11:00 - 11:30Facetten professioneller Lehrkompetenz für den lernwirksamen Einsatz von Erklärvideos im Fach Natur und Technik erheben und fördern
Michelle Hermann1,2, Markus Wilhelm1, Markus Rehm2, Dorothee Brovelli1
1Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz; 2Pädagogische Hochschule Heidelberg, Deutschland
Erklärvideos haben in den letzten Jahren, aufgrund ihrer Popularität, als Bildungsmedien zunehmend Bedeutung erlangt (Cwielong und Kommer 2020). Im Zuge der pandemiebedingten Phasen des Lernens auf Distanz kamen Erklärvideos auch vermehrt für das schulische Lernen zum Einsatz (u.a. Wössmann et al. 2020) und etablieren sich seither zunehmend als ergänzende Bildungsmedien – insbesondere für Unterricht ab der Sekundarstufe I. Allerdings unterliegen Erklärvideos von partizipativen Plattformen wie YouTube – anders als etablierte Bildungsmedien – keinen Qualitätskontrollen und sind daher von heterogener Qualität (Kulgemeyer 2018). Entsprechend sind Lehrpersonen in der Unterrichtsvorbereitung als Gatekeeper mit der Qualitätsbeurteilung von Erklärvideos bei der Auswahl und der adäquaten unterrichtlichen Einbettung gefordert.
Der Beitrag präsentiert vor diesem Hintergrund eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Mixed-Methods-Studie, die in den Jahren 2022 und 2023 situationsspezifische fachdidaktische Kompetenzfacetten für den lernwirksamen Einsatz von Erklärvideos im Fach Natur und Technik bei (angehenden) Lehrpersonen der Sekundarstufe I erhoben hat. Indikator für die Kompetenzfacetten ist im Rahmen der Studie die professionelle Wahrnehmung (van Es und Sherin 2008) von Merkmalen der Lernunterstützung als Mass für die Qualität von Erklärvideos. Zur Operationalisierung der Qualität der als Stimuli eingesetzten Erklärvideos wurde aus der Verknüpfung von etablierten Qualitätsmerkmalen von naturwissenschaftlichem Unterricht (Heinitz und Nehring 2020) mit Qualitätsmerkmalen für Erklärvideos (u.a. Kulgemeyer 2018) ein Kriterienraster ausgearbeitet. Im Rahmen eines Expertenratings charakterisierten 17 Fachpersonen die als Stimuli eingesetzten Erklärvideos entlang des Kriterienrasters. Die dabei generierte Expertennorm bildete die Basis für die inhaltsanalytische Auswertung der von den Studienteilnehmenden (n=330) vorgenommenen Einschätzungen der eingesetzten Erklärvideos. Die Studienteilnehmenden wurden im Rahmen der Erhebung aufgefordert, ihre Wahrnehmungen von in den Erklärvideos ausgeprägten Lernunterstützungsmerkmalen (noticing) zu notieren, gestützt darauf Erklärvideos auszuwählen und ihre Wahl zu begründen (knowledge-based reasoning). Zudem waren sie gebeten, Vorschläge für eine adäquate unterrichtliche Einbettung der Erklärvideos zu machen. Ergänzend wurden für die Fähigkeit zur professionellen Wahrnehmung potenziell erklärende Faktoren erhoben (unter anderem Facetten naturwissenschaftsdidaktischen Wissens, der Ausbildungsstand, gemachte Praxiserfahrungen sowie Einstellungen gegenüber digitalen Medien).
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Teilnehmenden die Qualität der Erklärvideos oft überschätzten, was gut zu Resultaten aus situierten Erhebungen der professionellen Wahrnehmung mittels Videovignetten passt, wonach angehende Lehrpersonen im Gegensatz zu erfahrenen Lehrpersonen lernunterstützende Massnahmen der kognitiven Aktivierung oder inhaltlichen Strukturierung in präsentierten Unterrichtsmitschnitten häufig übersehen (Meschede et al. 2017). Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass (angehende) Lehrpersonen das in Erklärvideos als digitale Medien theoretisch vorhandene lernunterstützende Potential (Nerdel und Kotzebue 2020) häufig nicht ausschöpfen. Vor diesem Hintergrund thematisiert der Beitrag Zusammenhänge zwischen den erhobenen Fähigkeiten und erklärenden Faktoren und leitet daraus Ansätze für die Aus- und Weiterbildung von Naturwissenschaftslehrpersonen zur Sensibilisierung auf Qualitätsaspekte von Erklärvideos und damit zur besseren Ausschöpfung des Potentials des Mediums ab.
