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Sitzungsübersicht
Sitzung
E08: Mathematikdidaktik
Zeit:
Montag, 30.09.2024:
15:30 - 17:00

Chair der Sitzung: Viktoria ter Laak
Ort: S21

Seminarraum 2. Obergeschoss

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Präsentationen

Fächerübergreifende Lehrkräfte-Fortbildungen zu digitalgestütztem Mathematik- und Sachunterricht

Andreas Leinigen2, Zita Pahlsmeier1, Marcus Nührenbörger1, Nicola Meschede1, Daniel Walter2, Anna Windt1

1Universität Münster, Deutschland; 2Technische Universität Dortmund, Deutschland

Zentrales Ziel im Projektverbund ComeMINT ist die forschungsbasierte Entwicklung prototypischer, fachlich fundierter und digitalisierungsbezogener Professionalisierungskonzepte für MINT-Lehrkräfte und Multiplizierenden. Entsprechend dieses Zieles wurden im Rahmen einer Kooperation zweier Subgruppen des Projektverbunds, den ComeNets Mathematik und Sachunterricht, fünf aufeinander aufbauende Fortbildungsmodule zum Einsatz digitaler Medien zur Lernunterstützung im Mathematik- und Sachunterricht der Grundschule entwickelt, die in einem ersten Zyklus im Verlauf des Schuljahres 2023/2024 erprobt und beforscht werden.

Die Fortbildungsreihe richtet sich an Grundschullehrkräfte der Fächer Mathematik- und/oder Sachunterricht und zielt auf den fachspezifischen Einsatz digitaler Medien – insbesondere zur Unterstützung der Basisdimensionen kognitive Aktivierung und kognitive Unterstützung (Kunter & Trautwein, 2013; Lipowsky & Rzejak, 2023; Praetorius et al., 2018) – im Unterricht zu den beispielhaften Themen Flexibles Rechnen sowie Experimentieren ab. Die Konzeption der Fortbildungsreihe greift etablierte Prinzipien und Erkenntnisse zu qualitätsvollen Lehrkräftefortbildungen auf (Barzel & Selter, 2015; Lipowsky & Rzejak, 2023).

Jedes der fünf Fortbildungsmodule umfasst fächerübergreifende und fachspezifische Phasen. Die fächerübergreifenden Phasen werden von allen teilnehmenden Lehrkräften besucht. Für die Teilnahme an den fachspezifischen Teilen und die Durchführung unterrichtspraktischer Erprobungen im Verlauf der Fortbildung ordneten sich die Lehrkräfte zu Beginn der Fortbildungsreihe einem fachlichen Schwerpunkt (Mathematik oder Sachunterricht) zu. Dabei nimmt pro Schule möglichst ein Tandem aus zwei Lehrkräften teil, das sich auf die beiden Fächer aufteilt. Alternativ wurden regionale Tandems aus Lehrkräften mit Schwerpunkten in den beiden Fächern gebildet. Durch die Verzahnung aus fächerübergreifenden und fachspezifischen Phasen sollen die Lehrkräfte zu einem fächerübergreifenden Transfer zwischen Mathematik- und Sachunterricht sowie in weitere Fächer angeregt werden.

In jedem Fortbildungsmodul werden die Lehrkräfte dazu angeregt, eine unterrichtspraktische Erprobung (meist mit Bezug zu eBooks oder Lernvideos) vorzubereiten, nach dem Modul durchzuführen und diese im darauffolgenden Modul zu reflektieren und zur Diskussion zu stellen. Dabei liegt wiederum der Fokus auf den Basisdimensionen kognitive Aktivierung und konstruktive Unterstützung sowie auf der Förderung der Kollaboration der Lernenden. Basierend auf der Nutzung digitaler Werkzeuge, die sowohl im Mathematik- als auch im Sachunterricht eingesetzt werden können, wird in jedem Fortbildungsmodul ein fächerübergreifender Austausch über die Erprobung initiiert.

