Veranstaltungsprogramm

Sitzung
S29: Transformation im Spannungsfeld von Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Gesellschaft
Zeit:
Dienstag, 01.10.2024:
10:30 - 12:00

Chair der Sitzung: Ralf Koerrenz
Chair der Sitzung: Birte Platow
Ort: S16

Seminarraum 1. Obergeschoss

Präsentationen

Transformation im Spannungsfeld von Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Gesellschaft

Chair(s): Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Schulentwicklung: Digital-Demokratisch (SchuDiDe)), Dr. Antje Winkler (Universität Potsdam, Digitalisierungsbezogene und digital gestützte Professionalisierung von Sport-, Musik- und Kunstlehrkräften (DigiProSMK)), Prof. Dr. Birte Platow (TU Dresden), Christoph Schröder (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Schulentwicklung: Digital-Demokratisch (SchuDiDe))

Diskutant:in(nen): Prof. Dr. Dr. Ralf Koerrenz (Friedrich-Schiller-Universität Jena, Schulentwicklung: Digital-Demokratisch (SchuDiDe))

Die allumfassende Digitalisierung unserer Lebensrealitäten gewinnt durch Künstliche Intelligenz – schulisch betrachtet – noch an zusätzlicher Brisanz (vgl. Hemminger 2023; Rietz/Völmicke 2020; Standop 2022). Zur Diskussion stehen jetzt in einer neuen Qualität die Möglichkeiten und die Grenzen der Lernsteuerung in Unterricht und Schulleben (vgl. Koerrenz 2023). Professionstheoretisch gewendet: Im Zuge der digitalen Schulentwicklung wird von Lehrkräften erwartet, dass sie spezifische digitale Kompetenzen unter Einbezug von KI erwerben und didaktisch übersetzen bzw. mit den diagnostischen Kompetenzen von KI verantwortungsbewusst umgehen. Diese Anforderungen richten sich in erster Linie auf das konkrete Unterrichtsgeschehen und die Vermittlung technischer Fähigkeiten an Schüler*innen (vgl. Robert-Bosch-Stiftung 2024, S. 48-52). Dieser Fokus ist nachvollziehbar. Das Symposium möchte dieses Verständnis jedoch erweitern. Denn das Lehren und Erlernen technischer Fähigkeiten ist auch stets verwoben mit Fragen nach den gesellschaftlichen, sozialen und ethischen Transformationsprozessen in einer Kultur der Digitalität (vgl. Stalder 2016), die unter dem Eindruck von Krisen und aktuellen gesellschaftspolitischen Problemzonen steht und in der demokratische Prinzipien verteidigt werden müssen (vgl. O’Neil 2018). In einem erweiterten Verständnis von Digitalisierung muss dementsprechend auch über die digitale Verbreitung und Kommunikation menschenverachtender Inhalte diskutiert werden, insbesondere hinsichtlich des Erlernens und Lehrens digitaler Kompetenzen, einschließlich der Förderung digitaler Mündigkeit.

Der gesellschaftliche wie wissenschaftliche Diskurs um KI macht deutlich, dass diese Transformationsprozesse unser Verständnis von Schule nachhaltig verändern werden. Neben den Debatten um die Verwendung von KI-Anwendungen durch Lehrkräfte und Schüler*innen (bsp. Text- und Bildproduktion und Übersetzungen) rücken verstärkt Fragen nach der Ausbildung eines reflexiven digitalen Urteilsvermögens (vgl. Grimm et al. 2022) von Lehrkräften und Schüler*innen in den Fokus. Zu den möglichen Aspekten einer solchen Ausbildung gehören der geschulte Umgang mit einer durch Digitalisierung und KI verstärkten Wahrnehmungsdifferenz von Wirklichkeit seitens der Lehrkräfte und Schüler*innen, ein kritisches Bewusstsein für die (neuen) Steuerungsinstanzen von Lernen außerhalb des Klassenzimmers sowie eine Revision des Zusammenhangs von Künstlichkeit, Authentizität und Intelligenz für die digitale Transformation von Schule.

Das Symposium greift diese Grundgedanken auf und geht in drei konzeptionellen Beiträgen der Fragestellung nach, wie erzieherische Autorität an Schule im Zusammenhang von Digitalisierung und KI neu verhandelt wird. Ganz konkret geht es dabei um direkte und indirekte Lernsteuerung und wie diese durch Digitalisierung und KI immer weniger erkennbar wird. Gleichzeitig stellt sich aus einer kritisch-pädagogischen Perspektive (vgl. Castro Varela/Khakpour/ Niggemann 2023) die Frage, wie diese Lernsteuerung wieder sichtbar gemacht werden kann (vgl. Meyer-Drawe 2023).

