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Sitzungsübersicht
Sitzung
Session 4 / Gruppe 7: Medien und Informatik
Zeit:
Freitag, 19.04.2024:
15:30 - 17:00

Ort: P102

Gebäude P, 56 Personen, 28 Tische

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Präsentationen

Von einer multidisziplinären zur einer interdisziplinären Fachdidaktik: Aushandlung von gemeinsamen Zugängen für eine von Digitalität geprägten Gesellschaft

Chair(s): Thomas Schmalfeldt (Pädagogische Hochschule Zürich), Björn Maurer (Pädagogische Hochschule Thurgau)

Diskutant:in(nen): Adrian Degonda (Pädagogische Hochschule Zürich), Larissa Meyer (Pädagogische Hochschule Zürich), Hanna Magdalena Züllig (Hochschule Luzern)

In einer von Digitalität geprägten Gesellschaft ist ein verantwortungsvoller, sowohl rezeptiver als auch gestaltender Umgang mit digitalen Phänomenen ein Ziel schulischer Bildung. Um solche Phänomene fachlich einordnen und didaktisch für die Kompetenzentwicklung im Unterricht aufbereiten zu können, bietet das Dagstuhl-Dreieck (Brinda et al. 2016) eine Rahmung. Die Differenzierung in eine technologische, gesellschaftlich-kulturelle und anwendungsbezogene Perspektive auf digitale Phänomene soll die interdisziplinäre Verbindung der Expertisen aus medienpädagogischen und informatischen/informatikdidaktischen Kontexten erleichtern und den Schüler:innen ein ganzheitliches Verstehen digitaler Phänomene ermöglichen.

Für die Fachdidaktik ‚Medien & Informatik‘, die zwei unterschiedliche Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Informatik) beheimatet, birgt das Dagstuhl-Dreieck insofern ein Risiko, als sich die Perspektivenverschränkung multidisziplinär aber nicht interdisziplinär manifestiert. Dies kann zu einer Arbeitsteilung im Sinne ‚Informatik = Technologie und Medienpädagogik/Erziehungswissenschaft = Gesellschaft/Kultur‘ führen, was nicht notwendigerweise eine synergiebildende Aushandlung zwischen den disziplinären Perspektiven darstellt.

Damit digitale Technologie in der Schule in ihrer Wirkung auf Gesellschaft verhandelt wird, diskutieren in diesem Symposium Vertreter:innen aus Informatik/Informatikdidaktik, Medienpädagogik, Kunstpädagogik und Ethnologie einen alternativen Zugang zur Interdisziplinarität in der Fachdidaktik ‚Medien & Informatik‘. Das Schnittfeld der Informatikdidaktik mit den genannten Disziplinen wird im Sinne des Physikers und Soziologen Galison zur ‚Trading Zone‘ (Galison 1997), in welcher Bedeutung, Funktionsweise(n) und wahrnehmbare sowie verborgene Strukturen ausgewählter digitaler Phänomene interdisziplinär „verhandelt“ werden. Die Phänomene werden als „Boundary Objects“ (Star u. Griesemer 1989) verstanden, die an der Grenze der Disziplinen liegen und deren disziplinäre Deutungen zunächst unterschiedlich ausfallen können. Betrachtet man neben den disziplinären Deutungsunterschieden auch die Gemeinsamkeiten der betreffenden Phänomene, hat die „Verhandlung“ von Grenzobjekten das Potenzial zwischen Disziplinen zu vermitteln und zu vernetzen. Die drei Beiträge des Symposiums zeigen dies auf unterschiedliche Weise auf, wobei eine disziplinäre Partnerin stets die Informatik ist: So dient das Storytelling als Grenzobjekt für die Disziplin Filmbildung, das Sticken zur Ethnologie und das Creative Coding zu den darstellenden Künsten.