Im ersten Zyklus der Durchführung und Beforschung der Fortbildungsreihe verfolgt das Teilprojekt im Sinne der fachdidaktischen Entwicklungsforschung (Hußmann et al., 2013) Zielsetzungen auf Entwicklungs- und auf Forschungsebene. So werden Erkenntnisse für eine Weiterentwicklung der Fortbildungsreihe gewonnen. Folgende Forschungsfragen sind dabei leitend:

  1. Wie entwickeln sich die selbsteingeschätzten Kompetenzen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Einstellungen der teilnehmenden Lehrkräfte in Bezug auf digitalgestützten Mathematik- und Sachunterricht durch die Fortbildungsreihe?
  2. Wie bewerten die teilnehmenden Lehrkräfte die einzelnen Fortbildungsmodule?

Um die erste Forschungsfrage beantworten zu können, wurde ein Fragebogen zusammengestellt, der entsprechend einem Prä-Post-Test-Design im ersten und fünften Fortbildungsmodul eingesetzt wird. Damit werden die selbsteingeschätzten Kompetenzen (in Anlehnung an DigCompEdu nach Quast et al., 2023), Selbstwirksamkeitserwartungen (in Anlehnung an Schwarzer & Jerusalem, 2003) und Einstellungen der teilnehmenden Lehrkräfte (in Anlehnung an Vogelsang et al., 2019) bezüglich eines digitalgestützten Sach- und Mathematikunterrichts erhoben.

Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage werden mit selbst (weiter-) entwickelten Fragebögen vor dem ersten Modul die Vorerfahrungen der Lehrkräfte bezüglich digitaler Medien im Fachunterricht und ihre Bedarfe für die Fortbildung erfasst sowie die Qualität der einzelnen Fortbildungsmodule am Ende jedes Moduls.

Der Beitrag umfasst neben Einblicken in die Konzeption der Fortbildungsreihe erste empirische Ergebnisse auf Forschungs- und Entwicklungsebene und daraus abgeleitete Konsequenzen zur Weiterentwicklung der Fortbildungsreihe.



Evaluationsergebnisse des Online-Trainings der mathematischen Diagnosekompetenz für Lehramtsstudierende

Thea Radke, Antje Ehlert

Universität Potsdam, Deutschland

Um den wachsenden Anforderungen von Lehrkräften gerecht zu werden, ist die Förderung diagnostischer Kompetenzen zentraler Bestandteil der Lehrkräftebildung. Bereits in der ersten Phase der Lehrkräftebildung ist es daher essenziell, dass Studierende Lerngelegenheiten erhalten, um ihre Kompetenzen im Umgang mit der Heterogenität von Schüler:innen auszubauen. Diagnostische Kompetenzen werden dabei im Forschungsfeld häufig nach Südkamp & Praetorius 2017 definiert als „die Fähigkeit, Schüler- und Aufgabenmerkmale korrekt zu beurteilen“ (Südkamp & Praetorius 2017, S.14). Digitale Lernangebote bieten Studierenden hier die Möglichkeit der Individualisierung und Flexibilisierung des Lernprozesses. Gleichzeitig können digitale interaktive Angebote bereits im Studium verankert und zur eigenen Kompetenzentwicklung genutzt werden. Die Wirksamkeit digitaler Lernangebote zur Förderung diagnostischer Fähigkeiten von Lehramtsstudierenden konnte beispielweise Rahmen der Evaluation der digitalen Lernumgebung `ViviAn` (Enenkiel et al. 2022) nachgewiesen werden.

Zur Förderung der diagnostischen Kompetenzen bezüglich arithmetischer Basiskompetenzen von Schüler:innen wurde ein „Online-Training der mathematischen Diagnosekompetenz“ für Studierende des Lehramtes Primarstufe entwickelt und evaluiert. Das Online-Training besteht aus neun Lerneinheiten, welche jeweils (interaktive) Lehrvideos sowie interaktive Anwendungsübungen mit direkter Leistungsrückmeldung kombinieren. Es ist als Selbstlernkurs konzipiert und wird von den Teilnehmenden im eigenen Lerntempo durchlaufen. Zur Evaluation des Trainings wird folgende Forschungsfrage formuliert: Inwiefern ist ein Online-Training zur Förderung der Diagnosekompetenz bei Lehramtsstudierenden wirksam?

