Unterrichtsqualität als verbindendes Thema in den Fachdidaktiken
Chair/i: Stefan Daniel Keller (PH Zürich, Schweiz), Christian Herr (PH Zürich)
Discussant(s): Stefan Daniel Keller (PH Zürich), Christian Herrmann (PH Zürich), Ursina Markwalder (PH Zürich)
Die Frage danach, was guten und lernwirksamen Unterricht ausmacht, steht im Zentrum sowohl der bildungswissenschaftlichen wie auch der fachdidaktischen Forschung und ist ein zentrales Lernziel der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Seit vielen Jahren wird in der empirischen Unterrichtsforschung diskutiert, was guten Unterricht ausmacht und anhand welcher Dimensionen dieser beschrieben werden kann. Hierbei werden meistens generische Dimensionen von Unterrichtsqualität betrachtet, wobei die Spezifika der unterschiedlichen Fächer respektive der verschiedenen Lerngegenstände oft unberücksichtigt bleiben (Praetorius et al., 2020).
Was Unterrichtsqualität in zentralen Dimensionen ausmacht, hängt jedoch unmittelbar von den spezifischen Lerngegenständen beziehungsweise Lerninhalten ab. Unterrichtsqualität ist deshalb ein Forschungs- und Ausbildungsthema, welches in allen Fachdidaktiken eine grosse Relevanz hat und auch aus fachdidaktischer Perspektive vermehrt diskutiert werden muss (Keller, 2023). Dabei interessieren sowohl gemeinsame Aspekte, die in den verschiedenen Fachdidaktiken existieren. Gleichzeitig interessieren fachspezifische Aspekte von Unterrichtsqualität, welche sich nicht einfach generisch erledigen lassen. In den letzten Jahren haben unterschiedliche Fachdidaktiken begonnen, sich in ihren Scientific Communities mit dem Thema zu beschäftigen und auch fachspezfische Modelle von Unterrichtsqualität(en) zu entwickeln. Eine vergleichende Analyse zwischen den verschiedenen Didaktiken hat aber noch kaum stattgefunden. Eine solche wird im vorliegenden Symposium angeregt.
Im ersten Beitrag gibt die Autorin bzw. der Autor einen Überblick über zentrale Aspekte von Unterrichtsqualität im Fach Mathematik. Dabei wird besonders auch auf Fragen der fachlichen Korrektheit, der Kohärenz sowie auf die Inhaltlichkeit von Unterricht eingegangen. Im zweiten Beitrag steht die Dimension der kognitiven Aktivierung im Fokus. Die Autorinnen und Autoren berichten von einem Projekt, bei welchem theoriebasiert drei Subdimensionen kognitiver Aktivierung gebildet wurden: (1) Einsatz und Auswahl kognitiv aktivierender Aufgaben, (2) Unterstützung der kognitiven Aktivität der Schüler:innen, (3) Unterstützung des metakognitiven Lernens der Schüler:innen. Diesen Dimensionen wurden zunächst generisch ausgerichtete, kognitiv aktivierende Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen zugeordnet. Diese wurden dann im Rahmen einer Videostudie in unterschiedlichen Fächern mit praktizierenden Lehrpersonen empirisch untersucht, um konkrete Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit diesen Dimensionen in unterschiedlichen Fachkontexten zu erforschen. Im dritten Beitrag stellen die Autorinnen und Autoren die Instrumententwicklung eines generischen Beobachtungsinstruments von Unterrichtsqualität vor, welches nach verschiedenen Fächern und Stufen ausdifferenziert werden kann. Ausgehend von einem solchen Modell soll zudem ein Evaluationsinstrument entwickelt werden, das konkrete Unterrichtssituationen hinsichtlich spezifischer Qualitätsmerkmale analysierbar macht. In dem Beitrag werden auch Fragen einer späteren Anwendbarkeit dieses Instrumentes in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen systematisch berücksichtig werden.
Mit dem Bezug zu unterschiedliche Fachdidaktiken und verschiedenen pädagogischen Hochschulen, welche sich alle aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema der Unterrichtsqualität beschäftigen, nimmt das Symposium das Tagungsthema der Fachdidaktiken als vernetzende Wissenschaften auf und zeigt, welche Vernetzungen beim Thema Unterrichtsqualität schon stattgefunden haben und welche in Zukunft noch angestrebt werden sollten.
