15:45 - 16:15Selbstverständliches revidieren. Kritische Fachentwicklung mit Fachcommunities
Anna Schürch, Michèle Novak, Margot Zanni
Zürcher Hochschule der Künste, Schweiz
Im Fach Bildnerisches Gestalten (BG) verspricht der neue Fach-Rahmenlehrplan für die Maturitätsstufe ebenso wie die Umbenennung des Faches in ‘Bildende Kunst’ (vgl. MAR/MAV) auf August 2024 Impulse zu geben für die Fachentwicklung. Viele Fragen sind aufgeworfen, offen ist jedoch, wie sich diese Gelegenheit konkret nutzen lässt, um das Fach in seiner gegenwärtigen Ausprägung zu reflektieren, zu revidieren und zu erweitern. Mit dieser Frage beschäftigt sich die Vorstudie Wie kunstpädagogisches Wissen verhandelbar machen? (Juni 2022-Januar 2024), die in einer exemplarischen Zusammenarbeit von Exponent:innen aus Gymnasium/Fachunterricht BG und Hochschule/kunstpädagogischer Forschung und fachdidaktischer Lehre durchgeführt wurde. Diese institutionen- und stufenübergreifende Anlage sehen wir als Voraussetzung für eine Forschung zur Fachentwicklung, die glaubwürdig ist, weil sie aus dem Fach und der fachlichen Berufspraxis kommend mit den fachlichen Gegebenheiten vertraut ist, dabei aber Vorgehensweisen entwickelt, um theoriegeleitet und im Modus der Forschung die eigenen Denkvoraussetzungen in Form fachlicher Selbstverständlichkeiten bewusst zu machen und zu bearbeiten.
Während solche Selbstverständlichkeiten in der individuellen Berufspraxis kaum greifbar werden, erweist sich der Austausch innerhalb der Disziplin als Potenzial: In unserem Beitrag gehen wir von der zentralen Erkenntnis der Vorstudie aus, wonach dieser disziplinäre, institutionen- und stufenübergreifende Austausch zu einer hohen Dichte des Wissens führt, wobei bisher unhinterfragte Phänomene in ihrer Komplexität sichtbar werden und diese Differenzierung einen Abstand zum Selbstverständlichen erst ermöglicht. Wir stellen dar, wie die gemeinsam forschende Arbeit – die Involvierung und disziplinäre Vertrautheit gleichermassen voraussetzte wie die Distanznahme – als Aktionsforschung (Altrichter et al. 2021) angelegt und methodisch angeleitet war. An konkreten Situationen arbeiten wir heraus, wie die mehrperspektivische Anlage in der Zusammenarbeit über Momente der Differenzbildung zur Wahrnehmung fachlicher Selbstverständlichkeiten führte. Darüber hinaus kontextualisieren wir das Vorgehen im Verhältnis zu forschungsmethodischen und theoriegeleiteten Zugängen, welche es erlauben, implizites Wissen aus der Perspektive von Praktiker:innen selbstreflexiv in den Blick zu nehmen. Dabei gehen wir von Ansätzen aus, nach denen in methodisch strukturierter Weise der (Selbst)befragung bestimmte Arten von fachlichen Selbstverständlichkeiten eruiert und expliziert werden können (Kaduk & Lahm, 2021). Diese verbinden wir mit einem kritisch-skeptischen Befragen des Selbstverständlichen, das in Anlehnung an Foucaults Ansatz einer Kritischen Ontologie der Gegenwart von dessen Kontingenz ausgeht und alternative Szenarien denkbar macht (Thompson, 2007; Schürch, 2021). Schliesslich diskutieren wir unser Vorgehen in Bezug auf den Ansatz kollektiver Autoethnographie (Autor:innengruppe AEDiL 2022), die eine gemeinsame systematische Reflexion der eigenen Lehre mit einer evokativen, andere Berufspraktier:innen adressierende Darstellung der Ergebnisse verbindet.
16:15 - 16:45Zeichnen Können oder Zeichnen können verlernen? Überlegungen zu einem Paradigma des Unterrichts im Fach Kunst und Bild
Gila Kolb
Pädagogische Hochschule Schwyz, Schweiz
Zeichnen und Können sind zwei Paradigmen des Unterrichts im Fach Kunst und Bild. Aber warum ist das Zeichnen überhaupt so wichtig für den Kunstunterricht – und ist es das auch noch für die Gegenwart? Was bedeutet es, für ein Schulfach, mit einer Technik verbunden zu werden, die eng mit einer Technik verknüpft ist, die heutzutage fast schon anachronistisch erscheint? On der Gegenwartskunst wurde die Frage nach der „Meisterschaft“ in einer Technik seit der Moderne konsequent in Frage gestellt und subversiv bearbeitet. Das Zeichnen wird in den gegenwärtigen Künsten nicht so gelehrt, wie im Fach Kunst und Bild. Warum also ist es noch Teil des Unterrichts – und wie könnte es gehen, nicht dermaßen zeichnen zu lehren und das Zeichnen als etwas zu verstehen, das nicht gekonnt wird, sondern an dem sich etwas zeigen lässt? Anhand des Zeichnens, Könnens und Verlernens wird in diesem Vortrag eine kunstpädagogische Position entfaltet, die sich zwischen dem Gründungsmedium des Kunstunterrichts, sowie aktuellen medialen und gesellschaftlichen Bedingungen des Lernens und Verlernens nachgegangen.