 

Beiträge des Symposiums

 

Creative Coding als vermittelndes Grenzobjekt zwischen Informatik und Kunstpädagogik

Hanna Magdalena Züllig
Hochschule Luzern

Der Beitrag generiert Perspektiven auf die Praxis von ‹Creative Coding› (CC), basierend auf Medien- /Kulturtheorie, Computerkunst, informatikdidaktischer und kunstpädagogischer Forschung. CC ist eine Entwurfspraxis, in der Künstler:innen, Musiker:innen und Gestalter:innen Programmierung als Mittel ihrer Wahl einsetzen (Levin & Brain, 2021, S. 3). Die Wortzusammensetzung ‹Creative Coding› tauchte ungefähr Ende der 1990er-Jahre im Umfeld von John Maeda und dem MIT Media Lab auf: Maedas so betiteltes Buch argumentiert, dass Designer Coding als Handwerk der Zeit erlernen sollten (Maeda, 2004). Dabei stehen poetische Aspekte von Code als Sprache oder ästhetische Eigenschaften der generierten Artefakte im Vordergrund.

Nach Manovich besteht ein Charakteristikum von neuen Medienobjekten darin, dass sie sowohl unter kulturellen als auch unter informatischen Perspektiven verhandelt werden können (Manovich, 2001). Informatikdidaktik und Kunstpädagogik teilen eine lerntheoretische Grundhaltung: Lernprozesse sollen neben kognitiver Wissensaneignung auch Erfahrungen beinhalten und Schüler:innen sollen sich als Akteur:innen und Gestaltende erleben. Durch die Herstellung von Artefakten, Games, Simulationen und Animationen geraten Themen wie Imagination, Rezeption und Reflexion in den Informatikunterricht (Schelhowe, 2007). In der Kunstpädagogik wird Code zum künstlerischen Medium, wobei informatische Techniken wie Mustererkennung, Abstraktion, algorithmisches Denken gefragt sind (Bohnacker et al., 2009). Die Diskussionen um ‹Trading Zone› implizieren, dass eine problembasierte Zusammenarbeit von Vertreter:innen verschiedener Disziplinen möglich ist, auch wenn abweichende Auffassungen und Ziele mit dem bearbeiteten Gegenstand verbunden werden. Im Beitrag wird CC als ‹Trading Zone› verstanden und anhand von zwei Diskursfeldern erschlossen:

a) Medialer Aspekt von Code, bzw. wie kulturelle Aspekte des Artefakts durch informatische Prinzipien verändert hervortreten. Hierzu werden beispielhaft ausgewählte Werke aus der Geschichte der Computerkunst vorgestellt.

b) Strategien der Ermächtigung unter digitalen Bedingungen. Hier wird reflektiert, wie der künstlerische Autor:innenbegriff durch Strategien des Digitalen wie Remixing, Kollaboration erweitert und transformiert wird (Stalder, 2009).

Mit Medium und Autorschaft wurden zwei Dimensionen gewählt, die das Potential haben, Anschluss für interdisziplinäre Diskurse zu bieten. Illustriert wird der Beitrag zudem durch Bildmaterial, das aus diversen CC-Unterrichtssettings der Autorin (Hochschule, Berufsschule, 10. Schuljahr, Weiterbildung) stammt.

 

Storytelling als vermittelndes Grenzobjekt zwischen Informatik und Medienpädagogik

Björn Maurer1, Thomas Schmalfeldt2
1Pädagogische Hochschule Thurgau, 2Pädagogische Hochschule Zürich

Das Dagstuhl-Dreieck (Brinda et al. 2016) konzeptualisiert drei Perspektiven auf digitale Phänomene (technologisch, anwendungsbezogen, gesellschaftlich). In Verbindung mit der im Lehrplan 21 vorgenommenen Aufteilung von Medien- und Informatikkompetenzen kann das Dagstuhl-Dreieck so wahrgenommen werden, als sei Informatik für die technologische und die Medienpädagogik für die gesellschaftliche Perspektive zuständig - was einer multidisziplinären Herangehensweise entspräche. Das Frankfurt-Dreieck (Brinda et al. 2019) hebt diese Verkürzung zwar teilweise auf. Durch die Erweiterung der technologischen Perspektive um mediale Funktionen beispielsweise liegt auch eine medienpädagogische Betrachtung von technologischen Aspekten und eine Reflexion gesellschaftlicher Wirkungsgeflechte aus informatischer Sicht nahe. Dennoch ist Interdisziplinarität als Grundhaltung, die von Offenheit, Kontextbewusstsein und von der Anerkennung der disziplinären Grenzen geprägt ist (Philipp 2021), auch im Frankfurt-Dreieck nicht explizit angelegt.

