ADLES Symposium Fremdsprachendidaktik: Professionsforschung in der Fremdsprachendidaktik
Chair(s): Linda Grimm (PHSG, Schweiz)
Diskutant:in(nen): Dr. Linda Grimm (PHSG), Prof. Dr. Stefan Keller (PHZH), Prof. Dr. Sybille Heinzmann (PH FHNW)
Dieses Symposium wird vom Verband Fremdsprachendidaktik Schweiz (Association en didactique des langues étrangères en Suisse – ADLES) organisiert und präsentiert neue Forschungen Ausbildung von Fremdsprachenlehrersonen in der Schweiz. Die Ausbildung von Lehrpersonen ist ein zentraler Aspekt von Fachdidaktik, wobei eine Professionalisierung sowohl wissenschaftlich wie berufspraktisch anschlussfähig erfolgen soll: Angehende Lehrpersonen müssen mit zentralen Befunden der fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Forschung vertraut werden wie auch zum praktischen Handeln im Klassenzimmer befähigt werden. Mit diesem Moment der Professionalisierung zwischen Forschung und Praxis befassen sich die Beiträge in diesem Symposium aus unterschiedlichen Perspektiven.
Im ersten Beitrag, verfasst von Anna Schröder-Sura, Mara De Zanet und Lukas Bleichenbacher, wird die mehrsprachige Lehrerausbildung SEK I der Pädagogischen Hochschule St. Gallen (PHSG) präsentiert, die die Dozierenden dieser Module vor Herausforderungen bei der sprachenübergreifenden Lehre stellt. Basierend auf Interviews mit Dozierenden wurden eine mehrsprachigkeitsdidaktische Orientierungslandkarte und eine Übersicht plurilingualer und interkultureller Kompetenzen für Lehrpersonen entwickelt (Bleichenbacher et al. 2019b; Gerber et al. 2023). Diese sollen die Strukturierung der sprachenübergreifenden Module unterstützen und die sinnvolle Integration verschiedener Sprachen ermöglichen. Der zweite Beitrag von Bettina Imgrund befasst sich mit den Chancen von Fallstudien als Zugang zur Untersuchung von Unterrichtsqualität und professioneller Entwicklung in der Fremdsprachendidaktik (Agudo, 2015). Im dritten Beitrag von Angela Schlatter und Stefan Keller wird die Entwicklung eines fachspezifischen Evaluationsinstruments für den Fremdsprachenunterricht behandelt. Das Ziel des Projekts ist es, ein fächerübergreifendes Modell zu entwickeln, das zugleich auch lerngegenstandspezifisch ausdifferenziert werden kann (Reusser et al., 2021). Daraus soll ein Evaluationsinstrument erstellt werden, das konkrete Unterrichtssituationen hinsichtlich spezifischer Qualitätsmerkmale analysierbar macht und in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen eingesetzt werden soll.
In den drei Beiträgen dieses Symposiums werden zentrale Themen des Fremdsprachenunterrichts angesprochen. Der Fokus liegt dabei auf der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen. Die drei Projekte haben das Ziel die Qualität des Fremdsprachenunterrichts zu verbessern und daraus Optimierungs- und Anpassungsmöglichkeiten für die Lehrpersonenbildung zu entwickeln. Das Symposium verbindet Arbeiten aus verschiedenen Pädagogischen Hochschulen der Schweiz (PH St.Gallen, PH Schaffhausen, PH Zürich), die sich auf die Fremdsprachenfächer und gleichzeitig für alle schulischen Fächer relevant sind.
Beiträge des Symposiums
Die Ausbildungsvariante Mehrsprachigkeit an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen – Erfahrungsbasierte Vorschläge für curriculare (Weiter-)Entwicklungen aus einer plurilingualen Perspektive
Prof. Dr. Lukas Bleichenbacher, Mara De Zanet, Anna Schröder-Sura
PHSG
Im Rahmen der Curriculumsreform des Studiengangs Sekundarstufe I wurde im Studienjahr 2016/17 eine neue Ausbildungsvariante Mehrsprachigkeit / Sprachenlehrperson (AVM) eingeführt, die einen hohen Anteil mehrsprachiger und interkultureller Elemente ausweist (Bleichenbacher et al. 2019). So besuchen unter anderem alle Studierenden in Ausbildung zur Sprachlehrperson Sek I, unabhängig ihrer persönlichen Sprachenwahl, sprachenübergreifende Module der Bereiche Fremdsprachendidaktik, Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft.
