Bedeutung von ausserschulischen Lernorten (ASLO) in der Lehrpersonenausbildung aus fachdidaktischer Perspektive
Chair(s): Katharina Kalcsics (PHBern, Schweiz), Stefan Valkanover (PHBern, Schweiz), Verena Huber Nievergelt (PHBern, Schweiz), Vitus Furrer (PHBern, Schweiz), Nadine Ritzer (PHBern, Schweiz), Andreas Stadelmann (PHBern, Schweiz), Andrea Wirthensohn (PHBern, Schweiz)
Diskutant:in(nen): Barbara Jaun-Holderegger (PHBern, Schweiz), Andrea Wirthensohn (PHBern, Schweiz), Stefan Valkanover (PHBern, Schweiz)
Ausserschulisches Lernen und ausserschulische Lernorte sind aktuelle Arbeitsfelder mehrerer Fachdidaktiken. Lernen findet zunehmend im Kontext komplexer Problemstellungen und eines systemischen Weltverständnisses statt, wovon verschiedene Fächer profitieren können. Dies erfordert eine Verknüpfung von Lernen innerhalb und ausserhalb der Schule und eröffnet den Fachdidaktiken, als vernetzende Wissenschaften neue Aufgaben zu übernehmen. Wenn die Anwendung von Wissen und Können ausserhalb der Schule erfahrbar werden soll, dann braucht es auch an den ausserschulischen Lernorten vermehrt fachdidaktisches Know-how.
Aufgrund der inter- und transdisziplinären Ausrichtung ausserschulischer Lernorte eröffnen diese vielfältigen Möglichkeiten, mit denen direkte Begegnungen und Erkundungen vor Ort für Schülerinnen und Schüler mehrperspektivisch ermöglicht werden können. Dabei stellt sich die Frage, welchen Beitrag die Fachdidaktiken konkret leisten können, um einerseits ausserschulische Lernorte für das schulische Lernen fruchtbar zu machen und andererseits eine optimale Vernetzung zwischen Schule, Politik und Öffentlichkeit zu ermöglichen.
Am [anonymisiert] werden die Potenziale, Aktivitäten und Zielsetzungen ausserschulischer Lernorte aus den Perspektiven der drei Fachdidaktiken Textiles und Technisches Gestalten, Sport und Bewegung sowie Natur Mensch Gesellschaft (Naturwissenschaftsdidaktik, Geschichtsdidaktik etc.) bearbeitet. Die Koordination unter den Fachdidaktiken soll Synergieeffekte in Forschung und Lehre verschiedenen Bereichen der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sowie der Weiterbildung ermöglichen. Auf der Grundlage empirischer Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden im vorgeschlagenen Symposium folgende Fragen diskutiert: Wie können ausserschulische Lernorte mit fachdidaktischem Wissen strukturiert und didaktisiert werden? Wie kann schulisches Lernen durch ausserschulische Lernorte positiv lern-wirksam bereichert werden? Wie müssen Begegnungen an ausserschulischen Lernorten gestaltet werden, damit ein narrativer und forschender Zugang zu Lerninhalten möglich wird?
Auf dieser Basis diskutieren wir die übergeordnete Frage, welche Aufgaben für die Fachdidaktiken neu dazukommen bzw. in Zusammenarbeit mit ausserschulischen Lernorten geschärft werden müssen, um das Potenzial einer vernetzenden Wissenschaft wahrzunehmen.
Beiträge des Symposiums
Gestaltung nachhaltiger Bergsportaktivitäten – Entwicklungsforschung zu Bewegungswagnissen
Vitus Furrer, Stefan Valkanover
PHBern, Schweiz
Im Projekt [anonymisiert] können Schulklassen ihr Schulzimmer für eine Woche mit der alpinen Umgebung [anonymisiert] tauschen. Dabei sollen die Kinder mit bergsportlichen Aktivitäten physisch, psychisch und sozial herausgefordert werden. Damit das sportpädagogische Potential der intendierten Wagniserfahrungen ausgeschöpft werden kann, sind allerdings spezifische Inszenierungen notwendig: Nach Neumann (2020) sind Bewegungswagnisse individuelle kompetenzabhängige Herausforderungen, die «bewusst aufgesucht (…), souverän ausgehalten (…) und mit Bedacht aufgelöst (…) werden» (S. 6). Die erlebten Emotionen sind beim Gelingen oder Misslingen entsprechend zu reflektieren. Obwohl das Potential von Bergsportaktivitäten in Fachkreisen Anerkennung findet, wird diese Reflexionsarbeit vernachlässigt (Damisch, 2000).
Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist Absichten und Strategien eines Bergführers in der Umsetzung von Kletter- und Wanderaktivitäten zu dokumentieren und interpretieren, um Grundlagen für Lehrmaterialien zu Bewegungswagnissen im ausserschulischen Kontext zu entwickeln.
Die vorliegende Einzelfallstudie orientiert sich am Forschungsansatz Design Research, welcher durch iterative Zyklen der Lerngegenstandstrukturierung, der Design-Entwicklung sowie deren Prüfung auf die Erarbeitung von wissenschaftlich fundierten Lehrunterlagen fokussiert (Prediger et al., 2015). Anhand von teilnehmender Beobachtung verschiedener Bergsportaktivitäten werden kritische Ereignisse in herausfordernden Situationen extrahiert und im Rahmen eines Interviews mit dem unterrichtenden Bergführer analysiert.
Die Analysen der kritischen Ereignisse verweisen auf die Bedeutung von Angstbewältigung. Dabei kann festgestellt werden, dass der Bergführer Kompetenzerwerb wiederholt als Strategie im Umgang mit Angst einsetzt. Weiter versucht er über kognitiv-verbale Anweisungen angstreduzierend auf die Kinder einzuwirken oder nach herausfordernden Situationen zu loben. Reflexionen zu den individuellen Erfahrungen der Schüler*innen finden nicht statt. In Einzelgesprächen können z.T. nicht intendierte, unstrukturierte Reflexionen festgestellt werden. Aus Sicht des Bergführers sind Reflexionen nur dann angezeigt, wenn die Problemlösungsstrategien der Kinder nicht erfolgversprechend sind.
Die Strategien des Bergführers verweisen auf die hohe Bedeutung von technischen Instruktionen, um Bewegungswagnisse erfolgreich zu bewältigen. Obwohl Bergsportaktivitäten hohe physische Handlungs- und Erlebnisdimensionen aufweisen, werden letztere nicht thematisiert. Um dem entgegenzuwirken, wurde basierend auf abgeleiteten Kriterien für Lehrunterlagen ein Tool mit drei Reflexionsinstrumenten u.a. für Lehrpersonen entwickelt, um die Wagnissituationen von Bergsportaktivitäten reflexiv zu begleiten und so eine gezielte Entwicklungsförderung zu ermöglichen. Die Lehrunterlagen wurden vom Bergführer mehrheitlich positiv bewertet und können nun in der Praxis getestet und weiterentwickelt werden.
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen – eine Begegnung von Schulklassen mit Zeitzeug:innen an einem ausserschulischen Lernort (ASLO)
Nadine Ritzer, Andreas Stadelmann
PHBern, Schweiz
Aufgrund des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) im Jahr 2016 und dem darauffolgenden Auftrag des Bundes, in den Kantonen ab 2017 Zeichen der Erinnerung zum Gedenken an die Opfer zu setzen, wurde im Kanton Bern das Projekt [anonymisiert] lanciert. Neben einer Gedenktafel, einem Gedenkanlass, einer Internetseite und einer Plakatausstellung wurden in Zusammenarbeit mit [anonymisiert] und dem Erzählbistro auch ausserschulische Lernorte im Staatsarchiv und im Politforum Bern eingerichtet, an denen Schulklassen der Sekundarstufe I Zeitzeug:innen begegnen und das Thema anschliessend mittels verschiedener Lerninseln vertiefen können.
Da das Thema der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen mit viel Leid behaftet ist und ein Interview mit Betroffenen Fingerspitzengefühl, aber auch viel fachliche Expertise erfordert, um die individuelle Geschichte in den historischen Kontext einordnen zu können, war es dem Projektteam wichtig, einen «sicheren Raum» und einen gut strukturierten Anlass zu gestalten. Aus diesem Grund werden am ausserschulischen Lernanlass geschulte Moderator:innen eingesetzt, die zusammen mit ihnen vertrauten Zeitzeug:innen das Lernen der Schüler:innen leiten. Für die Lehrpersonen sind Vor- und Nachbereitung flexibel wählbar. Je nach Engagement und Zeitgefäss können die Klassen mit minimer Vorbereitung am Workshop, der 2.5 h dauert, teilnehmen und/oder davor oder danach vertiefend und umfassend am Thema (weiter-)arbeiten.
