Veranstaltungsprogramm

Sitzung
Symposium: Nachhaltigkeitsvisionäre: Bildungsgerechtigkeit als Ziel von Hochschul-Governance
Zeit:
Dienstag, 24.09.2024:
14:45 - 16:15

Chair der Sitzung: Dr. Tatiana Zimenkova, Hochschule Rhein-Waal
Chair der Sitzung: Prof. Dr. Jörg Petri, Hochschule Rhein-Waal
Ort: Raum 1

Gebäude 2 Raum 1-3, Erdgeschoss FernUniversität in Hagen Universitätsstraße 47 58097 Hagen
Sitzungsthemen:
Deutsch

hybrid - auf Deutsch


Präsentationen
14:45 - 16:15

Nachhaltigkeitsvisionäre: Bildungsgerechtigkeit als Ziel von Hochschul-Governance

Chair(s): Prof. Dr. Tatiana Zimenkova (Hochschule Rhein-Waal), Prof. Dr. Jörg Petri (Hochschule Rhein-Waal)

Die Hochschule Rhein-Waal ist mit über 60% internationalen Studierenden prozentual gesehen die internationalste Deutschlands. In den 15 Jahren seit unserer Gründung ist es gelungen, inzwischen landesweit bekannte Expertise aufzubauen; in Organisation und Verwaltung englischsprachiger Studiengänge, der Erfassung besonderer Bedarfe Internationaler, der Teilhabeermöglichung und Diversitätssensibilität. Die Hochschule entwickelt kontinuierlich Instrumente, um als Organisation intersektionale Sensibilität zum Zweck der Teilhabeermöglichung zu etablieren.

Die Ausrichtung der Hochschule auf Nachhaltigkeit ist in ihren interdisziplinären Fakultäten, in Studiengängen und Forschungsstrukturen verankert. Darüber hinaus war die HSRW mit ihren Aktivitäten im Bereich Nachhaltigkeits-Transformation der Region im Rahmen der Förderinitiative „Innovative Hochschule“ des BMBF mit dem Projekt TransRegINT (Transformation der Region Niederrhein Innovation, Nachhaltigkeit, Teilhabe) erfolgreich. Die Verankerung der SDGs, der nachhaltigen Transformation und die Verzahnung von Forschung, Lehre und Transfer als OneMission der Hochschulentwicklung und Governance sind auch im Hochschulentwicklungsplan verankerte, deklarierten Ziele. Die Idee ist, dass Studierende, die im Kontext der nachhaltigen Transformation, der SDGs und der demokratischen Werte gemeinsam die Hochschule mitgestalten können und nach ihrem Studium als Mutiplikator*innen nachhaltiger Entwicklung fungieren sollen – in der Region, in Deutschland und in ihren Herkunftsländern. Ist aber die HSRW als Teilhabeexpertin tatsächlich Reallabor der Internationalisierung und als nachhaltigkeitsexzellente Hochschule wirklich automatisch eine Produktionsstätte der Nachhaltigkeitsmultiplikator*innen von morgen?

Im Rahmen des Symposiums wollen wir aufzeigen, welche Hürden genommen werden sollten, damit Multiplikatoren*innenpotential nicht an den Teilhabehemmnissen scheitert. Die einzelnen Beiträge stellen die notwendigen Strukturen und Governance-Ansätze dar und diskutieren, inwiefern die intersektionale Perspektive unabdingbar ist, um die Teilhabe (internationaler) Studierender auch im Sinne des SDGs zu sichern. Zugleich wird herausgearbeitet, warum diese Intersektionalität besonders herausfordernd für Hochschulgovernance ist. Die Beiträge stellen empirisch basiert konkrete Szenarien der Hochschulgestaltung im Sinne der intersektional verstandenen Teilhabe und Nachhaltigkeit unter dem Motto „Multiplikator*innen von morgen brauchen Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe heute“ dar.