Presentazioni del simposio
Unterrichtsqualität aus fachlicher Perspektive am Beispiel des Fachs Mathematik: Ein Überblick
Esther Brunner PH Thurgau
Auch wenn sich mittlerweile die Sichtweise, wonach Unterrichtsqualität sowohl generische wie fachlich-fachspezifische Aspekte aufweist, etabliert hat (Lipowsky, Drollinger-Vetter, Klieme, Pauli, & Reusser, 2018), erfolgt die Bestimmung von Unterrichtsqualität traditionellerweise aus einer generischen Perspektive heraus (z. B. Praetorius, Klieme, Herbert, & Pinger, 2018) und weniger aus einer fachlich-fachdidaktischen (Lindmeier & Heinze, 2020). Es wurden zahlreiche Instrumente für die Messung von Unterrichtsqualität entwickelt und solides, empirisch bestätigtes Wissen zum Zusammenhang zwischen Unterrichtsqualitätsmerkmalen und der Leistungsentwicklung der Schüler:innen erarbeitet. Etliche dieser Studien messen Unterrichtsqualität sowie die Wirksamkeit bestimmter Qualitätsmerkmale am Beispiel des Fachs Mathematik. Dabei kommen unterschiedliche Instrumente zum Einsatz (Schlesinger & Jentsch, 2016), die sich insbesondere dadurch unterscheiden, inwiefern fachlich-fachdidaktische Merkmale von Unterrichtsqualität berücksichtigt werden, die die generische Sicht ergänzen. Ein zweiter Unterschied, der sich in den verschiedenen Instrumenten zeigen lässt, betrifft das Verhältnis zwischen generischen und fachlich-fachspezifischen Qualitätsmerkmalen: Handelt es sich eher um eine additive Sicht, bei der generische Merkmale durch (meist wenige) fachlich-fachspezifische Merkmale ergänzt werden oder um eine integrative Sicht, bei der generische Merkmale teilweise auch fachspezifisch operationalisiert werden oder liegt eine inklusive Sicht vor, bei der aus der fachlich-fachspezifischen Perspektive heraus generische und fachlich-fachspezifische Merkmale herangezogen und konsequent fachlich-fachspezifisch operationalisiert werden (Brunner, 2018)? Diesen unterschiedlichen Akzentuierungen liegen nicht nur andere theoretische Annahmen zugrunde, sondern sie führen auch zu unterschiedlichen Einschätzungen ein- und desselben Unterrichts bzw. ein- und derselben Unterrichtsstunde (Charalambous & Praetorius, 2018).
Nach wie vor sind im Zusammenhang mit Unterrichtsqualität und ihrer Messung zahlreiche Fragen offen (Brunner & Star, under review.). Eine dieser offenen Fragen betrifft die Bedeutung der fachlichen Korrektheit (Brunner, 2018; Dreher & Leuders, 2021) und Kohärenz (Drollinger-Vetter, 2011) im Hinblick auf die Qualitätseinschätzung von Fachunterricht. Eine andere Frage bezieht sich auf die Notwendigkeit, Qualität von Fachunterricht nicht nur fachlich-fachspezifisch zu konzeptualisieren und zu messen, sondern dabei auch stärker auf den eigentlichen Inhalt abzustützen. Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, dass sich Qualität von Mathematikunterricht je nach inhaltlichem Lerngegenstand anders akzentuiert definieren und in der Folge messen lässt: Die Beschreibung der Qualität von Sequenzen zu mathematischem Argumentieren und Beweisen stützt auf andere fachlich-spezifische Merkmale ab, als wenn es um das saubere Konstruieren und Darstellen von geometrischen Formen geht oder wenn das Einmaleins beziehungsreich geübt werden soll. Und schliesslich stellen sich auch Fragen nach dem Schulstufenbezug oder nach kulturell geprägten Normen bezüglich Unterrichtsqualität und damit nach der Relativität von Qualitätsmerkmalen.
Diese Fragen können zum einen normativ erörtert und zum anderen empirisch überprüft werden. Bevor sie einer empirischen Überprüfung unterzogen werden können, braucht es eine theoretische Analyse und Diskussion verschiedener möglicher Konzeptualisierungen von fachlich-fachdidaktischer Unterrichtsqualität und ihren Merkmalen. Im Vortrag sollen – ausgehend von einer Übersicht zum Forschungsstand zur Qualität von Mathematikunterricht – an Beispielen die offenen Fragen konkretisiert und begründet dargelegt werden, um in einem nächsten Schritt im Hinblick auf die Theorieentwicklung exemplarisch zu diskutieren, wie Qualität von Mathematikunterricht aus fachlich-fachspezifischer Sicht beschrieben werden kann und inwiefern ein einheitliches Modell zur Beschreibung von Unterrichtsqualität, das für verschiedene Fächer zum Tragen kommen kann, überhaupt denkbar und sinnvoll ist.