In diesem Beitrag wird das Phänomen «Storytelling» als Boundary Object (Star u. Griesemer 1989) zwischen den Disziplinen der Informatik(didaktik) und der Medienpädagogik verstanden. In einer aushandelnden Betrachtungsweise des Phänomens (Trading, im Sinne Galisons 1999) werden die spezifischen Blickwinkel beider Disziplinen deutlich. Die Suche nach einem gemeinsamen Verständnis bzw. nach Bedeutungsschnittmengen bedingt eine Klärung des eigenen Standpunkts und dessen Grenzen (Philipp 2021). Anstatt die Sichtweise einer Disziplin der anderen unterzuordnen, wird die disziplinäre Deutungshoheit über das Boundary Object zugunsten von vertieften Erkenntnissen und erweiterten didaktischen Perspektiven aufgelöst. Im Beitrag liegt der inhaltliche Fokus der Informatik auf dem Programmieren, während in der Medienpädagogik Filmproduktion im pädagogischen Kontext im Zentrum steht.

Storytelling ist kein digitales, sondern ein anthropologisches Phänomen und eine kulturelle Universalie (Mellmann 2017). In der Filmbildung (als Teilbereich der Medienpädagogik) gerät Storytelling als Lern-Gegenstand unmittelbar in den Blick. Um die Medialität des Mediums zu verstehen, sind narrative Elemente und Strukturen sowohl bei der Rezeption als auch bei der Produktion von Filmen von Bedeutung (Maurer 2010). Filmdramaturgie entfaltet sich in einem strukturellen Arrangement im Mix aus Bild- und Wortsprache bzw. Sound. Auch die Informatik hat Bezüge zu Storytelling - wenngleich weniger offensichtlich. Im Aushandlungsprozess wird aber klar, dass in beiden disziplinären Betrachtungsweisen unterschiedliche Formen von Sprache eine Rolle spielen. Die Informatik bedient sich in erster Linie einer formalen Sprache, die auf Eindeutigkeit abzielt. So darf Programmiersprache (Code) keinen Interpretationsspielraum haben, damit er fehlerfrei kompiliert werden kann. Betrachtet man dagegen das in der Filmproduktion zum Code äquivalente Drehbuch, das die sprachlich gefasste Ausführungsbeschreibung für das Produktionsteam liefert, fallen Mehrdeutigkeiten weniger stark ins Gewicht. Bezogen auf den fertigen Film können Leerstellen sogar für das Rezeptionserleben gewinnbringend sein, was in der Informatik zum Absturz des Programms führen würde. Bei der Filmproduktion kann es Sinn machen, Filmnarration aus algorithmischer Perspektive zu betrachten. Denn auch Erzählmuster können insofern als Mittel der Problemlösung gesehen werden, als sie dazu dienen, das Produkt für ein Publikum nachvollziehbar und spannend zu gestalten. Besonders bekannt ist das Muster der Heldenreise (Vogler 2007), an welchem sich zahlreiche Spielfilmproduktionen orientieren. Storytelling als Boundary Object zwischen Informatik(didaktik) und Medienpädagogik bietet Potenzial für eine interdisziplinäre und dialogische Aushandlungsarbeit mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die sich in der Fachdidaktik Medien und Informatik nutzen lassen, um Phänomene in einer postdigitalen Gesellschaft zu verstehen und mitzugestalten.