 

Beiträge des Symposiums

 

Transformative Bildungsprozesse gestalten: Internationale Studierende auf dem Weg zu selbstbestimmten Architekt*innen der Zukunft

Dr. Holger Angenent
Hochschule Rhein-Waal

Die Herausforderung, Absolvent*innen mit den nötigen Kompetenzen für eine selbstbestimmte Bewegung in einer von Krisen, Transformationen und Umbrüchen geprägten Welt auszustatten, steht aktuell im Zentrum vieler Diskussionen über die Rolle von Hochschulen. Dabei ist die zentrale Funktion von Bildung für die Umsetzung von Nachhaltigkeits- und Gerechtigkeitszielen schon lange unbestritten (Hauck-Thum et al. 2023: 1).

Ein Beispiel hierfür bietet die Hochschule Rhein-Waal, die sich intensiv mit den Anforderungen an die Gestaltung eines zeitgemäßen Hochschulstudiums auseinandersetzt. Vor dem Hintergrund ihrer internationalen Studierendenschaft liegt der Fokus hierbei insbesondere auf Aspekten der Globalisierung, Bildungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Im ersten Beitrag des Symposiums werden praxisnahe Definitionen dieser Konzepte vorgestellt, um die spezifischen Herausforderungen für Hochschulen der angewandten Wissenschaften - die einen hohen Anteil internationaler Studierender haben - zu verdeutlichen. Dabei wird auch selbstkritisch hinterfragt, inwiefern die Bemühungen um Programmevaluation, Fairtrade-Initiativen und die Förderung eines internationalen Campuslebens tatsächlich zu einer umfassenden Transformation beitragen.

Daraus folgend, stellt der Beitrag die Frage, wie Bildungsprozesse gestaltet sein müssen, um Absolvent*innen dazu zu befähigen, sich als aktive Gestalter*innen ihrer Zukunft zu verstehen. Angesichts einer Zukunft, in der sich Veränderungsprozesse immer schneller vollziehen, gewinnen die sogenannten "Future Skills" zunehmend an Bedeutung (Ehlers 2020). Allerdings bleibt im aktuellen Diskurs oftmals die Frage offen, wie diese Kompetenzen effektiv vermittelt werden können. An dieser Stelle bietet der Beitrag mit dem Konzept des "Transformativen Lernens" (Mezirov 1990/1997, Singer-Brodowski 2016) einen Impuls zur grundlegenden Lehr-/Lernprozessgestaltung, welches grundlegende Veränderungen im Denken und Handeln ermöglicht. Insbesondere in internationalen Hochschulkontexten erweist sich dieses Konzept als besonders relevant für die Entwicklung von Zukunftskompetenzen.

Insgesamt liefert der Beitrag wichtige Impulse für die Gestaltung von Studienbedingungen internationaler Studierender, die den aktuellen Anforderungen an Hochschulen gerecht werden und Absolvent*innen dabei unterstützen, sich in einer sich stetig verändernden Welt erfolgreich zu positionieren.

Ehlers, U.-D. (2020): Future Skills: Lernen der Zukunft - Hochschule der Zukunft. Wiesbaden: Springer-VS.

Hauck-Thum, U./Heinz, J./Hoiß, C. (2023): Editorial: gerecht, digital, nachhaltig! MedienPädagogik 52, S. 1-7.

Mezirow J. (1990): Fostering critical reflection in adulthood. A guide to transformative and emancipatory learning. San Francisco: Jossey-Bass Publishers.

Mezirow J. (1997): Transformative Erwachsenenbildung. Hohengehren: Schneide.

Singer-Brodowski M. (2016): Transformative Bildung durch transformatives Lernen. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 39, S. 13-17.

 

Erwartungsmanagement als erster Schritt zu nachhaltiger Chancengleichheit

Dr. Thordis Neger
Hochschule Rhein-Waal

Die Vielfalt der Lebens- und Lernkulturen an einer international ausgerichteten Hochschule führt zu einer heterogenen Studierendenschaft. Bereits vor Studienbeginn zeigen sich unterschiedliche Erwartungen an das Leben und Studieren in Deutschland. Ein besonderer Fokus liegt daher auf dem Erwartungsmanagement der internationalen Studierenden, um eine effektive und transparente Kommunikation zwischen den Anforderungen der Hochschule und den Studierenden zu ermöglichen, Missverständnisse zu vermeiden und die Zufriedenheit und den Studienerfolg der Studierenden nachhaltig zu erhöhen.

