15:45 - 16:15Beitrag für Professionalisierungsprozesse in der Hochschuldidaktik
Judit Villiger
ZHdK, Schweiz und Kunstakademie Münster Westphalen
Als eigentliche Königsdisziplin im Lehramt kann die Reflexion von Unterrichtspraxis bezeichnet werden, derjenigen des eigenen wie des fremden Unterrichtens (Corinne Wyss). Ein Strukturmerkmal jedes anspruchsvollen Reflektierens besteht in der Art der Distanznahme. Wie sich praxisbezogene Reflexionsprozesse vorstellen lassen, ist eine der Grundfragen im Zusammenhang nicht allein mit ästhetischer Reflexion, sondern auch in der kunstpädagogischen Forschung (Ruth Kunz/Maria Peters).
Kunstpädagogische Reflexionsprozesse dienen in der Forschungsanlage dazu, sich der Stellung von Beobachtung, Wahrnehmung und Bewusstwerdung im Prozess der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden Kunst über die phänomenologisch-hermeneutische Deskription zu nähern (Maurice Merleau-Ponty). Dazu wird im Austausch mit Studierenden durch die Autorin ein hochschuldidaktisches Setting entwickelt und über mehrere Jahrgänge erprobt, erhoben, ausgewertet. Dieses verknüpft die Rezeption von alltäglichem Unterricht am Gymnasium (in der Hospitation) mit der Produktion schriftlicher Kurztexte in einer Art Schreibwerkstatt innerhalb des Fachdidaktik-Seminars. Anknüpfend an das Verfassen phänomenologisch orientierter Vignetten (Käte Meyer-Drawe, Evi Agostini), versteht die ästhetisch-hermeneutisch inspirierte Anlage (im Sinne nach A.G. Baumgarten) das Texten als ein Verdichten, das sowohl als literarisch-inspirierte wie kunstnahe Spracharbeit das Beispiel-machen als bildgenerierende Arbeit liest: „etwas am Beispiel zeigen“ und „etwas am Beispiel verstehen“ stehen dabei für jene pädagogische Reflexion (Günther Buck, Malte Brinkmann, Sabrina Schenk), von der die Arbeit aus- und noch einen Schritt weitergeht. Das „am Beispiel lernen“ wird für die Studierenden im Übungsformat in ein „Beispiel-machen“ überführt. Dabei dient das studentische Beispiel-austauschen dazu, das Wahrnehmbare zu etwas Formbarem, und damit in ein für andere Nachvollziehbares zu führen und umgekehrt; das Geformte verschiebt die Wahrnehmung, dies die These der hochschuldidaktischen Übungsanlage.
Es entstehen mit den Beispielen u.a. ausser-kategoriale, nicht-kanonisierte, singuläre ‚Transportvehikel‘ für Bilder von Unterricht, die für das Allgemeine im Besonderen stehen, d.h. dazu, um Vorstellungen für spezifische Unterrichtssituationen zu entwickeln und zu diskutieren: um damit möglicherweise einen Beitrag zu leisten, noch nicht benennbare Wahrnehmungen ansprechen und aussprechen zu wagen. Reflexion wird dabei nicht länger vorwiegend als Korrekturmodus für bereits praktizierten, sondern vielmehr zur Inspiration und Antizipation für zukünftigen Unterricht gefasst.
Die hochschuldidaktische Lehre verbindet Ausschnitte des schulischen Lehralltags mit dem Seminardiskurs. Die dabei etablierte Reflexionspraxis entsteht im Wechsel von Einzelarbeit und Austauschprozessen, um deren qualitatives Einschätzen diskursiv zu üben. Die Disziplinen Literatur und Kunst sowie Philosophie und Pädagogik verschränken sich dabei.
Im Beitrag wird das hochschuldidaktische Übungsformat mit den entsprechenden Überlegungen an einem ausgewählten studentischen Beispiel aus der Erhebung vor- und zur Diskussion gestellt.
16:15 - 16:45Vernetzung von Forschung, Lehre und Unterrichtspraxis: Wenn Deutschdidaktik und NMG-Didaktik institutionell unterstützt gemeinsame Sache machen - ein ermutigendes Fallbeispiel
Johanna Bleiker, Angela Brütsch
Pädagogische Hochschule Zürich, Schweiz
Schulunterricht besteht zu einem grossen Teil aus Sprache. Das gilt nicht nur für die Sprachfächer, sondern auch für die MINT-Fächer, die gemeinhin als spracharm gelten (Schroeter-Brauss et al., 2018). Dass deshalb über alle Fächer hinweg ein Zusammenhang zwischen Sprachkompetenzen und Schulerfolg besteht, ist erwartbar und spätestens seit grossangelegten Schulleistungsstudien wie PISA auch empirisch belegt (Konsortium PISA.ch, 2019).