11:30 - 12:00Präkonzepte 4- bis 9-jähriger Kinder im Bereich Nature of Science
Brand Gabriele, Brugger Patric, Christina Colberg
Pädagogische Hochschule Thurgau, Schweiz
Ein angemessenes Wissenschaftsverständnis wird im Bereich der Naturwissenschaftsdidaktik als Nature of Science (NoS) diskutiert und deshalb als relevant erachtet, weil moderne Gesellschaftsformen durch Naturwissenschaft und damit verbundene technische Entwicklungen geprägt sind (Billion-Kramer, 2021). Ein Verständnis davon zu haben, wie der (natur)wissenschaftliche Erkenntnisprozess abläuft, stellt somit einen wichtigen Teil von Allgemeinbildung dar und kann als Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe angesehen werden (vgl. z.B. Bromme und Kienhues, 2008).
Vor diesem Hintergrund orientiert sich die hier vorgestellte Arbeit insgesamt an der Fragestellung, wie Alltagskonzepte hin zu wissenschaftlich korrekten Konzepten in Bezug auf das Wesen der Naturwissenschaften (Nature of Science; NoS) bei 4-9jährigen Kindern entwickelt werden können.
Konkret ist für das hier präsentierte Projekt die Frage, welche Vorstellungen Kinder sowohl von (Natur)wissenschaften als auch von Tätigkeiten von Forschenden haben, leitend und fokussiert somit auf NoS. Über Interviews mittels dem sprachlich und kulturell übersetzten Instrument YCVOS (The Young Children’s Views of Science, Lederman, 2010) werden die NoS-Konzepte der jungen Kinder unserem Kenntnisstand nach erstmals für den deutschsprachigen Raum erhoben.
Die Datenauswertung bedient sich einer qualitativen Herangehensweise, welche auf das interpretative Sinnverstehen fokussiert (Lamnek, 2005). Dabei dient die qualitative Inhaltsanalyse als strukturgebender methodischer Rahmen (Berg, 2007; Kuckartz, 2022), wobei sowohl auf eine induktive Kategorienentwicklung als auch auf eine deduktive Kategorienanwendung der in der Fachliteratur beschriebenen NoS-Aspekte zurückgegriffen wird. Die vorliegenden ca. 20 Interviews werden anhand eines entwickelten Codiersystems qualitativ ausgewertet.
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Präkonzepte der Kinder v.a. auf die „empirische Vorgehensweise“ der Naturwissenschaften fokussieren, obwohl auch andere NoS-Kategorien wie beispielsweise die „Vorläufigkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse“ ersichtlich werden. Ebenfalls sichtbar wird, dass die NoS-Aspekte überlappend sind, da einzelne Aussagen gleichzeitig mehreren Aspekten zugeordnet werden können.
Das Projekt nimmt auf drei Ebenen Bezug zum Tagungsthema:
1. Kinder haben eine stark alltagsbezogene und noch keine fachdisziplinäre Sicht auf die Welt. Dem wird im Fach Bereich Natur, Mensch, Gesellschaft Rechnung getragen, indem verschiedene Disziplinen berücksichtigt und gemeinsam gedacht werden. Die einzelnen Disziplinen werden zwar in den unterschiedlichen Landesteilen und somit Sprachräumen anders benannt und eingeteilt. Unabhängig davon ist es aber immer Ziel, im Sachunterricht interdisziplinär und vernetzt denken. Das Projekt fokussiert auf die Denkstrukturen von Kindern bezüglich ihres Verständnisses von (Natur)wissenschaft und zeigt damit u.a. den Vernetzungsgrad ihres Denkens auf.