Professionelle Kompetenzentwicklung durch videobasierte Fallarbeit in der Lehrpersonenausbildung
Caroline Conk, Sandra Gautschi, Ursula Aebersold, Verena Huber-Nievergelt, Jöri Hoppler, Vera Molinari, Matthias Probst, Fabian Rindlisbacher PH Bern
Die Kognitive Aktivierung als Dimension von Unterrichtsqualität wird in der Unterrichtsqualitätsforschung als besonders bedeutsam für die Wirksamkeit von Unterricht und für das Verständnis von Fachinhalten beschrieben (z.B. Fauth & Leuders, 2022; Hess & Lipowsky, 2016; Klieme et al., 2009; Praetorius & Gräsel, 2021). Ein kognitiv aktivierender Fachunterricht regt die Schüler:innen zu einem vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten Auseinandersetzung mit Fachinhalten an (Lipowsky & Bleck, 2019). Da sich «Lernziele, -gegenstände und -prozesse zwischen den Fächern teils stark unterscheiden» (Begrich et al. 2023), wird in der Unterrichtsqualitätsforschung gefordert, dass Indikatoren der kognitiven Aktivierung fachspezifisch ausdifferenziert werden müssen (Praetorius, Herrmann et al., 2020).
Für das Projekt vbF der PHBern wurden auf Grundlage der vier Subdimensionen kognitiver Aktivierung nach Praetorius, Herrmann et al. (2020) und der exemplarischen Handlungsmöglichkeiten des Lehrpersonenhandelns nach Fauth und Leuders (2022) drei Subdimensionen kognitiver Aktivierung gebildet: (1) Einsatz und Auswahl kognitiv aktivierender Aufgaben, (2) Unterstützung der kognitiven Aktivität der Schüler:innen, (3) Unterstützung des metakognitiven Lernens der Schüler:innen. Den drei Subdimensionen wurden in einem ersten Schritt, basierend auf einer systematischen Literaturrecherche, generisch ausgerichtete, kognitiv aktivierende Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen zugeordnet. In einem zweiten Schritt wurden für die im Projekt beteiligten Fachbereiche Bewegung und Sport, Bildnerisches Gestalten (BG), Geografie sowie Textiles und technisches Gestalten (TTG) fachspezifische Recherchen durchgeführt. Gestützt auf die vorliegende Fachliteratur und aktuellen Forschungsstände (z.B. BG: Schmidt, 2016, TTG: Stettler, 2021) wurden Präzisierungen und Ergänzungen für die kognitiv aktivierenden Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen der jeweiligen Fachbereiche herausgearbeitet.
Die generische sowie fachspezifische Konzeptualisierung kognitiver Aktivierung diente dazu, in Anlehnung an den Design-Based Research-Ansatz nach Prediger et al. (2012) die Design-Konzeption der bereits pilotierten Lehr-Lern-Settings mit vbF in den vier beteiligten Fachdidaktiken weiterzuentwickeln. Auf dieser Grundlage und in Verbindung mit den Materialien aus dem E-Portal Kompetenzorientierte fachspezifische Unterrichtsentwicklung (vgl. www.phbern.ch/e-portal-kfue) wurden die Lehr-Lern-Settings mit vbF zur kognitiven Aktivierung in den vier Fachdidaktiken im Herbstsemester 2023 an der PHBern umgesetzt. Während der Durchführung der Lehr-Lern-Settings wurden mit qualitativen Erhebungsinstrumenten Daten bezüglich der Entwicklung der professionellen Kompetenz der involvierten Studierenden durch die angewandten Lehr-Lern-Settings erhoben. Diese werden inhaltsanalytisch analysiert und mit dem Ziel einer erneuten praxis- und theoriebezogenen Weiterentwicklung der Lehr-Lern-Settings fachspezifisch ausgewertet und fachübergreifend verglichen.
Im Symposium werden die generischen und fachspezifischen Konzeptualisierungen kognitiver Aktivierung der vier Fachbereiche vorgestellt sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Fachbereiche diskutiert.