Das Erwartungsmanagement an der HSRW umfasst drei zentrale Maßnahmen, die im Rahmen des Vortrags vorgestellt und beleuchtet werden. Als erste Maßnahme wird zu Beginn des Studiums eine systematische Erhebung der Erwartungen und Erfahrungen der Studierenden in Form einer Studieneingangsbefragung durchgeführt, um Erwartungsdiskrepanzen zu identifizieren. Die Analyse der Befragungsdaten verdeutlicht den Einfluss der Erwartungskonformität auf die Resilienz, Zufriedenheit und den Studienverlauf der Studierenden und betont somit die Bedeutung des Erwartungsmanagements für eine nachhaltige Chancengleichheit. Darüber hinaus werden die Herausforderungen internationaler Studierender zu Beginn ihres Studiums sichtbar gemacht.

Als zweites Instrument dient ein soziokulturelles Online-Self-Assessment (OSA), das bereits in der Studienorientierungsphase realistische Erwartungen an das Studium und das Leben in Deutschland vermittelt. Es bietet den Studierenden eine Übersicht über die wichtigsten Studienaspekte sowie eine individuelle Rückmeldung zu ihrer generellen Einstellung zum Studium.

Als dritte Maßnahme bietet der englischsprachige Podcast „How to Hochschule“ authentische Einblicke in das Hochschulleben und vermittelt Kultur und Werte der HSRW. Der Podcast fördert das Verständnis und die Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen und unterstützt so ein Gefühl der Zugehörigkeit und Inklusion. Die Episoden behandeln auch soziokulturelle und grundlegende Aspekte des Studienbeginns, um realistische Erwartungen zu fördern.

Insgesamt zeichnet sich das Erwartungsmanagement an der HSRW durch seinen ganzheitlichen Ansatz aus. Es nutzt verschiedene Kommunikationskanäle und bindet die Stimmen der Studierenden aktiv ein. Die Kombination innovativer Instrumente wie OSA und Podcast sowie die umfassende Datenerhebung machen es zu einer wegweisenden Initiative im deutschen Hochschulsystem. Insgesamt liefert der Beitrag den Teilnehmenden ein umfassendes Verständnis für die Bedeutung und Wirksamkeit des Erwartungsmanagements und bietet praktische Einblicke sowie Anregungen für die Umsetzung in ihrer eigenen Institution.

 

Zukunftsgestalter*innen von morgen teilhaben lassen: Bildungsgerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Hochschul-Governance

Prof. Dr. Jörg Petri, Prof. Dr. Tatiana Zimenkova, Prof. Dr. Oliver Locker-Grütjen
Hochschule Rhein-Waal

Jede Hochschule, und nicht zuletzt die internationalste, operiert mit dem Versprechen, bestens ausgebildete, mit interdisziplinärer Expertise ausgestattete Nachhaltigkeitsvisionär*innen nach Deutschland, Europa und die Welt zu entlassen und so zu mehreren SDGs beizutragen. Der Beitrag geht der Frage nach, was erfolgen muss, um dieses Versprechen einzulösen, indem er eine Hochschulgoverance-Zukunftsvision darstellt, die sich aus umgesetzten Erfahrungen der Hochschule und aus operativen Entscheidungen auf der Basis eigener Evaluationen mit Blick auf die normative Zielsetzungen der Nachhaltigkeitstransformation speist.