2. Die Fachdidaktik Naturwissenschaften steht als vernetzende Disziplin in enger Wechselbeziehung zu weiteren Wissenschaften, wie der Erziehungswissenschaft, den Fachwissenschaften und verschiedenen Metawissenschaften wie die Erkenntnistheorie und die Wissenschaftstheorie (Gropengiesser, Kattmann und Krüger, 2019). Das Nature of Science-Konzept kommt somit als Metawissenschaft in der vorliegenden Arbeit in doppelter Hinsicht zum Tragen – als Gegenstand der Untersuchung und im Forschungsprozess selbst. Die Vernetzung findet daher zwischen dem Inhalt und dem Prozess statt.
3. Das Projekt enthält darüber hinaus einen innovativen Lehransatz. Studierende des Studiengangs KGU wurden im Rahmen ihrer forschungsmethodischen Ausbildung in Form von studentischer Partizipation an dem hier beschriebenen Projekt beteiligt. Dadurch wird einerseits ein positiver Beitrag zur Meta-Reflexivität der beteiligten Studierenden geleistet und zudem ein Diskurs zwischen Forschenden und Studierenden möglich.
12:00 - 12:30Die Nutzung von Strategien während des Transferprozesses in der Physik
Daniel Gysin1, Markus Rehm2, Dorothee Brovelli1
1Pädagogische Hochschule Luzern, Schweiz; 2Pädagogische Hochschule Heidelberg, Deutschland
Beim Transfer von physikalischen Konzepten wenden Schüler*innen metakognitive Strategien an. Durch die Nutzung solcher Transferstrategien werden beispielsweise Analogien gebildet, die Perspektive von Subjekten des Aufgabenkontexts eingenommen oder neue Erkenntnisse aus dem Lösungsprozess abgeleitet. In der hier präsentierten, mehrteiligen Studie wurden Transferprozesse und Transferstrategien, bezogen auf den Themenbereich der Energie, zuerst qualitativ in Form von Laut-Denken-Interviews (N=20) untersucht (Gysin & Brovelli, 2021). Anschliessend wurde mittels eines eigens entwickelten Fragebogens in einem quantitativen Studiendesign (N=456) erhoben, wie oft die aus der Interviewstudie und der Theorie bekannten Transferstrategien beim Lösen einer physikalischen Transferaufgabe eingesetzt wurden (Gysin et al., 2023). An der Studie teilgenommen haben Schüler*innen der Sekundarstufe I und II. Da Transfer auch vom Umgang mit den Merkmalen des Aufgabenkontexts abhängig ist und nach dem akteur*innenorientierten Transferansatz (AOT, Lobato, 2012) ein individueller Prozess darstellt, wurden in der Studie der Aspekt der Kontextorientierung im vorangegangen Unterricht zum Thema Energie wie auch das Alignment (vgl. diSessa & Wagner, 2005) der individuellen Wissenselemente der Proband*innen mit den Kontextmerkmalen der in der Studie verwendeten Transferaufgabe berücksichtigt. Die theoretische Grundlage dazu lieferte die «Coordination Class Theory» (diSessa & Wagner, 2005) respektive der «Transfer in Pieces»-Ansatz (Wagner, 2006, 2010). Wissen und Konzepte werden nach diesem Ansatz in jeder Transfersituation neu konstruiert; immer in Einbezug von Merkmalen des Kontext der Situation. Das transferierte Wissen liegt nicht in Form von ganzen Konzepten vor, sondern fragmentiert in einzelne Elemente, die miteinander koordiniert werden müssen. Dabei spielen die bereits erwähnten metakognitiven Transferstrategien eine tragende Rolle. In der Studie wurden ergänzend auch affektive Faktoren wie das situationale Interesse (Krapp, 1999) am Unterricht sowie inhaltliche Aspekte des Transfers erhoben. Mit einer Strukturgleichungsmodellierung konnte abschliessend gezeigt werden, dass Schüler*innen, die den vorangegangenen Natur- und Technik-Unterricht respektive Physik-Unterricht als stärker kontextualisiert wahrnahmen, gewisse Strategien beim späteren Transfer signifikant häufiger einsetzten. Weiter hat die wahrgenommene Kontextorientierung einen positiven Effekt auf das situationale Interesse.
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