Fachübergreifende und fachspezifische Aspekte von Unterrichtsqualität im Sport- und Englischunterricht kriteriengeleitet evaluieren
Angelo Crapa, Angela Schlatter PH Zürich
Um Unterrichtsqualität kriteriengeleitet zu beschreiben und zu evaluieren sind in der empirischen Unterrichtsqualitätsforschung eine Vielzahl an fachübergreifenden Modellen entwickelt worden (z.B. Helmke, 2017; Klieme, 2019; Praetorius & Gräsel, 2021). Dabei stellt sich die Frage, ob diese fachübergreifenden Modelle auch für einzelne Fächer (z.B. Sport oder Englisch) Gültigkeit besitzen. In der Unterrichtsforschung wird vermehrt darauf hingewiesen, dass Unterrichtsqualität nur ausreichend erfasst werden kann, wenn fachspezifische Aspekte miteinbezogen werden, da besonders diese als lernwirksam gelten (Praetorius & Gräsel, 2021). Die Fächer Sport und Englisch unterscheiden sich in Bezug auf die Lernziele, -gegenstände und -prozesse teilweise stark. Aufgrund dessen rückt eine fachspezifische Unterrichtsqualitätsforschung in den Fokus, welche ausgehend vom Gegenstand des Faches spezifische Lehr- und Lernprozesse beschreibt. Hiervon werden konkrete (Sub-)Dimensionen qualitätsvollen Unterrichts für das Fach Sport und Englisch abgeleitet. Dabei werden insbesondere die fachspezifischen Dimensionen der «kognitiven Aktivierung», sowie der «Unterstützung des Übens» im Beitrag diskutiert und abgleichend mit dem aktuellen Forschungsstand der Sport- und Englischdidaktik ausdifferenziert.
Für den sportdidaktischen Kontext wurde in einem systematischen Review (Herrmann & Gerlach, 2020) deutlich, dass vorliegende sportspezifische Ansätze eine gute Passung zu den Dimensionen Klassenführung und Unterrichtsklima aufwiesen. Wohingegen die kognitiv- (motorische) Aktivierung für das Fach Bewegung und Sport weiter ausdifferenziert werden muss. Gleichermassen wird auch im englischdidaktischen Diskurs auf die Notwendigkeit einer fachspezifischen Adaption der Dimension «kognitive Aktivierung» verwiesen (Wilden, 2021). Dabei ist eine Ausarbeitung des Konstrukts «kommunikativ-kognitive Aktivierung» (Thaler, 2014) für die Erstellung eines fachspezifischen Evaluationsinstruments angezeigt, wie dies bereits im Rahmen der TEPS-Studie (Teaching English in Primary Schools; Wilden & Porsch, 2019) versucht wurde.
Trotz fachspezifischen Unterschieden lassen sich im Vergleich der zwei Unterrichtsfächer Sport und Englisch fachübergreifende Qualitätsdimensionen bestimmen (z.B. Klassenführung, lernförderliches Unterrichtsklima). Um diese fachübergreifende und fachspezifischen Qualitätsdimensionen des Sport- und Englischunterrichts ökonomisch und kriteriengeleitet beurteilen zu können, bedarf es einer Evaluationsmethode, welche die Wahrnehmung der Unterrichtsqualität von Schüler:innen, Lehrpersonen und Beobachter:innen erheben und vergleichen kann. Für das Fach Sport wurde dies bereits konkret unternommen. Auf Basis des QUALLIS-Modells (Qualität des Lehrens und Lernens im Sportunterricht; Herrmann, 2023) wird das digitale QUALLIS-Evaluationstool vorgestellt, welches für das Fach Sport eine kriteriengeleitete, formative Evaluation der Unterrichtsqualität ermöglicht (Herrmann et al., 2023). Davon ausgehend werden fachspezifische Qualitätsmerkmale für den Englischunterricht diskutiert. Weiter wird dargelegt, wie diese fachübergreifenden und fachspezifischen Subdimensionen im digitalen Evaluationstool erfasst werden.
Mit der Nutzung eines digitalen Evaluationsinstrumentes für mehrere Fächer eröffnet sich ein breites Handlungsfeld, welches in der Anwendung der konzeptionellen und empirischen Erkenntnisse für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen liegt. So können ausdifferenzierte, lerngegenstandsspezifische Qualitätsmodelle in Lehrveranstaltungen theoretisch eingeführt werden, in den fachdidaktischen Lehrveranstaltungen vertieft und zu anderen Fächern in Beziehung gesetzt werden. Damit verbunden kann ein ökonomisch nutzbares, digitales Evaluationsinstrument in der Fachpraxis als Orientierungsrahmen für Prozesse der Professionalisierung und der Unterrichtsentwicklung genutzt werden
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