Aus dieser Erkenntnis wurden Konzepte entwickelt wie «durchgängige Sprachbildung» (z.B. Gogolin & Lange, 2011), «sprachförderlicher Unterricht» (z.B. Schmölzer-Eibinger & Langer, 2010), «sprachsensibler Unterricht» (z.B. Leisen, 2017) oder «sprachbewusster Unterricht» (z.B. Lindauer et al., 2013; Metzger, 2023). Solche Konzepte stossen im Praxisfeld Schule jedoch nicht auf uneingeschränkte Akzeptanz, weder vor bald 20 Jahren (Leisen, 2005), noch heute (Strunk & Höttecke, 2023). Entsprechend zeigt der Blick in die Unterrichtsrealität, dass die Konzepte oft nicht umgesetzt werden (z.B. Bleiker, 2020). Der vorgeschlagene Beitrag widmet sich daher der Frage, wie solche theoretischen und empirischen Erkenntnisse aus Naturwissenschafts- und Deutschdidaktik mit künftigen Lehrkräften so erarbeitet werden können, dass die Synergien erfahrbar werden und die Bereitschaft zur Umsetzung erhöht wird. In Form einer Fallbeschreibung stellt der Beitrag exemplarisch dar, wie und unter welchen Voraussetzungen fachdidaktische Forschung, fachdidaktische Ausbildungsangebote und Unterrichtspraxis miteinander vernetzt und dadurch Synergien geschaffen werden können.
Im Rahmen einer Curriculumsüberarbeitung an einer pädagogischen Hochschule erhielten zwei Fachdidaktik-Professuren (Deutschdidaktik, NMG-Didaktik) die Chance, ausgehend von einem laufenden Forschungsprojekt eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung für angehende Primarlehrpersonen zum Thema Sprache im NMG-Unterricht zu konzipieren. Inhaltlich sollte das fachliche Lernen im Zentrum stehen und die Sprache als Medium des Lernens bewusst und nutzbar gemacht werden. Dafür ist die NMG-Didaktik auf Konzepte der Deutschdidaktik (z.B. Bildungssprache, Textkompetenz) angewiesen. Im Gegenzug profitiert die Deutschdidaktik von zusätzlichen, vielfältigen, situierten sprachlichen Handlungskontexten als sprachlichen Lerngelegenheiten (Bleiker, 2020). Die Lehrveranstaltung wurde erstmals im Herbstsemester 2022 durchgeführt. Obwohl sie im Wahlbereich angesiedelt ist und mit Angeboten konkurriert, die unter Studierenden als weniger arbeitsintensiv gelten, verzeichnete sie im Herbstsemester 2023 gestiegene Anmeldezahlen. Laut Evaluation der Erstdurchführung schätzten die Studierenden insbesondere die enge Verzahnung von Theorieblöcken, praktischer Umsetzung in Unterrichtssequenzen und begleiteter Reflexion dank einer Semesterstruktur, in der sich Theorieinput-, Praxis- und Reflexionsblöcke abwechselten. Ausserdem wurden auch in den sogenannten Theorieblöcken Videoausschnitte (inkl. Transkripte) aus authentischem NMG-Unterricht analysiert, die im erwähnten Forschungsprojekt angefertigt worden waren und für die Lehre genutzt werden durften. Als Pflichtlektüre wurden (u.a.) im Kontext des Forschungsprojekts entstandene Publikationen eingesetzt. Dies ergab für die Studierenden eine überzeugende Passung, die zu grundlegenden Einstellungsveränderungen führte. Ein:e Studierende:r schrieb in der Evaluation: «Ich habe immer versucht, die Fächer zu trennen, da ich dachte, dass es ja nicht fair sei, von den SuS sprachliche Leistung zu verlangen, wenn es ja ums Fach NMG geht. Die ursprüngliche Vorstellung meinerseits, Deutsch von den anderen Fächern zu trennen, geht grundlegend genau in die falsche Richtung.»
Der Beitrag beleuchtet die Erfolgsfaktoren dieses Vernetzungsprojekts auch mit Blick auf institutionelle Kontexte: Der Auftrag zur Modulkonzeption an zwei Fachdidaktik-Professuren macht deutlich, dass die Institution das Potential einer Vernetzung von NMG- und Deutschdidaktik einerseits und von Forschung und Lehre andererseits erkannt hatte und bereit war, die dafür notwendigen Ressourcen bereitzustellen.
