Das vorgestellte Forschungsprojekt befasst sich mit der Frage, welche Vorstellungen Schüler*innen der Sekundarstufe I von globalen Belangen haben. Globale Belange…
«… sind komplexe, multiperspektivische Angelegenheiten, die den Grossteil der Weltbevölkerung betreffen. Sie haben eine gesellschaftliche, politische, ökonomische und technologische Dimension. Sie zeichnen sich durch eine enge Verflechtung und Interdependenz aus. In Kombination mit möglicherweise divergierenden Wertevorstellungen bzw. vorhandenen Wertekonflikten diverser Akteur:innen führt diese Interdependenz dazu, dass globale Belange veränderungsresistent sind und nicht anhand vorgegebener eindimensionaler Lösungen behoben werden können. […]» (Autor:innen, im Druck).
Im Lehrplan 21 sind globale Belange in fast allen Disziplinen explizit oder implizit verankert. Der Schwerpunkt liegt auf den Fächern des Bereichs Natur-Mensch-Gesellschaft und den transversalen Themen unter der Leitidee Nachhaltige Entwicklung. Aufgrund ihrer (interdisziplinären) Komplexität, Kontroversität und Dynamik erachten viele Lehrpersonen die Behandlung globaler Belange im Unterricht als Herausforderungen. So bedingt die Kontroversität solcher Themen einen Balanceakt zwischen Überwältigung und übertriebener politischer Zurückhaltung (Overwien, 2021), wobei auch der professionelle Umgang mit den eigenen Vorstellungen eine Herausforderung darstellt (vgl. Cassidy, Brunner & Webster, 2014; Autor:innen, 2017). Infolgedessen ist es im Sinne der didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997) zentral, dass Lehrpersonen vertraut sind mit verbreiteten Lernendenvorstellungen zu globalen Belangen. Vor diesem Hintergrund ging das hier vorgestellte Teilprojekt den folgenden Fragen nach:
(1) Wie verorten die Lernenden globale Belange räumlich (lokal, national, weltregional, global) und temporal (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft)?
(2) Welche Bezüge stellen sie zu Kinder- und Menschenrechten her?
(3) Inwiefern fühlen sie sich von globalen Belangen betroffen (affektive Dimension)? Welche Emotionen werden ausgelöst? Inwiefern sind sie bereit, selbst zu handeln?
(4) Welche Vorstellungen haben sie von politischen und gesellschaftlichen Prozessen sowie ihrer eigenen Handlungsmacht (Selbstwirksamkeit) im Umgang mit globalen Belangen?
Um themenübergreifend verschiedene Typen von Vorstellungen zu eruieren, wurden zwischen Juni 2022 und April 2023 43 leitfadengestützte Gruppendiskussionen mit je 3-5 Lernenden (N=160) der 3. Sekundarstufe in mehreren deutschsprachigen Kantonen durchgeführt. Die Diskussionen waren jeweils einem aktuellen globalen Belang gewidmet (Armut/Reichtum, Gleichstellung, Klimawandel, Krieg/Frieden und Migration/Flucht). In einer ersten Phase erstellten die Teilnehmenden individuell eine Skizze, in einer zweiten Phase stellten sie sich diese gegenseitig für und diskutierten anhand eines semi-strukturierten Leitfadens über das Thema. Die Gruppendiskussionen wurden transkribiert und inhaltsanalytisch in Anlehnung an Kuckartz und Rädiker (2022) ausgewertet (strukturierend und typenbildend).
Die Analyse zeigt vielfältige Vorstellungen, oft fragmentarisches Wissen sowie unterschiedliche Arten und Grade der Betroffenheit. In früheren Studien festgestellte Effekte der Ethnisierung / des «Othering» (u.a. Budke und Hoogen, 2018) sind ebenso vorhanden. Oft sind diese gekoppelt mit einem gewissen Privilegienbewusstsein, aber auch mit Unsicherheit, wie globale Herausforderungen angegangen werden können respektive welche Handlungsmöglichkeiten die Lernenden selbst haben. Die Heterogenität der Vorstellungen bietet zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für den Unterricht (vgl. Möller, 2018). Gleichzeitig kann sie auch eine Herausforderung darstellen, insbesondere wenn Lernende direkt von globalen Belangen betroffen sind, beispielsweise weil sie selbst aus einem Kriegsgebiet geflüchtet sind.