Dazu durchliefen in vier Kohorten insgesamt n = 88 Studierende des Bachelor Lehramt Primarstufe der Universität Potsdam (81% weiblich, 7% männlich, durchschnittliches Alter M = 25,37, SD = 4,71) das Training in einem Zeitraum von jeweils etwa 8 Wochen und weitere n = 73 Studierende (60% weiblich, 12 % männlich, 1,4 % divers, durchschnittliches Alter M = 23,29, SD = 2,76) nahmen als Kontrollgruppe an Pre- und Posttests direkt vor und nach dem Trainingszeitraum teil. Im Rahmen der Pre- und Posttests wurden die diagnostischen Kompetenzen zum einen anhand eines Videovignetten basierten Instrumentes zur Erfassung der Diagnosekompetenz (Wagner & Ehlert, 2019) und zum anderen durch ein im Rahmen des Projektes entwickelten Instruments zur Erfassung der Urteilsakkuratheit bei der Einschätzung von Aufgabenschwierigkeiten erhoben. Zudem wurde das mathematische und mathematikdidaktische Wissen anhand von ausgewählten Items des Instruments aus der TEDS-M Studie (Laschke & Blömeke, 2013) sowie „Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehramtsstudierenden zum adaptiven Unterrichten in heterogenen Lerngruppen“ mithilfe von Items des Instrumentes SAUL (Meschede & Hardy, 2020) erfasst.

Die Ergebnisse des Instruments zur Erfassung der Diagnosekompetenz (Wagner & Ehlert, 2019) wurden Gruppenunterschiede mithilfe der ANOVA mit Messwiederholungen zwischen den Teilnehmenden des Online-Trainings und der Kontrollgruppe bezüglich der Pre- und Posttests analysiert. Es zeigten sich signifikante Unterschiede bei der Einschätzung von Teilaufgaben in den Videovignetten bei allen drei Leistungsniveaus der Kinder (F(1, 155) zwischen 4,374 und 8,955, p zwischen .038 und .003). Weitere Gruppenunterschiede innerhalb der Ergebnisse desselben Instruments sowie denen der weiteren Testinstrumente können bis zur Tagung vorgestellt werden.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Online-Training wirksam ist, die mathematische Diagnosekompetenz der Lehramtsstudierenden zu fördern. Diese Beobachtung sollte durch weitere Analysen gestützt werden.

Literatur:

Enenkiel, P., Bartel, M.-E., Walz, M., & Roth, J. (2022). Diagnostische Fähigkeiten mit der videobasierten Lernumgebung ViviAn fördern. Journal für Mathematikdidaktik 43[A4] (1), 67–99. https://doi.org/10.1007/s13138-022-00204-y

Laschke, B., & Blömeke, S. (2013). Teacher Education and Development Study—Learning to Teach Mathematics (TEDS-M 2008). Dokumentation der Erhebungsinstrumente von Christin Laschke, Sigrid Blömeke als eBook bei Waxmann Verlag. URL: http://waxmann.ciando.com/ebook/bid-1371130-teacher-education-and-development-study-learning-to-teach-mathematics-teds-m-2008-dokumentation-der-erhebungsinstrumente.html [Letzter Abruf:10.01.2023]

Meschede, N., & Hardy, I. (2020). Selbstwirksamkeitserwartungen von Lehramtsstudierenden zum adaptiven Unterrichten in heterogenen Lerngruppen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 23(3), 565–589. https://doi.org/10.1007/s11618-020-00949-7

Südkamp, A., & Praetorius, A.-K. (Hrsg.). (2017). Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften: Theoretische und methodische Weiterentwicklungen. Waxmann.

Wagner, L., Ehlert, A. (2019). Diagnostic Competence of Math Teacher Students: An Important Skill in Inclusive Settings. In Kollosche, D., Marcone, R., Knigge, M., Penteado, M.G., Skovsmose, O. (eds) Inclusive Mathematics Education. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-11518-0_32



Statistisches Denken adaptiv und digital gestützt unterrichten: Wie können Vignetten als professionelle Lerngelegenheit und Testinstrument in einer Fortbildung für Mathematiklehrkräfte eingesetzt werden?