 

Sticken als vermittelndes Grenzobjekt zwischen Informatik und Ethnologie

Adrian Degonda, Larissa Meyer
Pädagogische Hochschule Zürich

Eine der treibenden Kräfte hinter der digitalen Transformation ist die Informatik. Sie schafft die technischen Voraussetzungen, bietet aber auch bereits – geprägt durch internationale Technologiekonzerne – einen Grossteil der konkreten Umsetzungen und diktiert so substanziell den Transformationsprozess. Dabei gehen Disziplinen, deren Bezug zur Digitalisierung nicht offensichtlich ist oder die sich dem Digitalisierungsprozess bis anhin entzogen haben, unter, oder werden an den Rand gedrückt. Damit möglichst viele Teile der Gesellschaft im Zuge der digitalen Transformation nicht langfristig abgespaltet werden, muss ein Dialog zwischen Vertreter:innen der Informatik und bislang weitestgehend informatik-fremden Disziplinen entstehen. Anderenfalls werden über deren Köpfe hinweg Entscheidungen getroffen, die notwendigerweise einer Abspaltung Vorschub leisten. Nicht nur würde dies die hegemoniale Stellung der Informatik verstärken – es würde sie auch kulturell ärmer machen (Marchand 2021) und langfristig gehen ihr, im Hinblick auf die digitale Transformation, potenzielle Impulsgeber verloren.

Für den Austausch über mögliche Impulse aus unterschiedlichen Disziplinen, hier Informatik und Ethnologie, wird zunächst eine gemeinsame Sprache der Verständigung benötigt. In diesem Beitrag wird dazu der Ansatz einer sogenannten ‘Trading Zone’ (Galison 1997) verfolgt. In einer Trading Zone treffen Gruppen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen, die von sich aus keine gemeinsame Sprache besitzen und dabei selbst vordergründig gleichen Objekten unterschiedliche Bedeutungen zuweisen. Es geht darum, eine Art der Kommunikation zu finden. Eine Voraussetzung für eine solche interdisziplinäre, gleichberechtigte Kooperation ist ein gemeinsames Interesse, das als sogenanntes ‘Boundary Object’, hier das Sticken, ausgewiesen wird (Star u. Griesemer 1989).

Durch die Digitalisierung kann ein Handwerk bereichert werden, es können aber auch bis anhin wichtige kulturelle Aspekte verloren gehen. So ist traditionelles Handwerk in der sozialen Organisation einer Gesellschaft verankert: Skills, Techniken und Strategien werden erlernt, praktiziert und über Generationen weitergegeben; das erstellte Artefakt wird mit ökonomischen, sozialen oder ideellen/rituellen Bedeutungen belegt und geht mit kulturellen Urheberrechten einher (Flitsch 2019; Bruun et al. 2022). Durch die Digitalisierung kann ein Produkt zwar reproduziert werden, die damit verbundene Arbeit und zugeschriebene Geschichte, Kontexte und Bedeutungen gehen dabei jedoch verloren. Im herkömmlichen Handwerk entwickeln sich Motive und Techniken praktisch und in ihren kulturellen Belegungen weiter. Ein Grund hierfür ist, dass beispielsweise beim Sticken skilled practice der Logik des Stickfadens folgt und davon ausgehend die Möglichkeiten von Mustern weiter ausreizen kann (Marchand 2021). Durch das Fehlen des manuellen Handwerks würde dieser Prozess im Zuge der Digitalisierung zu Ende gehen, da nur noch aus bestehenden Datenbanken Muster abgerufen werden und der Bezug zur Quelle, mit der weiter entwickeltes kulturelles Hintergrundwissen verbunden ist, verloren geht. Die Digitalisierung kann ein Handwerk aber auch bereichern. Sie ermöglicht beispielsweise, dass repetitive Routinen an eine Maschine delegiert werden können und die Hand frei wird für komplexere Herausforderungen (Flitsch u. Mertens 2016) oder dass durch Algorithmen generativ neue, die Handwerker:innen inspirierende Muster entstehen können. Mit der Verbreitung von computergesteuerten Stickmaschinen hat die Informatik Einzug in die Stickerei gefunden und sich über Consumer Geräte in den Heimgebrauch ausgeweitet. Während vorerst nur vorgegebene Muster angepasst werden konnten, erlauben neuere Programmierumgebungen wie TurtleStitch (Wolz, Auschauer u. Mayr-Stalder 2019) oder PEmbroider (Levin 2020) den Einsatz im Schulunterricht ab der Mittelstufe.



 
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