Die Beiträge verstehen sich als spezifische Problemanzeigen und gleichzeitig als konstruktive Perspektiven für die Gestaltungsmöglichkeiten einer digitalen Transformation von Schule.

Der Beitrag von Antje Winkler nimmt exemplarisch die aus iterativ evaluierten Projekten abgeleiteten praxeologischen Erkenntnisse zum Ausgangspunkt, um diese potenzialaffin für transformationsstarker Fort- und Weiterbildungsprodukte vorzustellen. Dabei werden experimentelle und kritisch reflexive Arbeitsformen „von Kunst aus“ im Bereich KI/ Digitalität und besonders deren transdisziplinäre Synergien im Sinne einer Kultur der Digitalität zur Disposition geführt.

Christoph Schröder geht in seinem Beitrag der Frage nach, wie sich der rasant ansteigende digitale Antisemitismus auf den schulischen Alltag auswirken kann. Ausgehend von der These, dass (digitaler) Antisemitismus unser Lernen steuert, werden die Spezifika des digitalen Antisemitismus vorgestellt und ins Verhältnis zum schulischen Alltag gesetzt. Abschließend soll diskutiert werden, wie mögliche pädagogische Gegenstrategien in die Praxis integriert werden könnten.

Birte Platow diskutiert in ihrem Beitrag, wie Künstliche Intelligenz nachhaltig in Lehr-Lernprozesse integriert werden kann. Dabei werden Fragen nach konkreten Anwendungsmöglichkeiten zwar aufgegriffen, allerdings soll die oft vernachlässigte Diskussion nach den Tiefenstrukturen dieser technologischen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf unser Verständnis von Schule und Bildung zentriert werden. Unter anderem soll am Beispiel des ‚Educational Data Mining‘ gezeigt werden, wie sich die Stärken technologischer Innovation mit einem zeitgemäßen Verständnis von Bildung produktiv in Beziehung setzen lassen.

 

Beiträge des Symposiums

 

“We are using AI instead of Biased Humans” – Praxeologischer Forschungs- und Arbeitsbericht über die Zusammenarbeit im Rahmen des Projektes „Zeitgemäße ästhetische Bildung, Urteilsfähigkeit und Teilhabe im Kontext von Digitalisierung“ und der Leibniz-Projektwoche (1.7.-5.7.2024).

Dr. Antje Winkler
Universität Potsdam, Digitalisierungsbezogene und digital gestützte Professionalisierung von Sport-, Musik- und Kunstlehrkräften (DigiProSMK)

Die Frage nach einer zeitgemäßen ästhetischen Bildung im Fach Kunst lässt sich nicht mehr mit gattungsbezogenen Arbeits- und Vermittlungspraktiken beantworten. Das gesellschaftliche Betriebssystem (vgl. Meyer/Kolb, 2015) hat sich durch Digitalisierung virulent verändert (vgl. Huwer et al./van Ackeren et al., 2019). Insofern bedarf es einer “digital literacy” (Jenkins, 2009) resp. "civic media literacy” (Mihailidis, 2018), um die Konditionen der digitalisierten Welt zu verstehen und mitzugestalten. Der Mensch in Zeiten digitalisierter Lebensbedingungen ist ein grundlegender Faktor globaler Ökosysteme (vgl. Crutzen/Stroemer, 2000). Ziel ist es, eine zeitgemäße ästhetische Bildung u.a. in Form von OER-Settings zu vermitteln, die von zeitgenössischer Kunst ausgehend, sich den Themen der Gegenwart historisch, künstlerisch, kritisch-reflexiv und didaktisch-pädagogisch widmet, um die mit “Referenzialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität” beschriebenen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse (vgl. Stalder, 2016) ästhetisch forschend und entdeckend verhandelbar zu machen (vgl. Mersch, 2018). Die Chancen der Digitalisierung im Kunstunterricht zum Experimentierfeld zu machen, rückt die Digital Natives (vgl. Meyer, 2013) in den Fokus, die als Generation hinsichtlich ihrer ästhetisch-kulturellen Praxen der Wahrnehmung integraler Bezugspunkt der multidisziplinären edukativen Bildungsbausteine sind. Ihre Affinität zum aktiven Handeln in medialen Settings ist Ansatzpunkt einer zeitgenössischen „practice-based media literacy“ (Walden, 2004) und elementarer Baustein digitaler Demokratie.