Bildungsgerechtigkeit stellt sich im Hochschulkontext als vielschichtige Herausforderung dar (Meyer-Guckel et al 2021), gilt es doch, Studierenden aus diversen akademischen/finanziellen Verhältnissen, mit familiären Verpflichtungen, mit unterschiedlicher Nationalstaatsangehörigkeit, und häufig ohne fundierte Deutschkenntnisse für den deutschen und europäischen Arbeitsmarkt eine berufsbefähigende, zukunftsgewandte Ausbildung zu ermöglichen. Dabei ist es unabdingbar, diese Nachhaltigkeitsvisionärinnen nicht nur interdisziplinär heranzubilden, sondern sie auch intensiv in das Hochschulleben sowie in die demokratischen Prozesse der Hochschule zu integrieren und lebendige Demokratie erleben zu lassen. Hochschulen wollen jeder Person unabhängig von der Heterogenität der individuellen Voraussetzungen die optimale Verwirklichung ihrer persönlichen Ziele ermöglichen – so die idealtypische Selbstverpflichtung. Auf struktureller, inhaltlicher und organisatorischer Ebene ist bereits vieles erfüllt, um die Welttransformatorinnen mit einer diversen Länder- /Lebensexpertise auszubilden. Dabei ist diese Ausbildung nur nachhaltig, wenn sie explizit die Lebensexpertise der Studierenden, Forschenden und Bürger*innen aus allen Teilen der Welt einbezieht, auch jene, die nicht den Landeseliten angehören. Es ist somit unabdingbar, internationale Studierende zu gewinnen, ausdrücklich einschließlich solcher aus weniger begünstigten Verhältnissen – was zudem einen zentralen Aspekt der Dekolonialisierung der Hochschulen darstellt (Bhambra et al 2018). Dies geht einerseits mit Teilhabebarrieren einher, fördert aber eine inklusive Bildungslandschaft.

Wie können nun diese (ressourcenintensive) Zukunftsvisionen und Exzellenz in Forschung und Transfer einerseits und tägliche Teilhabeproblematiken andererseits auf der Ebene der Hochschulgovernance integriert werden? In einer exklusionssensiblen organisationsspezifischen Analyse (Behrendt 2024), wird auf Zukunftspotentiale und gleichzeitige Partizipationsbarrieren hingewiesen, um realistische Möglichkeiten und auch Grenzen der Hochschulgovernance darzustellen, solche Partizipationbarrieren zu durchbrechen. Um auf die Gleichzeitigkeit des (formalen) Ermöglichens mit dem (faktischen) Erschweren der Teilhabe einzugehen, identifizieren wir Partizipatiopnsbarrieren. Anhand von Beispielen in den Bereichen Sprachenpolitik, Studienorganisation und Prüfungswesen, Hochschulkommunikation wie auch Selbstverwaltung und Gremienarbeit, der demokratischen Repräsentation aller Akteure und deren faktischer Performanz genauso wie der Schnittstellen zu den sozio-ökonomischen Sphären des „Studierendenlebens“ werden sie reflektiert und Möglichkeiten zur ihrem Abbau aufgezeigt.

Der Beitrag stellt die bereits etablierten und die im Aufbau befindlichen Reaktionen auf die Herausforderungen der Bildungsgerechtigkeit vor und bricht sie auf Handlungsebenen herunter, wie des Erwartungsmanagements, der Hochschuldemokratie, Sprachbarrieren, Visakarrieren, Wissensproduktion, post-colonialer und hegemoniekritischer Ansätze, besondere Herausforderungen internationaler Studierender auf der Ebene der Hochschulgovernance mit dem Ziel, einige Lösungen zum Durchbrechen der Partizipationbarrieren anzubieten und eine realistische Zukunftsvision für die Ausbildung von Nachhaltigkeitsvisionär*innen zu umreißen.

Behrendt, Hauke (2024) Von den Rändern sprechen. In: Blaha et.al (Hg.) Inklusion und Grenzen. Soziale, politische und pädagogische Verhältnisse. Transcript, pp. 119-140

Bhambra G. K., Gebrial D., Nişancıoğlu K. (2018). Decolonising the university. Pluto Press.

Meyer-Guckel, V., Klier, J., Kirchherr, J., & Suessenbach, F. (2021). »Vom Arbeiterkind zum Doktor: Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg der Erststudierenden«. Stifterverband/McKinsey Diskussionpapier, 2.