Dieses mehrsprachigkeitsfördernde Modell zeichnet sich durch zahlreiche positive Auswirkungen auf die Dozierenden und Studierenden aus, gleichzeitig hat es beide Zielgruppen vor erhebliche Herausforderungen gestellt, vor allem bei der koordinierten Verwendung mehrerer Sprachen auf rezeptiver und produktiver Ebene. Dieser Aspekt musste von Dozierenden bei der Planung und Durchführung der sprachenübergreifenden Module in mehreren Bereichen berücksichtigt werden. Dadurch sind unterschiedliche Umsetzungsansätze für spezifische Kurse entwickelt worden.
Um die sprachenübergreifende Lehre weiterzuentwickeln, zu konsolidieren und verstärkt zu koordinieren, wurden leitfadengestützte retrospektive Interviews (Helfferich 2005) mit den betroffenen Dozierenden durchgeführt. Diese Interviews zielten darauf ab, unter anderem das subjektive Erleben der AVM-Kurse durch die Dozierenden in Bezug auf Mehrsprachigkeit und Mehrsprachigkeitsdidaktik zu erfassen. Die Interviews wurden transkribiert und mittels qualitativer Inhaltsanalyse mit MaxQDA (Kuckartz 2012) ausgewertet.
Ausgehend von den Ergebnissen wurden unter anderem zwei Produkte entwickelt:
• eine mehrsprachigkeitsdidaktische Orientierungslandkarte in Form eines morphologischen Kastens mit dem Ziel, die verschiedenen Bereiche der sprachenübergreifenden Lehre (Unterrichtskonzepte, Interaktionsmodelle, Sprachenwahl, Unterrichtsmaterialien, mehrsprachiges und mehrsprachigkeitsdidaktisches Scaffolding etc.) abzubilden und ausgehend von Situationsbeispielen konkrete Hilfestellungen und Handlungsoptionen anzubieten.
• eine Übersicht mit ausgewählten plurilingualen und interkulturellen Kompetenzen basierend auf vorhandenen Instrumenten (Gerber et al. 2023, Europarat 2020, Schröder-Sura 2023), die künftige Lehrpersonen auf der Sekundarstufe I im Rahmen des Studiums an der PHSG aufbauen sollten.
Beide Instrumente tragen einerseits zu mehr Transparenz und Koordination bei, während sie andererseits die Individualität und Bedürfnisse der Dozierenden wie auch der Studierenden berücksichtigen.Sie vereinfachen so die Gestaltung der sprachenübergreifenden Module sowie mehrsprachigkeitsdidaktischer Weiterbildungsmassnahmen und ermöglichen die zielgerichtete Reflexion über die verschiedenen Modelle.
In unserem Beitrag möchten wir die Spezifizität der Ausbildungsvariante Mehrsprachigkeit präsentieren (Bleichenbacher 2019a) und mit einigen ausgewählten Modellen vergleichen (Candelier/Schröder-Sura 2020). Anschliessend werden wir die entwickelten Instrumente vorstellen und diskutieren, inwiefern sie einen Beitrag zu den beschriebenen Zielsetzungen und zur sinnvollen Integration der Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch sowie weiterer Sprachen und somit zur Qualitätsentwicklung in der sprachenübergreifenden Lehre leisten.
