Theoretischer Hintergrund
Im Zusammenhang mit kulturellem und inklusivem Lernen, ist die Musikpädagogik dazu gezwungen, das Ineinandergreifen von Bindung und Bildung als neues Aufgabenfeld zu erkennen und zu bearbeiten. Die Bindungsforschung hat im vergangenen Jahrzehnt verstärkt Beachtung gewonnen und durch Pianta & Hamre, B. (2001), Grossmann&Grossmann (2006), aber auch durch Bergin&Bergin (2009) ihren Platz im schulischen Arbeitsfeld gefunden. Das "EBQ-Instrument" aus der Musiktherapie zeigt auf, wie Bindungserfahrung und Ausdrucksfähigkeit durch Musik gefördert werden kann.
Beim "EBQ-Instrument" handelt es sich um eine detaillierte Beschreibung von Verhaltens- und Spielweisen, ursprünglich ausgearbeitet für die Arbeit mit Kindern mit Autismus. Die Abkürzung steht für Einschätzung der BeziehungsQualität und beschreibt ein Ensemble von vier Beobachtungsskalen (Instrumentalspiel, körperlich-emotionaler Ausdruck, vokaler Ausdruck und Beziehungsqualität zur erwachsenen Begleitperson). Es wurde gezeigt, dass diese, modifiziert, auch für die Musikpädagogik von Bedeutung sind. Mit zunehmender Beziehungsqualität, so wurde nachgewiesen, wächst auch die musikalische Gestaltungsfähigkeit und das musikalische Verständnis.
Die drei Stränge Bildungsforschung, Bindungsforschung und Musiktherapie bilden den theoretischen Hintergrund zur Studie, die im November 2022 im Reichert Verlag publiziert wurde.
Fragestellung
Auf welche Weise können die Ansätze aus der Musiktherapie gewinnbringend in die Musikpädagogik übertragen und die Relevanz überprüft werden. Im Detail:
• Mit welchem pädagogischen Ziel (LP21) kann die Lehrperson die Erkenntnisse des EBQ-Instrumentes nutzen?
• Könnten diese Anregungen aus der Musiktherapie eine Ressource darstellen, um den musikbezogenen Enkulturationsprozess der Kinder zu unterstützen?
• Wie müsste die Beziehungsqualität seitens der Lehrperson gestaltet werden, wenn sie solches leisten soll?
Methode
Wissenschaftlich diente der Schritt des theoretischen Samplings aus der
Grounded Theory Methodology der Relevanzbestätigung und auch der Weiterentwicklung des EBQ-Instruments für Bildungseinrichtungen. Untersucht wurde die Veränderung der Beziehungsqualität von improvisierenden Kindern in Schulen und Musikschulen über ein Quartal. Dazu wurden wöchentlich Improvisationen zu zweit aufgenommen, wobei jedes Kind der Klasse zum Spielen kam. Beteiligt waren 16 Klassen von Kindergarten bis Stufe 5. Bei der Auswertung dienten die für die Schule modifizierten Skalen dazu, Veränderungen nachzuweisen.
Ergebnisse und ihre Bedeutung •
Die detaillierte Auswertung der Partnerimprovisationen von 100 Kindern zeigte, mit Ausnahme einer Klasse, eine Tendenz zu sich verdichtender Beziehungsqualität und wachsendem musikalischen Verständnis. In begrenztem Masse können durch diese Arbeit heilpädagogische Ansätze unterstützt werden.
Daraus entstand der Vorschlag einer neuen, sozial-konstruktivistisch orientierten Unterrichtssequenz für das Fach Musik in Primarschulen während eines Quartals. Das Studium ausgewählter Lehrpläne im deutschsprachigen Raum zeigte, dass eine solche Unterrichtssequenz den Forderungen entspricht.
Ausführliche Merkmallisten zum pädagogischen Gebrauch ermöglichen eine präzise
Einschätzung dessen, was in Improvisationen geschieht. Zu den unterschiedlichen
Beziehungsmodi findet die praktisch tätige Lehrperson Anregungen für die feinfühlige und
musikalisch kompetente Feedbackgestaltung. Das ermöglicht nicht nur, wie oben dargelegt, eine heilpädagogische Unterstützung, sondern gleichermaßen eine Förderung durchschnittlicher und besonderer Begabungen.
Unerwartete Ergebnisse waren zusätzliche Anfragen von Lehrpersonen, die mit ihren Klassen ebenfalls am Projekt mitmachen wollten. Ferner zeigte sich in einem abschließenden Feedback, dass es die Kinder sehr genossen hatten, anderen zuzuhören und im Hören immer mehr Zusammenhänge zu erkennen.