umgang mit BNE erreichen möchten, diese Spannungen reflektieren und Wege finden, sie zu integrieren (Laub 2021). In einem zweiten Schritt gibt der Beitrag einen empirischen Einblick, inwiefern Lehrer*innen hierzu in der Lage sind um drittens Vorschläge für die weitere Ausbildung von Lehrer*innen diskutieren.



Förderung ethischen Urteilens im Geographieunterricht

Marcel Barth

RPTU Kaiserslautern-Landau, Campus Landau

In Unterrichtsstunden, die das ethische Urteilen fördern möchten, kann das Weiterfragen und Ausdifferenzieren innerhalb der zentralen ethischen Kriterien im Fokus stehen (Ulrich-Riedhammer, 2017). Dieses feinere Unterscheiden innerhalb ethischer Fragen definiert Ulrich-Riedhammer als ethisches Urteilen. Zwar gibt es bspw. in der Biologiedidaktik bereits Vorschläge zur methodischen Umsetzung ethischen Urteilens in den Unterricht (Reitschert, 2009), allerdings folgen diese nicht dem hier zugrundeliegenden Verständnis. Ebenso wirft das Ausdifferenzieren innerhalb ethischer Kriterien die Frage danach auf, wie ethische Theorien zur Förderung des ethischen Urteilens integriert werden können (Applis & Scarano, 2014).

Im Zentrum des Vortrags stehen demnach die Fragen: 1) Wie kann eine schrittweise unterrichtspraktische Umsetzung zu einem so verstandenen ethischen Urteilen aussehen? 2) Wie bewerten SchülerInnen die Bereitstellung eines ethischen Wissens im Urteilsprozess? Um diese Fragen zu beantworten, wurden mithilfe des DBR-Ansatzes iterativ Lehr-Lern-Umgebungen für die gymnasiale Oberstufe entwickelt, erprobt und mit den Erkenntnissen aus qualitativen Schülerinterviews (Witzel, 1985) und Lernproduktanalysen (Flick, 2021) weiterentwickelt.

Im Vortrag werden u.a. Ergebnisse aus dem fünften Design-Zyklus zur schrittweisen unterrichtspraktischen Umsetzung präsentiert: 1.1 Formulierung ethischer Fragen, 1.2. Ordnung der ethischen Fragen, 1.3. Darlegung des ethischen Kernproblems, 2.1 Identifizierung der zentralen ethischen Kriterien, 2.2. Grad der Unterscheidung, 2.3 Analytische Fallbeschreibung.

Des Weiteren zeigte sich, dass die Bereitstellung eines ethischen Wissens den SchülerInnen dabei hilft, die Diskussion zu versachlichen, die Komplexität des Falls zu wahren, normative Setzungen entgegenzuwirken sowie eine konsensuale Einigung herbeizuführen. Allerdings kann durch eine solche Bereitstellung auch die Kreativität im Urteilsprozess eingeschränkt werden.



Kritik und Utopie – zur Relevanz des Utopie-Begriffs für eine kritische Geographiedidaktik

Georg Gudat

Friedrich-Schiller-Universität Jena, Deutschland

Aktuelle Studien zeichnen ein düsteres Zukunftsbild junger Menschen. Die Hoffnungslosigkeit nimmt zu, dass sich die Welt verbessern und Krisen bewältigt werden können. Für die Geographiedidaktik stellt sich die Frage, welche Rolle geographische Bildung für eine zukünftige Welt zu leisten vermag und wie im Unterricht das Verhältnis von bestehender Wirklichkeit und möglicher Zukünfte thematisch werden kann.

In meinem Beitrag diskutiere ich den Begriff der Utopie in seinem Verhältnis zum Kritikbegriff als eine zentrale didaktische Kategorie für den kritischen Geographieunterricht. Das Utopische kommt dabei in zweierlei Hinsicht zum Tragen: Zum einem als Gegenstand im Geographieunterricht, als Modelle einer „besseren“ Zukunft (z.B. nachhaltige Lebensweise, gerechte Stadt, …). Auch wenn Utopien in der Regel in die Zukunft verortet werden, beziehen sie sich immer auf die bestehende Gegenwart, „sie entfalten sich auf der Grundlage einer kritischen Sicht auf bestehende Verhältnisse“ (Rora 2023:171) und stellen insofern eine spezifische Form der (Gesellschafts-)Kritik dar. Zum anderen kann der Utopie-Begriff als wesentliche Bedingung für eine kritische Geographiedidaktik im Spannungsfeld von Begriff und deren Verwirklichung verstanden werden. Neben für den Geographieunterricht themenspezifischen utopischen Entwürfen lässt sich ebenso die Idee geographischer Bildung selbst als Utopie fassen. In diesem Sinne stellt Bildung einen Begriff dar, der sich nicht „in seinen historischen Interpretationen erschöpft, sondern als regulative Idee über die jeweils historisch-kontingente Ausformulierung und praktische Umsetzung hinaus relevant bleibt.“ (ebd.)

Hinsichtlich der Spannung zwischen bildhaften (Bloch) und bilderlosen Utopien (Adorno) zielt mein Beitrag darauf ab, den Utopie-Begriff einerseits als ein gesellschaftskritisches Konzept für den Geographieunterricht herauszustellen und andererseits seine Funktion als Regulativ für geographiedidaktische Theoriebildung zu reflektieren.