Aus fachdidaktischer Sicht bietet das Setting nicht nur einen exemplarischen, narrativen und personifizierten Zugang zur Geschichte, sondern auch einen fachlich fundierten Einblick in das Thema «Administrative Versorgung und Fremdplatzierung». Da die vertiefenden Inhalte vorwiegend auf Quellen basieren, seien es Akten aus dem Staatsarchiv selbst oder Bildquellen, wird neben der Sach- auch die Methodenkompetenz geschult. In einer abschliessenden Diskussion, in der die Zeitzeug:innen wichtiger Teil sind, wird zudem der Bogen zur Politischen Bildung geschlagen. Das politische, gesellschaftliche und publizistische Engagement der Betroffenen und ist entscheidend für die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Zeitgeschichte. Dieses ist, wie auch die Erinnerungskultur in Form von Oral History, wichtiger Teil des LP21 im Fachbereich RZG.
Der Symposiumssbeitrag beleuchtet die didaktischen Überlegungen hinter dem Lernanlass und zeigt mit Lernspuren aus den bisherigen Durchführungen, wie dieser zum historischen Lernen beitragen kann, aber auch, wo die Grenzen einer solchen Begegnung mit Zeitzeug:innen liegen.
Räume von Designschaffenden als Inspiration für schulische Fachräume nutzen
Andrea Wirthensohn, Verena Huber Nievergelt
PHBern, Schweiz
In der Bildungslandschaft verändert sich der Kontext des Lernens ständig. Ein Schlüsselelement dieser Veränderung ist der physische Raum, in dem Lernen stattfindet. Mit der Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 stellt sich die Frage, ob traditionelle Fachräume für Textiles und Technisches Gestalten (TTG) in der Schule zeitgemässen pädagogischen Ansprüchen genügen. Diese Frage bildet den Ausgangspunkt der vorgestellten Studie und steht im Zentrum des Beitrags.
Mittels einer umfassenden Literaturrecherche und qualitativen Interviews mit Designschaffenden ausserhalb der Schule wurde untersucht, welche Wirkung die Raumgestaltung auf gestalterisches Schaffen haben kann, welche spezifischen Anforderungen professionelle Designschaffende an ihre Arbeitsräume stellen und wie sich diese Anforderungen in der Raumgestaltung manifestieren. Mit dieser Perspektive wird versucht zu verstehen, welche Elemente der Raumgestaltung das gestalterische Schaffen zu unterstützen vermögen und wie aufgrund von diesen Erkenntnissen von ausserschulischen Orten für die Schule gelernt werden kann.
Die Interviews bieten einen vertieften Einblick in Bezüge zwischen Raumgestaltung und gestalterischem Schaffen. Die Datenanalyse identifizierte mehrere Schlüsselaspekte der Raumgestaltung, die das gestalterische Schaffen positiv beeinflussen können: Flexibilität und Freiheit, Neutralität und gleichzeitig eine gewisse Imperfektion der Räume, die Möglichkeit zur Raumaneignung, die Sichtbarkeit von Arbeiten und Materialien und eine Balance zwischen Ordnung und Chaos. Daraus lassen sich drei Haupterkenntnisse ableiten, die für Fachräume im TTG besonders relevant erscheinen: (1) Die Bedeutung der Sichtbarmachung von Arbeiten und Materialien als Inspirationsquellen. (2) Die Bereitstellung von genügend Freiraum und Flexibilität, um ein Gefühl der gestalterischen Freiheit zu fördern. (3) Die Schaffung von Möglichkeiten für verschiedene Perspektiven durch räumliche und soziale Vielfalt.
Die Anwendung dieser Erkenntnisse in schulischen Fachräumen hat das Potential, die gestalterischen Tätigkeiten der Schüler:innen zu unterstützen. Darüber hinaus laden die Erkenntnisse zu weiterer Forschung ein, um beispielsweise zu untersuchen, wie diese Erkenntnisse praktisch in Fachräumen der Schule angewandt werden können und welchen Einfluss eine angepasste Raumgestaltung auf die gestalterische Tätigkeit von Schüler:innen haben kann. Abschliessend kann dieser Beitrag einen Impuls für eine Neubetrachtung der Gestaltung von schulischen TTG-Fachräumen bieten, inspiriert von den Arbeitsräumen professioneller Designschaffender.