Elif Özel1,2, Florian Bogda1,2, Johanna Ruge2, Markus Vogel1,2, Marita Friesen1,2

1PH Heidelberg, Deutschland; 2Heidelberger School of Education

Theoretischer Hintergrund und Projektkontext

Daten sind in der modernen Lebenswelt omnipräsent, mit Hilfe von Daten manifestieren sich Phänomene, Geschehnisse, Abläufe und Zusammenhänge der natürlichen, technischen und sozialen Umwelt und werden so für die Verarbeitung durch Mensch und Maschine zugänglich. Die rasant zunehmende Digitalisierung seit der Jahrtausendwende hat dazu geführt, dass die weitreichende Bedeutung von Daten und ihrer digitalisierten Aufbereitung in unserer Gesellschaft noch weiter zugenommen hat. Entsprechend ist zu verstehen, dass in den Standards des National Council of Teachers of Mathematics (NCTM, 2000) und wiederholt bis in die jüngste Zeit der PISA-Studien (z.B. PISA 2022) die Förderung statistischer Kenntnisse in der Schulbildung gefordert wird, um datenkompetente Bürger hervorzubringen. Eine wesentliche Schlüsselkompetenz bildet dabei das statistische Denken – insbesondere der Umgang mit Variabilität in statistischen Daten und das Erkennen von Mustern in dieser Variabilität (nach Wild & Pfannkuch, 1999). Der Lehrkraft kommt die Rolle zu, solche fachlichen Kompetenzen durch geeignete Lehr-Lehrarrangements zu unterstützen. Dabei ist der Einsatz von digitalen Medien unabdingbar: Durch die technologiebasierte Erschließung von Datenmustern erwerben Schüler:innen wichtige Kompetenzen, wie etwa kritisches Denken, Kreativität und Erforschungsgeist im Sinne der 21st Century Skills (Eichler & Vogel, 2022). Zudem kann der didaktisch sinnvolle Einsatz digitaler Medien das fachliche Lernen von Schüler:innen substanziell verbessern und deren Lernmotivation positiv beeinflussen (z.B. Hillmayr et al., 2020; Scheiter & Gogolin, 2021).

Vor diesem Hintergrund entstand im Rahmen des Verbundprojektes MINT-ProNeD (Professionelle Netzwerke zur Förderung adaptiver, digital-gestützter Innovationen in der MINT-Lehrerbildung) ein Fortbildungsmodul zur Leitidee Daten und Zufall. Ziel dieser dreiteiligen Fortbildungsreihe ist es, gemeinsam mit Lehrkräften fachdidaktisch fundierte, kognitiv anregende Lehr-Lernprozesse zum statistischen Denken von Schüler:innen zu gestalten. Dabei werden immer wieder Überlegungen dazu angeregt, wie Lernmaterialien an relevante Voraussetzungen von Schüler:innen angepasst und digitale Werkzeuge zur Unterstützung des fachlichen Lernens eingesetzt werden können.

Die Fortbildung umfasst das Wissen über Grundvorstellungen (Aspekte statistischen Denkens; nach Wild & Pfannkuch, 1999), technisches Wissen (Wie können digitale Werkzeuge das Erreichen fachlicher Bildungsziele unterstützen?; Scheiter & Gogolin, 2021), curriculares Wissen (Inwiefern fördern Schulbücher den Aufbau statistischen Denkens?) und Wissen über Fehlvorstellungen (Welche Erkenntnisse liefert die fachdidaktische Forschung?; Pratt, 2000).

