Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Transformative Bildung - konzeptionelle Annäherungen und Potentiale
Zeit:
Dienstag, 01.10.2024:
14:00 - 15:30

Chair der Sitzung: Marion Plien, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Chair der Sitzung: Lena Breit, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Ort: Gebäude 3, Raum 3.109

1. Obergeschoß, Seminarraum, 56 Sitzplätze, Ausstattung: Projektionsfläche(n), Dokumentenkamera, VGA/HDMI-Anschluss für externe Endgeräte, Tischmikrofon & Ansteckmikrofon, WLAN: Eduroam

Pro Vortrag incl. Nachfragen und Diskussion stehen 30 Minuten zur Verfügung.

Präsentationen

Von Elfenbeintürmen, trojanischen Pferden und Reallaboren – Perspektiven transformativer geographischer Bildung in der Publikationspraxis und Hochschullehre

Eva Nöthen1, Verena Schreiber2

1Universität Bonn, Deutschland; 2Pädagogische Hochschule Freiburg, Deutschland

Aus einem Bewusstsein um die Bedeutung von Bildung als tätige Auseinandersetzung mit der verletzten Welt wurde in der Geographie und ihrer Didaktik in den letzten Jahren die Idee einer transformativen Bildung aufgegriffen. Dabei haben wir es aktuell mit einem dynamischen, zugleich aber auch (noch) unübersichtlichen Feld zu tun, das seine Bezüge aus höchst unterschiedlichen, teils konkurrierenden konzeptuellen Strömungen, divergierenden Wissenschaftsfeldern und praktischer Bildungsarbeit erhält.

Vor dem Hintergrund dieser Dynamik präsentiert der Vortrag Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu transformativer Bildung in der geographischen Publikationspraxis und Hochschullehre. Der Vortrag spürt der Entwicklung des sich sukzessive ausdifferenzierenden Ansatzes einer transformativen (geographischen) Bildung nach, fragt nach seiner Verbreitung und Ausgestaltung in der Hochschullehre und setzt ihn in Beziehung zu benachbarten Ansätzen mit einer stärker politischen Implementierung. Im Rahmen einer methodischen Triangulation werden in einem ersten Schritt Ergebnisse einer lexikometrischen Analyse einschlägiger nationaler und internationaler geographiedidaktischer Publikationen der letzten beiden Jahrzehnte vorgestellt. Hierbei liegt der Fokus auf der Verbreitung des Begriffs der transformativen Bildung sowie den textlichen Zusammenhängen zu angrenzenden Ansätzen. In einem zweiten Schritt werden auf der Basis von qualitativen Interviews mit Lehrenden im Feld der Geographie und Geographiedidaktik leitende Gedanken, erprobte Interventionen sowie erfahrene Herausforderungen bei der Umsetzung einer transformativen Lehrpraxis identifiziert. Der Vortrag nimmt eine Synthese der Ergebnisse aus den beiden methodischen Zugängen vor und möchte damit einen Beitrag zur weiteren konzeptionellen und empirischen Unterfütterung des transformativen Bildungsbegriffs leisten.



Transformative Bildung on screen: (Selbst)Reflexion durch Film

Marion Plien

Geographisches Institut/Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, Deutschland