Unterrichtspraxis in Fallstudien beforschen und Forschungsergebnisse für die Ausbildung von Studierenden nutzbar machen
Dr. Bettina Imgrund
PHSH
Wie können Qualitätsmerkmale aus der Unterrichtspraxis erforscht und für die Ausbildung von Studierenden nutzbar gemacht werden? Diese Frage steht im Zentrum des zweiten Beitrags. Darin wird erstens ein Modell vorgestellt, das einen ganzheitlichen Zugang zu fremdsprachdidaktischen Forschungsarbeiten skizziert. Über diesen Zugang in Form von Fallstudien konnte Theorie zum Lehren und Lernen von Französisch aus dem Bezugsfeld Unterricht generiert werden. Zweitens wird die Zusammenstellung der Stichprobe aus der Unterrichtsqualitätsstudie (Imgrund & Radisch 2014, 2018) beschrieben und aufgezeigt, nach welchen Kriterien die Unterrichtsdaten und die Daten der Lehrpersonen als Kontextdaten zusammengestellt wurden, so dass aus den Fallstudien valide Forschungsergebnisse zur Qualität von Unterrichtsprozessen generiert werden konnten. Drittens werden zentrale Ergebnisse zu Qualitätsmerkmalen von mündlichen Unterrichtsinteraktionen kurz zusammengefasst und viertens aufgezeigt, wie die Forschungsergebnisse in die Ausbildung der Studierenden zurückgeführt werden. Insgesamt konnte so ein nachhaltiger Zyklus für die Entwicklung einer empirisch fundierten Fremdsprachendidaktik entstehen.
Ausgangspunkt für diese Forschungs- und Entwicklungsarbeit war das Wissen darüber, dass Lehrpersonen für die Qualität des Lehrangebots zeichnen, (u.a. Gerlach & Steininger 2016), dass man aber in repräsentativen Forschungsergebnisse zum schulischen Mehrsprachenerwerb momentan noch vergeblich nach Auskünften zur Qualität des Lehrangebots (Manno et al. 2020). Dies obwohl renommierte Autoren, wie z.B. Lüdi 2004, schon seit Anfang des Jahrtausends dafür geworben hatten, die Schweizer Sprachausbildung ganzheitlich anzugehen und das Erfahrungswissen von Lehrpersonen als Ausgangsbasis für Forschungsarbeiten zu nutzen.
Den theoretischen Rahmen für den Forschungszugang Fallstudien bildete das Angebots-Nutzungs-Modell der Unterrichtsqualität und Unterrichtswirksamkeit mit einer Unterscheidung von unterrichtsbezogenen Prozessmerkmalen und Kontextmerkmalen (Reusser & Pauli 2010). Mit diesem Modell können Bildungswirkungen klarer erfasst und Wirkungen fallbezogen zu den Kontextdaten von Lehrpersonen in Verbindung gebracht werden. Der Plural Fallstudien bedeutet, dass es sich bei diesem Forschungszugang um mehr als die Untersuchung nur eines einzelnen Falls und damit verbundener Risiken für die Theoriebildung handelt (Flick 2011). Vielmehr werden mehrere Fälle nach unterrichtlichen Gegenständen, wie z.B. Erwerb von Wortschatzkompetenzen, oder Fallsegmente nach ihrer Funktion im Lernstand, wie z.B. der Einführung oder Festigung, standardisiert und vergleichend untersucht (Herrle, Kaden & Nolda 2010). Auf diese Weise konnte zudem ökologisch valides Lehrmaterial in Form von Unterrichtsvideos generiert werden, das in der Ausbildung von Studierenden eingesetzt werden kann.
Was bedeutet Unterrichtsqualität im Fremdsprachenunterricht, und wie kann man in der Ausbildung von Lehrpersonen darüber sprechen?
Prof. Dr. Stefan Keller, Angela Schlatter
PHZH
Ein zentrales Ziel der Professionalisierung im Fremdsprachenunterricht ist es, angehende Lehrpersonen mit zentralen Befunden aus der Spracherwerbsforschung und fachdidaktischen Forschung vertraut zu machen. Sie sollen befähigt werden, auf der Basis eines wissenschaftlich fundierten Wissens ein eigenes Repertoire an Unterrichtspraktiken auszubilden (Fraefel, 2020) eigenen Unterricht sinnvoll zu planen, durchzuführen und zu evaluieren (Baumert und Kunter, 2006). Ein zentrales Problem dabei ist die Frage, wie dieses Wissen in der Ausbildung verfügbar gemacht wird und wie es gelingt, aus wissenschaftlichen Befunden ein „Vokabular“ zu formulieren, mit welchem über Unterricht konkret gesprochen werden kann.