Im Rahmen des BMBF-Verbundantrags DigiProSMK verantwortet die Beitragende ein künstlerisch ausgerichtetes Teilprojekt „Zeitgemäße ästhetische Bildung, Urteilsfähigkeit und Teilhabe im Kontext von Digitalisierung“. Seit dem Projektstart im Jahre 2023 wird eine Arbeitsgruppe organisiert, die sich aus Studierenden, einer Künstlerin und Kunstlehrerin zusammensetzt und sich mit künstlerisch-edukative Strategien im kritischen Umgang mit maschinellem Lernen (KI), Deepfake und Digitalisierung für eine Contemporary Art Education auseinandersetzt und daraus Fortbildungsprodukte für Kunstlehrende in der dritten Ausbildungsphase entwickelt. Erste Fort- und Weiterbildungsprodukte wurden prototypisch entwickelt und in Lehr-Forschungsprojekten erprobt. Im Kontext der internationalen Leibniz-Projektwoche 2024 (ZeLB Potsdam) werden Schüler*innen der Klassenstufe 8 aus dem Potsdamer Leibniz-Gymnasium und aus der Rahn Schule in Kairo/Afrika hybrid und intermedial in zwei Workshops miteinander von Kunst aus ins Experimentieren kommen. Spielerische und künstlerische Arbeitsweisen sollen einen kritisch-reflexiven Umgang mit dem Themenkomplex Künstlicher Intelligenz ermöglichen. Im ersten Workshop wird die gestalterische Fusion von Mode und KI adressiert, indem es den S*S möglich wird über Moodboards KI-Charaktere respektive deren Kleidung zu kreieren, welche sie im Anschluss präsentieren. Der Workshop inszeniert die Personifikation von Text-, Sound-, Voice-Over- oder Bildgebenden KI-Apps, um auf die kreative Entwicklung alternativer Vorstellungswelten aktiv Bezug zu nehmen und Produktions- und Gestaltungskompetenzen im Umgang mit Technologie auszubilden. Im zweiten Workshop wird das Thema KI und Silicon Valley im Rollenspielformat „Krimidinner“ sinnleiblich erfahr- und verhandelbar. Hier können die S*S zum einen in virtuellen Räumen (vgl. gather town) interagieren und entsprechend der Handlungsabläufe über die Bildungsplattform Fobizz die KI-Bild- Text- und Soundgenerierung entlang der Storyline erproben. Beide Workshops forcieren im Transferanliegen, die Reflektion und das Einüben einer Critical AI Literacy. Die gezielte Verquickung von analogen und digitalen Lehr-/Lernarrangements verfolgt das Ziel einer erfahrungsevidenten, sinnleiblichen und nachhaltigen Lernerfahrung. Der thematische Fokus liegt dabei stets auf experimentellen und kritisch reflexiven Arbeitsformen „von Kunst aus“ im Bereich KI/ Digitalität jenseits einer instrumentellen Nutzung. Aus den iterativ evaluierten Projekten werden praxeologische Erkenntnisse abgeleitet, die weiterführend in Fortbildungsprodukte für den Bildungsbereich Berlin/Brandenburg überführt werden.

Der Beitrag nimmt exemplarisch, die praxeologischen Erkenntnisse zum Ausgangspunkt, um diese potenzialaffin für transformationsstarker Fort- und Weiterbildungsprodukte vorzustellen. Zunächst erfolgt ein Einblick in kollaborative Arbeitsweisen, die offen im Prozess und situativ eine praxeologische Exploration neuer Methoden und Themenstränge begünstigen. Abschließend wird Chancen und Grenzen eingegangen, um schließlich mit einem Blick auf deren transdisziplinäre Synergieeffekte im Sinne einer Kultur der Digitalität aufmerksam zu machen.

 

Das erweiterte Klassenzimmer – Digitaler Antisemitismus als Herausforderung für den schulischen Alltag

Christoph Schröder
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Schulentwicklung: Digital-Demokratisch (SchuDiDe)

Nicht erst seit dem 7.10.2023 ist Antisemitismus und gleichzeitig seine Thematisierung im schulischen Kontext eine Herausforderung, aber spätestens seit dem 7.10.2023 werden die „Grenzen der Aufklärung“ (Horkheimer/Adorno 1944/2019) in Bezug auf Antisemitismus immer sichtbarer. Aus pädagogischer Sicht ist eine solche Grenze erreicht, wenn Aufklärung sich auf die Identifizierung von Antisemitinnen:Antisemiten beschränkt.

