Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Emotionen, transformative Lernprozesse und Nachhaltigkeit
Zeit:
Dienstag, 01.10.2024:
16:00 - 17:30

Chair der Sitzung: Nina Brendel, Universität Potsdam
Ort: Gebäude 3, Raum 3.109

1. Obergeschoß, Seminarraum, 56 Sitzplätze, Ausstattung: Projektionsfläche(n), Dokumentenkamera, VGA/HDMI-Anschluss für externe Endgeräte, Tischmikrofon & Ansteckmikrofon, WLAN: Eduroam

Pro Vortrag incl. Nachfragen und Diskussion stehen 30 Minuten zur Verfügung.

Präsentationen

Emotionen und Nachhaltigkeit: Ein praxistheoretischer Zugang

Daniela Lippe

Universität Graz, Österreich

Die emotionale Dimension von Nachhaltigkeit wird in der jüngeren Literatur zur BNE und auch in der geographiedidaktischen Diskussion zunehmend thematisiert. Dabei wird die Auseinandersetzung mit Emotionen oftmals auf ihre Rolle in der Überwindung eines „knowledge-action-gaps“ reduziert. Im Fokus stehen dabei überwiegend negative Emotionen, wie „climate anxiety“ oder die emotionale Verbindung zur Natur, die als Schlüssel zur Verhaltensänderung gesehen werden. Gleichzeitig steht ein psychologisches und individualisiertes Verständnis von Emotionen im Vordergrund. Während die (Umwelt-)Psychologie wertvolle Einblicke in das Zusammenspiel von Psyche, Umwelt und Nachhaltigkeit bietet, bedarf es jedoch eines interdisziplinären Zugangs zu Emotionen, der auch deren Einbettung in gesellschaftliche Verhältnisse miteinbezieht.

Das Verständnis von Emotionen als eine Form sozialer Praktiken stellt, im Gegensatz zu einem psychologischen Verständnis, Emotionen als verkörperte Verhaltensroutinen, die auf kollektiven und impliziten Wissensbeständen basieren, in den Vordergrund. Demnach sind Emotionen in individuellen Körpern verankert und agieren gleichzeitig durch diese. Dieser theoretische Zugang bricht mit einem gängigen Verständnis von Emotionen, das auf das individuelle Emotionserleben fokussiert, und erlaubt es Emotionen in ihrem situativen Kontext zu verstehen.

Dieser Beitrag lotet das Potenzial eines praktikenorientierten Zugangs zu Emotionen für die Nachhaltigkeitsbildung im Kontext des Geographieunterrichts aus und erörtert dieses anhand ausgewählter Einblicke in das partizipative Photovoice Projekt EAT+CHANGE, in dem Schüler*innen sich mit dem (nicht-)nachhaltigen Lebensmittelsystem auseinandersetzen.



Zur Bedeutung von Emotionen im Kontext emanzipatorischer und transformativer Lernprozesse im Rahmen einer BNE am Beispiel der Lernumgebung ‚Reflectory‘

Lisann Prote

Universität Potsdam, Deutschland

Emotionen, die aus der Auseinandersetzung mit Transformationsprozessen und Zielkonflikten resultieren, sollten im Geographieunterricht im Rahmen von emanzipatorischen und transformativen Lernprozessen im Sinne einer BNE (Vare & Scott 2007; Pettig & Ohl 2023) sichtbar gemacht werden, um einen produktiven Umgang mit Emotionen sowie Mitgestaltung (Pettig & Ohl 2023) und Beteiligung an einer zukunftsfähigen Welt zu ermöglichen.

Es stellt sich dabei die Frage, welchen Einfluss Emotionen haben können und inwiefern Future Skills wie Resilienz, gesellschaftliche Teilhabe oder Dialog- und Konfliktfähigkeit (Stifterverband/ McKinsey 2021, 6) für den produktiven Umgang mit Emotionen bedeutsam sind. Diesen Fragen kann mithilfe des Lernformats ‚Reflectory‘ begegnet werden.

Reflectories sind digitale Lernumgebungen, die zu den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) im Sinne einer BNE entwickelt wurden. Lernende gestalten eine fiktive Geschichte zu einem SDG und werden vor komplexe Entscheidungen gestellt, die Dilemmata darstellen (Wrenger et al. 2022), wodurch Zielkonflikte, Widersprüche und Unsicherheit erfahrbar werden. Mithilfe des eigens entwickelten Reflectory zum SDG 14 ‚Leben unter Wasser‘ soll das Zusammenwirken von BNE 2 und BNE 3 mit dem Fokus auf Emotionen untersucht werden, um daraus Implikationen für den Umgang mit Emotionen im Unterricht abzuleiten. Dafür wurde das Reflectory in verschiedenen Klassenstufen implementiert und im Rahmen von Gruppendiskussionen mit Lernenden ausgewertet. Die Daten wurden mithilfe der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker 2022) analysiert und interpretiert. Im Vortrag sollen erste Analyseergebnisse aus der Studie diskutiert und ein Impuls zum Umgang mit Emotionen gegeben werden.



Virtuelle Welten im Spiegel einer emanzipatorischen und transformativen BNE

Nina Brendel

Universität Potsdam, Deutschland

In der aktuellen Debatte um eine Bildung für nachhaltige Entwicklung und transformatives Lernen rücken Emotionen und die Befähigung zur aktiven Mitgestaltung von Zukunft zunehmend in den Fokus (Pettig & Ohl 2023, Grund & Singer-Brodowski 2020). Im Zuge dieses Vortrags soll diskutiert werden, welche Rolle virtuelle Realitäten (VR) in diesen Ansätzen einnehmen und wie sie Lernprozesse im Sinne einer BNE 2 und BNE 3 unterstützen können. Forschungserkenntnisse aus den Neurowissenschaften belegen, dass Erfahrungen in VR u.U. als real wahrgenommen werden, Einstellungen verändern und Handlungsänderungen erwirken können. Während sich hieraus z.B. für therapeutische Zwecke große Potentiale auftun, birgt diese Wirkmacht gleichermaßen Gefahren der Überwältigung und Manipulation. Denn VR wirkt quasireal, über den Körper und multisensorisch. Als stark affektives Medium ruft es individuell sehr unterschiedliche Raumerfahrungen und Emotionen (z.B. Faszination vs. Angst) hervor, die nur bedingt antizipierbar sind. Gleichzeitig ist VR damit ein Medium, das Raum für Emotionswahrnehmung und -ausdruck schafft, wie von Grund und Singer-Brodowski (2020) für eine transformative Bildung postuliert wird. Es ermöglicht, Handlungsalternativen auszuprobieren (i.S.e. Experimentierens nach Pettig & Ohl, 2023), deren Folgen zu reflektieren und Selbstwirksamkeit zu erleben, die zu Empowerment führt.

Um diese Thesen zu illustrieren, sollen Ergebnisse zweier Forschungsprojekte zur Gestaltung achtsamer VR-Lernumgebungen sowie zur Implementation von VR in den Geographieunterricht herangezogen werden.

Abschließend soll diskutiert werden, wie VR im Sinne einer BNE 2 und 3 gestaltet und in geographischer Bildung eingesetzt werden kann, um emanzipatorische und transformative Lernprozesse zu unterstützen, emotionssensibel zu wirken und Unsicherheiten und (emotionale) Lähmung zu überwinden, damit sich (junge) Menschen in ihrem Handeln als wirksam erleben und zur Mitgestaltung von Zukunft empowert werden.