16:45 - 17:15Vernetzung der Fachdidaktiken der «modernen» Fremdsprachen Sekundarstufe II (Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch) im Rahmen einer interdisziplinären plurilingualen Bereichsdidaktikwoche
Adrian Juric, Eleonora Rothenberger, Pina De Marco
Pädagogische Hochschule Thurgau, Schweiz
Die Fachdidaktiken der verschiedenen Fremdsprachen, welche an Deutschschweizer Gymnasien unterrichtet werden, bauen in vielerlei Hinsicht auf gemeinsamen theoretischen, konzeptuellen und didaktisch-methodischen Grundlagen auf. Zu den wichtigsten verbindenden Elementen gehören die Prinzipien der Mehrsprachigkeitsdidaktik und die Förderung von interkulturellen kommunikativen Kompetenzen, was auch erklärtes bildungspolitisches Ziel sowie integraler Bestandteil des neuen Fachrahmenlehrplans der EDK ist.
Um die Kollaboration und Kooperation unter den Dozierenden der Fachdidaktiken Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch zu fördern, die dadurch entstehenden fachdidaktischen Synergien zu nutzen und ein gemeinsames Verständnis von fremdsprachendidaktischen Grundlagen zu entwickeln, wurde die interdisziplinäre und plurilinguale Bereichsdidaktikwoche Fremdsprachen- und Mehrsprachigkeitsdidaktik ins Leben gerufen. Als Pilotprojekt im Studienjahr 2021/22 gestartet, war der Besuch dieses vernetzenden Moduls bei der Erstdurchführung noch fakultativ. Basierend auf den Rückmeldungen der Studierenden war die Teilnahme an der Woche bei deren zweiten Durchführung im Studienjahr 2022/23 für alle Studierenden der Fachdidaktiken Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch Sekundarstufe II obligatorisch.
In diesem Lehrgefäss gehen wir sprachenübergreifend der Frage nach, welche fachdidaktischen Kriterien für einen gelingenden Unterricht einer Fremdsprache an Deutschschweizer Gymnasien relevant sind. Aus einer plurilingualen und interkulturellen Perspektive werden Kernbereiche des modernen Fremdsprachenunterrichts theoretisch sowie praktisch beleuchtet, wobei der Fokus auf die Nutzung von Synergien eines mehrsprachigen Repertoires gelegt wird. Der Grundsatz vernetzenden Lernens steht dabei im Vordergrund, welcher Fremdsprachenlernenden einen kontinuierlichen Aufbau von sowohl rezeptiven als auch produktiven Kompetenzen erleichtern und die Freude am Lernen fördern soll. Unser Prinzip folgt einem Spiralcurriculum, das deklaratives, prozedurales und metakognitives Wissen der Teilnehmenden aufbaut und zu einer klaren fremdsprachendidaktischen Progression führt. Dabei setzen sich die Studierenden vertieft mit ihrer eigenen Sprachlernbiographie und ihren mehrsprachigen sowie interkulturellen Kompetenzen auseinander.
Die Woche wird von den Dozierenden der Fachdidaktiken Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch gemeinsam vorbereitet, durchgeführt und evaluiert. Ganz im Sinne der in der Schweiz propagierten funktionalen Mehrsprachigkeit variiert die Unterrichtssprache während der Bereichsdidaktikwoche je nach Aktivität und Input. Die Teilnehmenden dürfen sich ihres mehrsprachigen Repertoires bedienen und die eigenen Diskussionsbeiträge in ihren Sprachen formulieren.
Neben moderierten Blöcken in kooperativer Arbeitsweise (theoretische Inputs, Übungen, Reflexionen, Partner- und Gruppenarbeiten) stellen die Micro-Teachings ein essenzielles Merkmal dieser Woche dar und werden von den Dozierenden in den jeweiligen Fremdsprachen durchgeführt. Diese Unterrichtseinheiten erlauben es den Studierenden, wieder einmal die Perspektive der Lernenden beim Erwerb einer Fremdsprache in einem handlungsorientierten Setting einzunehmen. Am Ende jedes Tages stehen angeleitete didaktische und linguistische Metareflexionen an, welche auf dem Reflexionsmodell für pädagogisches Professionshandeln des Studiengangs basieren.
In diesem Beitrag präsentieren die beteiligten Dozierenden anhand der dreiteiligen Struktur Integrierte Bereichsdidaktikwoche gestern, heute und morgen die Genese des Moduls mit dessen Zielen und theoretischen Modellen sowie Studierendenevaluationen zu deren Nutzen, den Status quo und eine mögliche zukünftige Ausrichtung der Woche verbunden mit einem potentiellen Forschungsprojekt, welches den Effekt der Woche auf die fachdidaktischen Überzeugungen der Beteiligten untersuchen soll.
Afin d’illustrer le plurilinguisme fonctionnel vécu en Suisse, cette contribution se déroulera en français e anche in italiano. Les documents seront distribués dans les trois langues suivantes : allemand, français, italien. Les intervenant∙e∙s sont eux∙elles-mêmes plurilingues et le vivent au quotidien.
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