Eine Möglichkeit dazu sind fächerübergreifende Beschreibungs- und Evaluationssysteme von Unterrichtsqualität, wie sie in der (allgemeinen) Unterrichtsqualitätsforschung entwickelt wurden (Praetorius & Gräsel, 2020). Bei diesen Instrumenten wird jedoch davon ausgegangen, dass Unterrichtsqualität ein weitgehend generisches Konstrukt, welches sich in allen Fächern ähnlich präsentiert. In den letzten Jahren wird zunehmend deutlich, dass eine rein generische Perspektive auf Unterrichtsqualität nicht hinreichend ist, da schulischer Wissenserwerb an spezifischen fachlichen Lerngegenständen erfolgt und Unterrichtsqualität deshalb in verschiedenen Fächern unterschiedlich konzeptualisiert wird. Zudem ist die Beschreibung von gelingendem Unterricht nur unter Berücksichtigung der Lernziele des jeweiligen Unterrichtsfachs sowie des fachlichen Vorwissens von Lernenden möglich, sodass deren konkrete Ausgestaltung eine fachspezifische Aufgabe darstellt. Unterrichtsqualität sollte deshalb stärker in Bezug zu den spezifischen Wissens- und Denkkulturen unterschiedlicher Fächer gesetzt werden.
In diesem Beitrag wird die Entwicklung eines praxistauglichen Beobachtungs- bzw. Beschreibungsinstrument s für Unterrichtsqualität vorgestellt, welches von generischen Aspekten (z.B. Klassenmanagement, kognitive Aktivierung, Unterstützung des Übens) ausgeht, diese jedoch spezifisch auf die Forschungsbefunde der Fremdsprachenerwerbsforschung und der Fremdsprachendidaktik bezieht. Dabei stehen folgende Forschungsfragen im Zentrum:
• Kann ein fächerübergreifendes Rahmenmodell entwickelt und dieses für den Fremdsprachenunterricht so ausdifferenziert werden, dass es an die relevanten Diskurse ansschlussfähig ist?
• Kann dieses fachdidaktische Unterrichtsqualitätsmodell den wissenschaftlichen fachdidaktischen Diskurs mit der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen verbinden?
Das Projekt wird grob in drei Phasen eingeteilt: Die Konzeptions-, die Implementations-, und die Evaluationsphase. In der Konzeptionsphase stehen die Sichtung wissenschaftlicher Konzepte von Unterrichtsqualität und der Vergleich mit bestehenden Forschungen in der Fremdsprachendidaktik im Zentrum. Es findet also eine Anpassung allgemeiner Kategorien auf die konkreten Diskurse der Fremdsprachendidaktik statt. In der Implementierungsphase findet eineÜberprüfung der Kategorien mit den Dozierenden in der Ausbildung statt. Dozierende werden befragt, ob das Instrument anschlussfähig ist an ihre Lehre, und welche Faktoren dabei ergänzt oder ersetzt werden müssen. In der Evaluationsphase steht eine Überprüfung der psychometrischen Qualität der Dimensionen im Instrument statt. Ebenfalls erfolgt eine Überprüfung, ob das Modell für die Hochschulbildung als Nützlich eingeschätzt wird.
Dieses Beobachtungs- und Beschreibungsinstrument soll ein Vokabular bereitstellen, mit welchem fachdidaktische Aspekte von Unterrichtsqualität in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen besprochen werden können, ohne den Blick für fächerübergreifende und generische Aspekte von Unterrichtsqualität zu verlieren. Das Tagungsthema „Fachdidaktiken als vernetzende Wissenschaften“ wird in dem Beitrag also direkt adressiert, in dem sowohl Herausforderungen wie Chancen eines solchen interdisziplinären Instruments kritisch diskutiert werden.