Ausgangspunkt der diskursiven und qualitativen Forschung ist eine Aussage, die dem*der Autor*in immer wieder begegnet: „Ich kann nicht zeichnen. Deshalb war ich auch nicht gut im BG-Untericht.“ - oder auch, wie es ein Schüler innerhalb meiner Erhebung formuliert: „Ich denke, Zeichnen ist nur für die wichtig, denen es Spaß macht.“ Ist also das Zeichnen im Unterricht die Erfüllung von Normen, die nur von denen erfüllt werden kann, die es „sowieso schon können“? Warum sollte das Zeichnen denn für Lernende wichtig sein, wenn nur für einige, nämlich jene, die es doch eigentlich sowieso ‚können‘? Das Zeichnen ist ein Gründungsmedium der Künste und des BG- bzw. Zeichenunterrichts und ist bis heute eines der am häufigsten gebrauchten Techniken. Beispielsweise war bis 2017 in den Vorgaben zur Maturitätsprüfung im Fach BG im Kanton Bern das gegenständliche Zeichnen ein Pflichtteil der schriftlichen Prüfung.
Die Arbeit teilte sich in drei Teile, 1) die diskursive Analyse der Gegenwart und deren gestalterische Praktiken 2) ebenfalls diskursiv historische Aspekte des Fachs zu erfassen und 3) qualitativ das Handeln der Schüler*innen beim Zeichnen um Unterricht in den Blick zu nehmen. In diesem Teil der Erhebung mit wurden 231 Zeichnungen, 12 Videografien, 77 Fragebögen von Schüler*innen in den Klassen 5-10 erhoben und ausgewertet.
Das Zeichnen steht historisch in Verbindung mit Normierung, Disziplinierung, Entwicklungen beurteilen sowie dem Leistungsbewertung im Unterricht. Die Äusserungen der Schüler*innen lassen darauf schliessen, dass sie zwar einerseits ihr Können zeigen wollen, aber andererseits auch in Frage stellen, wofür dieses gut sein könnte. Das Zeichnen selbst ist in den Künsten, hergeleitet aus dem akademischen Kunstbegriff, ist mit dem Begriff des Könnens verbunden. Dieser wird als Gegenstand künstlerischer Praxis immer wieder kritisch be- und hinterfragt, umgedeutet und neu definiert. Dem entsprechend wird auch der Begriff des Zeichnens in der Kunstpädagogik immer wieder unterschiedlich argumentiert.
16:45 - 17:15Bildgespräche, pädagogische Ordnungen und Agency der Kinder - Praxistheoretische Perspektiven auf Kunstrezeption im alltäglichen Unterricht
Anja Morawietz, Oxana Ivanova-Chessex
PH Zürich, Schweiz
Das Forschungsprojekt «Bildgespräche im Zyklus 1» arbeitet über Vernetzungen in multiplen Dimensionen. Es entfaltet sich im Zusammenspiel von Fachinhalt, sozialwissenschaftlich geprägter praxeologischer Perspektivierung (Reckwitz 2003) sowie der transdisziplinären Interaktion von Akteur:innen aus Schulpraxis, Fachdidaktik sowie der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Der zentrale Gegenstand dieser Forschung ist die Bildrezeption, die im Lehrplan 21 (D-EDK 2016) als wichtiger Kompetenzbereich des Fachs Bildnerisches Gestalten ausgewiesen ist und als ein Einfühlen in sowie Nachdenken und Kommunizieren über Bilder zu verstehen ist. Fachdidaktische Konzepte der Rezeption von Bildern aus der Kunst oder die Programme der Kunstvermittlung in Kunstmuseen denken diese plenaren Gespräche für Kinder der Primarstufe als ko-konstruktivistische, kreative, dialogische Prozesse (Uhlig 2013, 2016), in denen «subjektive Vorstellungen […] mit im Kunstwerk vorhandenen Elementen» verbunden werden (Abel-Danlowski 2022).
Die Durchführung dieser Gespräche ist aus fachdidaktischer Sicht mit grossen Erwartungen verbunden: Es wird ein Dialog zwischen allen Beteiligten angestrebt, in dem die Gedanken der Kinder grosses Gewicht erhalten, denn die Schüler:innen sollen sich die Kunst bis zu einem gewissen Grad zu eigen machen. Die Lehrpersonen oder die Vermittler:innen sollen Denk- und Handlungsräume eröffnen, die Kinder bei der Formulierung ihrer Beiträge unterstützen und moderieren, um so gemeinsam mit den Kindern Bedeutungen der Bilder hervorzubringen (Uhlig 2013, 2016). Wenn diese Programmatik im alltäglichen Schulunterricht zur Umsetzung kommt, so kann es, Breidenstein (2021) folgend, zu Abweichungen von den ursprünglichen Vorstellungen kommen.
In der durchgeführten Untersuchung schälen Fachdidaktiker:innen sowie Sozial- und Erziehungswissenschaftler:innen kollaborativ heraus, was mit diesen Ansprüchen in konkreten unterrichtlichen Settings der Praxis in Schule und Museum geschieht. Im Anschluss an das Konzept von Agency, wie es in childhood studies (Bollig 2020) diskutiert wird, wird der Frage nachgegangen, welche Formen von Agency der Kinder sich wie in den pädagogisch strukturierten Räumen entfalten und welche pädagogischen Praktiken in diesen Räumen wirksam werden? Die Grundlage der Analyse stellen mit einer 360-Grad-Kamera videographierte Gespräche aus dem schulischen und musealen Kontext dar, welche in Anlehnung an ein von Rabenstein und Steinwand (2016) vorgeschlagenesVerfahren der Rekonstruktion videographierter Daten ausgewertet wurden.
Den Beitrag abschliessend wird anhand dieses Projektes exemplarisch herausgearbeitet, welche Chancen und Herausforderungen die transdisziplinäre Zusammenarbeit beinhaltet.
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