Innerhalb der Forschung wird diese Herangehensweise auch dahingehend kritisiert, dass der Hyperfokus auf einen antisemitischen Archetyp, der auf eine ganz bestimmte Art und Weise fühlt und denkt (vgl. Salzborn 2010, S. 317-334), der Analyse von Antisemitismus als einem gesellschaftlich produzierten Machtverhältnis (vgl. Coffey/Laumann 2021, S. 10-13), in dem Jüdinnen:Juden ausgegrenzt und verbal wie körperlich attackiert werden, hinderlich ist (vgl. Schüler-Springorum 2020, S. 103). Dieses Machtverhältnis äußert sich in seiner Heftigkeit auch deutlich auf Social-Media-Plattformen wie TikTok. Zwar können Antisemitinnen:Antisemiten als solche identifiziert und gemeldet werden, für eine Analyse der Mechanismen und Funktionsweisen des Antisemitismus auf diesen Plattformen ist ein solches Vorgehen aber unzureichend. Dass der Gestus des unbedingten Identifizierens von Antisemitinnen:Antisemiten gerade für den Kontext Schule nicht zielführend ist (vgl. Zentralrat der Juden/KMK 2021, S. 9), ergibt sich auch aus den spezifisch schulischen Herausforderungen im Umgang mit und in der Thematisierung von Antisemitismus. Selbst wenn im Zusammenhang von Antisemitismus von Schule als einem „Spiegel der Gesellschaft“ (Bernstein/Grimm/Müller 2022) gesprochen wird, kommen wir nicht umhin, Schule als ein System mit relativ eigenen Regeln und Aushandlungsprozessen von Normalität zu verstehen (vgl. Koerrenz 2020, S. 9-39), was sich auch auf das Sprechen über und gegen Antisemitismus auswirkt. Gleichzeitig können in einem zeitgemäßen Verständnis von Schule außerschulische Lernorte nicht ignoriert werden.

Social-Media-Plattformen sind, so die zugrundeliegende These, als außerschulische Lernorte zu verstehen, auf denen eben auch antisemitische Denkmuster und Codes erlernt werden, was sich teilweise massiv auf den schulischen Alltag auswirken kann (vgl. Schnabel/Berendsen 2023). Diese Plattformen sind einerseits die bevorzugte Ressource von Schülerinnen:Schülern, um sich über aktuelle politische Themen zu informieren, andererseits verdienen sie eine gesonderte Aufmerksamkeit, weil das Internet heute „der primäre Tradierungsort und Multiplikator für die Verbreitung von judenfeindlichen Inhalten“ (Schwarz-Friesel 2019, S. 6) ist und inzwischen von einer digitalen antisemitischen Kultur gesprochen werden muss (vgl. ebd., S. 16). Diese Kultur kann sich besonders auf TikTok entfalten, weil die Plattform Informationsquelle, Unterhaltungsmedium und Kommunikationsdienst in einem ist und weil Userinnen:Usern suggeriert wird, sie würden einer ‚Community‘ angehören, die die eigenen Probleme kennt, teilt und die gleichen wahrgenommenen Missstände anklagt (vgl. Lehmann/Schröder 2021, S. 11. f.). Entgegen dem weitverbreiteten Irrglauben, der israelische Staat dürfe nicht kritisiert werden, beziehungsweise die Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs unterliege einer politischen Zensur und ‚die‘ Medien würden einseitig berichten, kann eine Plattform wie TikTok als rebellische Gegenöffentlichkeit wahrgenommen werden, auf der diese Einschränkungen nicht gelten. Hinzukommt, dass vielen Userinnen:Usern die Funktionsweisen der plattformeigenen Algorithmen nicht bekannt sind, weshalb die gezeigten Inhalte als besonders authentisch empfunden werden, auch weil sie direkt und in der eigenen Sprache kommuniziert werden (vgl. Hajok/Wiese 2022, S. 20). Aus einer pädagogischen Perspektive muss eine Plattform wie TikTok daher auch als Lernort verstanden werden, wo vermeintlich zensiertes Wissen geäußert und geteilt wird und mit dem Wissen aus dem schulischen Unterricht in Konflikt gerät.

Der Symposiumsbeitrag wird den Lernort TikTok und die auf der Plattform grassierende antisemitische Kultur aus allgemeinpädagogischer Perspektive einordnen und folgt dabei der Annahme, dass der digitale Antisemitismus unser Lernen steuert und somit eine erzieherische Wirkung entfaltet. Es werden zunächst die Spezifika des digitalen Antisemitismus vorgestellt, um dann zu erläutern, wie diese Form der Erziehung über das Kreieren von digitalen Wahrnehmungsangeboten (vgl. Koerrenz 2023, S. 46-54) sowohl direkt als auch indirekt erfolgt.

