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Achtsamkeit in der Schule als kompensatorische Erziehung im Verborgenen?
Imke Kollmer
Leibniz Universität Hannover, Deutschland
Achtsamkeit hat Hochkonjunktur. Für den schulischen Kontext hat sich ein Markt an Ausbildungsinstituten und Sachliteratur herausgebildet, der neben Dimensionen sozial-emotionalen Lernens (Valtl 2021), z.B. Empathiefähigkeit (José 2016), Beziehungsgestaltung (Jensen 2014) und -fähigkeit (Kaltwasser 2016) sowie Persönlichkeitsentwicklung (Altner/Friedrich 2024) bearbeitet.
Der annoncierte Beitrag möchte den Wirksamkeit und Effektivität reklamierenden Bezugspunkt schulischer Achtsamkeitsprogramme den Begründungen (der Notwendigkeit) ihrer Implementation gegenüberstellen. Nimmt man eine sinnverstehende Perspektive ein, zeichnen Programme zur Achtsamkeit in der Schule sich zum einen durch eine „Entfremdungskritik“ (Dietrich/Uhlendorf 2019: 20) aus, zum anderen identifizieren sie in besonderer Weise „Probleme der Familienerziehung“ (a.a.O.: 21; Kollmer 2024). Diese gelten als Referenzpunkt des Beitrags.
In einem ersten Schritt soll die Differenz des Anspruchs von Achtsamkeit in der Schule mit ihrem eingelagerten Kulturpessimismus konfrontiert werden. Ein zweiter Schritt fokussiert die Zuschreibung familialer Erziehungsinkompetenz, die sich nicht nur in der Diagnose einer „Erziehungsmisere“ (Kaufmann 2011: 14), sondern auch subtiler Ausdruck verschafft. In einem dritten Schritt wird dargelegt, wie Achtsamkeit in der Schule (latent) postuliert, damit einhergehende Erziehungsdefizite auszugleichen und so fraglich gewordene Normalitätsentwürfe durchzusetzen versucht.
Entgrenzte Erziehung?! Schulische Sexualerziehung und das Problem des Pluralisierungsparadoxon
Markus Hoffmann
Universität zu Köln, Deutschland
Skizziert wird zunächst, dass schulische Sexualerziehung wie keine andere Unterrichtsreihe einen „Kampfplatz“ (Benkel/Lewandowski 2021) markiert, anhand dessen grundlegende gesellschaftliche Aushandlungen über Erziehung und die Grenzen der Schule als erzieherische Institution stattfinden (Akbaba/Jeffrey 2017; Bialystok et al. 2020). Innerhalb dieses explizit erzieherischen Unterrichts lassen sich zusätzlich generational und sozialkulturell unterschiedliche Werteprojektionen feststellen (Siemoneit/Kleinau/Verlinden 2022).
Daran angeschlossen wird der Diskurs im Kontext des strukturtheoretisch gelesenen Pluralisierungsparadoxons (Helsper 2020; Wernet 2003; Ladenthin 2008) sowie Ruckers Überlegungen zur Rechtfertigungsproblematik erziehenden Unterrichts (Rucker 2019). Mit einer analytischen Wendung dieser Überlegungen zeigen sich zwei Grundprobleme einer Erziehung durch das Unterrichten: 1) gesellschaftlich widersprüchliche Aufforderungen und Grenzsetzungen im Verhältnis von institutionell-öffentlicher und privater Erziehung; 2) das Problem der professionsbezogenen Intention schulischer Erziehung vor dem Hintergrund eines ‚Unterrichtsziels‘.
Entnommen einem abgeschlossenen Forschungsprojekt (Hoffmann i.E.; Hoffmann/Proske 2017) konkretisieren abschließend empirisch gewonnene Deutungsmuster, wie Lehrer:innen bezogen auf Sexualität das Pluralisierungsparadoxon als ein Sujet professioneller Erziehungsarbeit in Schule und Unterricht bearbeiten.
Pädagogisch-therapeutische Programme und schulische Erziehung. Das Beispiel ETEP
Marie Esefeld, Rasmus Becker
Uni Gießen, Deutschland
Entwicklungstherapie/Entwicklungspädagogik (ETEP) versteht sich als pädagogisch-therapeutisches Interventionsprogramm, das „Lehrkräfte und Pädagog/innen aus anderen Feldern für eine professionelle Erziehungsarbeit“ (ETEP Europe) schulen will. Das Programm präsentiert sich als theoretisch fundiert, effektiv und evidenzbasiert. Zentrale Aspekt des Programms sind das Entwicklungs- und Fördermodell und der entwicklungspädagogische Unterricht. ETEP bietet so aus einer Hand alles für die schulische Erziehung von vor allem „schwierigen“ Schüler:innen – also jenen, die einer „besonderen“, „intensiveren“ oder „kompensierenden“ Erziehung bedürfen (Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung) – und wird u.a. vom Hessischen Kultusministerium prominent als Fortbildung gefördert. Viele Schulen (nicht nur in Hessen) bieten auf ihren Webauftritten Informationen zu ETEP.
Aufgrund der praktischen Relevanz des Programms bei gleichzeitigt fehlender Präsenz im erziehungswissenschaftlichen Diskurs haben wir uns ETEP genauer angesehen und möchten einerseits die dieser „professionellen Erziehungsarbeit“ zugrundliegenden Begriffe der Entwicklung und Erziehung(sziele) genauer beleuchten, um sodann zu fragen, ob der Erfolg von ETEP auf eine vermeintliche Leerstelle schulischer Erziehung zurückzuführen ist und wie diese mithilfe des Programms gegebenenfalls bearbeitet werden soll. Schließlich soll das Programm einer erziehungswissenschaftlich fundierten kritischen Würdigung/ Kritik unterzogen werden.