Spiel- und Dokumentarfilme erzählen Geschichten über Menschen, Orte sowie Ereignisse und vermitteln uns einen Eindruck darüber, wie unsere Lebenswelt gestaltet ist. Dabei bieten sie vielfältige Erfahrungsmomente, die weit über eine rein kognitive Auseinandersetzung hinausgehen und zu emotionalen sowie körperlichen Erlebnissen führen können. Die Erfahrungsmomente im Film reichen von einem ästhetischen Rezeptionserlebnis über die Unterhaltung durch den Plot sowie einer Werteorientierung bis hin zur Auseinandersetzung mit den eigenen Beziehungen zu anderen Menschen, Orten und Naturen (Plien 2017). Damit scheinen Filme ein Potenzial zu besitzen, transformative Bildungsprozesse auszulösen, die in der Geographiedidaktik als bildungstheoretische Antwort auf eine Welt im Wandel intensiv diskutiert werden und das Ziel verfolgen, die eigenen Welt-Selbstverhältnisse neu zu denken. Der Vortrag möchte dieser Vermutung folgen und an dem Spielfilm "Und dann der Regen" (2010) sowie dem Dokumentarfilm "Mein Lehrer, der Krake" (2020) aufzeigen, wie in filmischen Narrationen geographisch transformative Perspektiven anschaulich angeboten werden: im ersten Film postkoloniale Perspektiven auf neokoloniale Praktiken und im zweiten Film die Inszenierung des Mitwelt-Gedankens (aus den Mehr-als-menschlichen Geographien). Allerdings reicht hier eine unreflektierte Rezeption dieser Narrationen nicht aus, um die Welt-Selbstverhältnisse der Lernenden zu adressieren, sodass der Vortrag die Idee der transformativen Selbstartikulation von Stojanov (2022) als reflexives Steuerungsmoment für den Geographieunterricht diskutieren möchte.

Plien, M. (2017): Filmisch imaginierte Geographien Jugendlicher. Der Einfluss von Spielfilmen auf die Wahrnehmung der Welt. Stuttgart.

Stojanov, K. (2022): Bildung als begrifflich-transformierende Selbstartikulation. In: Yacek, D. (Hrsg.) (2022): Bildung und Transformation. Zur Diskussion eines erziehungswissenschaftlichen Leitbegriffs. Berlin, Heidelberg: 85-101.



Horizonte bilden - Orientierungspunkte einer geographischen Bildung des In-der-Welt-Seins in Zeiten der Ungewissheit

Holger Jahnke

Europa-Universität Flensburg, Deutschland

Unsere Gegenwart ist in besonderer Weise von Ungewissheiten geprägt. Neben der Destabilisierung vertrauter Weltordnungen und der Schwächung staatlicher Steuerungsmacht dringen immer mehr Krisen und Konflikte über Medien in unsere Lebenswelten ein. Mit der Destabilisierung des globalen Klimas scheint auch die Natur als letzte Gewissheitsinstanz ihre Funktion zu verlieren.

Die nach Jahrzehnten des Neoliberalismus omnipräsente Dominanz des „Tina“-Pragmatismus hat zu einem Mangel an Gestaltungsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeitserfahrungen geführt und gleichzeitig idealistische und utopische Gesellschaftsentwürfe verdrängt. Junge Menschen blicken mit zunehmendem Pessimismus in die Zukunft. Ihr wachsender politischer Konservatismus und die Attraktivität autoritärer Figuren kann als Suche nach Halt und Orientierung gedeutet werden.

Seit ihren Anfängen ist die Orientierung in der Welt eine der Kernaufgaben geographischer Bildung. Während seit der klassischen Geographie Orientierung durch Wissen über die Welt vermittelt wurde, so steht die geographische Bildung heute vor der Herausforderung, auf einer existentielleren Ebene Orientierung zu geben. Die Vermittlung geographischen Wissens über der Welt scheint weniger bedeutungsvoll, als mögliche Geographien des In-der-Welt-Seins. Sie können einen Beitrag leisten, den eigenen Platz in der Welt zu verorten und aus diesem Selbstbewusstsein der Positionalität in der eigenen Lebenswelt, verantwortlich, offen und kreativ den suchenden Blick auf das Unbekannte zu richten.

Unter dem Leitbild „Horizonte bilden“ möchte ich Orientierungspunkte einer geographischen Bildung vorstellen, die durch die suchende Erkundung des Unbekannten Erfahrungsräume erweitert und Erwartungshorizonte entwickelt. Die Geographie der Horizonte zielt auf eine subjektzentrierte humanistische Geographie, die aus ihrer Verankerung im Hier und Jetzt Orientierungspunkte für zukunftsorientierte Transformationen in einem unbestimmten Außen sucht.