 

Kollegin KI? Oder wie künstliche Intelligenz Lernen und Lehren verändert

Prof. Dr. Birte Platow
TU Dresden

Spätestens seit ChatGPT ist Künstliche Intelligenz in aller Munde, und so wundert es nicht, dass auch für die Schule fieberhaft Überlegungen angestellt werden, wie diese neue Technologie auf gute Weise in Lehr-Lernprozesse integriert werden kann (vgl. Baidoo-anu/Owusu, 2023). Die Diskussionen um KI liegen dabei mehrheitlich auf eine Ebene, die man im weitesten Sinne als „unterrichtstechnisch“ bezeichnen könnte (vgl. exemplarisch Pinkwart/Liu, 2020): „Welche Prüfungsformen sind obsolet, weil sich nicht mehr feststellen lässt, ob die Leistungen wirklich von den Lernenden erbracht wurden oder aber das Produkt einer generativen KI sind?; Welche alternativen Unterrichts- und Prüfungsformen brauchen wir? Wie kann KI die Lehre unterstützen?; Welche weiteren Anwendungen sind möglich?; Und wo liegen die technischen und rechtlichen Grenzen?“ sind nur einige der Fragen, die sich in diesem Kontext aktuell stellen (vgl. Genovesi/Kaesling/Robbins, 2022).

Über die zitierten sowie weitere praxisbezogene Fragen ist sicherlich und ausführlich zu diskutieren. Darüber hinaus werden ist aber einen tieferen, bislang oft übersehenen Kontext zu erarbeiten, welche Tiefenstrukturen die Technologie mit den ihr inhärenten Logiken und Arbeitsweisen kreiert, und wie sich diese auf unser Verständnis von Bildung am Ort Schule auswirken. So ist durch ‚Educational Data Mining‘ ein bislang nie dagewesener detaillierter, differenzierter und präziser Einblick in individuelle Lernorte, - zeiten, -wege, und -taktiken gegeben. Dies gilt für formelle Lernsettings ebenso wie für semiformelle und informelle, was die verschiedenen Lernorte „nebenbei“ in ein neues Verhältnis setzt. Das sich aus den großformatig erhobenen Daten abzeichnende Bild des lernenden Individuums eröffnet Möglichkeiten zur Differenzierung und individuellen Förderung und Unterstützung in einer völlig neuen Dimension (auch und insbesondere im Kontext von Inklusion (vgl. Hanusch/Kruschel/Janus/Rossbach, 2023). Die technischen Grundlagen hierfür liegen in der systematischen Analyse der dokumentierten Daten („learning analytics“), die individuelle Muster freilegt und so detaillierte Rückschlüsse auf Lernvoraussetzungen, Taktiken und nicht zuletzt Lernmöglichkeiten erlaubt (vgl. Khine, 2019) Naheliegenderweise verbinden sich damit quasi automatisch Prognosefunktionen in Bezug auf zu erwartende Lernerfolge („predictive analytics“). Dass sich (spätestens) hier pädagogische und ethische Grundsatzfragen entzünden, liegt auf der Hand (vgl. Genovesi/Kaesling/Robbins, 2022). In einem tieferen Sinne ist mit den skizzierten technischen Mechanismen im Lernprozess auch unser traditionelles Verständnis von Bildung auf die Probe gestellt. Auf einen ersten Blick mag KI gestützte Bildung an die Logiken einer kybernetischen Didaktik und ihr behaviorales Lernverständnis erinnern und schnell will man die KI gestützte Lernprozesse als „behaviorales Lernen“ im Kontext eines auf Erziehung angelegten Paradigmas interpretieren. Auf einen zweiten Blick ist diese Zuordnung unter Umständen nicht korrekt, so dass es einer differenzierenden Wahrnehmung bedarf (vgl. Koerrenz, 2022 und 2023).

Im Rahmen des Symposiums werden wir uns an differenzierenden Kategorisierungen versuchen und dabei insbesondere die Frage fokussieren, inwiefern und wie Lehrkräfte KI gestützte Lernprozesse so gestalten können, dass die Stärken der Technologie zum Tragen kommen, ohne dass unser Verständnis von Bildung durch Techno-Logiken implizit unterlaufen wird. Dabei und im Sinne einer produktiven Konkretisierung werden wir uns auf die Frage fokussieren, wie sich der Beruf der Lehrkraft in diesem Feld neu definiert, und wie wir mit ‚Kollegin KI‘ konstruktiv umgehen.