Vignettenbasiertes Fortbildungs- und Forschungsdesign

Lehrkräfte sollen die Gedankengänge von Schüler:innen antizipieren können und bereits in der Gestaltung von Lernumgebungen auf erwartete Schwierigkeiten vorbereitet sein. Hierzu gehört auch, auf Situationen, in denen sich Lernschwierigkeiten herausbilden, angemessen reagieren zu können. In der Fortbildung werden solche Situationen in Text-Bild-Vignetten umgesetzt. Vignetten stellen authentische Unterrichtssituationen dar, welche jeweils typische professionelle Anforderungen an Lehrkräfte repräsentieren. Die zu deren Bewältigung notwendigen professionellen Kompetenzen sollen in der Auseinandersetzung mit der Vignette ohne Handlungsdruck durch vielfältige, kriteriengeleitete Analyse- und Reflexionsmöglichkeiten ausgebaut werden. Dabei haben Vignetten den Vorteil, die Komplexität realer Unterrichtssituationen auf bestimmt Aspekte zu reduzieren und so den Analysefokus auf diese Aspekte zu konzentrieren (Friesen & Kuntze, 2020; Skilling & Stylianides, 2019).

Die eigens für die Fortbildung konstruierten Text-Bild-Vignetten bilden Lernendenprodukte zur Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten ab, die während eines Zufallsexperiments entstanden sind. Lehrkräfte werden durch Leitfragen dazu angeregt, relevantes fachdidaktisches Wissen zielgerichtet einzusetzen, um diagnostische Informationen in den Lernendenprodukten wahrzunehmen, zu interpretieren und diese für didaktische Entscheidungen zu nutzen (Gestaltung adaptiver Förderangebote, welche den reflektierten Einsatz digitaler Medien erfordern).

Einen weiteren Einsatz finden Text-Bild-Vignetten in der Evaluation der Fortbildung: Zur Untersuchung der Wirksamkeit der Fortbildung wurden entsprechende Testvignetten konstruiert, welche die zentralen Inhalte der Fortbildung umfassen und im Kontext fachdidaktischer Fragestellungen bearbeitet werden sollen. In einem Prä-Post-Design werden die Bearbeitungen der Lehrkräfte vor und nach der Fortbildung kodiert, verglichen und als Indikator für deren Lernzuwachs herangezogen.

Im Vortrag werden die eigens für das Fortbildungsmodul entwickelten Lern- und Testvignetten gezeigt und erste Ergebnisse diskutiert. Zudem wird die Entwicklung des Kodiermanuals anhand beispielhafter Bearbeitungen aus der Pilotierungsphase vorgestellt.



Potenziale zur Differenzierung einer digitalen verstehensorientierten Lernumgebung zum verständigen Rechnen: Einblicke aus dem Projekt „divomath“

Viktoria ter Laak, Birte Pöhler

Universität Potsdam, Deutschland

Viele Lehrkräfte betrachten die Heterogenität ihrer Lernenden bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit im Fach Mathematik als herausfordernd (Roth, 2015). Diese Heterogenität spiegelt neben den aktuellen PISA-Ergebnissen (OECD, 2023) auch der IQB-Bildungstrend wider. Während ca. 22 % deutscher Lernender die Mindeststandards in Mathematik nicht erreichen, erfüllen nur etwa 11 % den Optimalstandard (Stanat et al., 2022). Dieses schlechte Abschneiden vieler Lernender wird unter anderem dem Fehlen mathematischer Basiskompetenzen beziehungsweise Verstehensgrundlagen zugeschrieben, die für das erfolgreiche Weiterlernen in Mathematik unabdingbar sind (Prediger, 2023).

Zur Förderung beziehungsweise Vertiefung von Verstehensgrundlagen wie dem Zahl-, Stellenwert- und Operationsverständnis kann das halbschriftliche Rechnen beitragen. Durch das charakteristische Zerlegen von Aufgaben in leichtere Teilaufgaben ermöglicht es zur Vertiefung der Verstehensgrundlagen vielfältige Lernanlässe (Höveler & Prediger, 2017) und ist gegenüber dem ziffernweisen, algorithmischen Vorgehen bei schriftlichen Rechenverfahren verstehensorientierter.

Im Rahmen des Projekts „divomath“ wird eine digitale verstehensorientierte Lehr-Lernumgebung zum verständigen, halbschriftlichen Rechnen für den Mathematikunterricht der Klassenstufe 5 iterativ entwickelt und beforscht, die die Potenziale des verständigen Rechnens zur Differenzierung nutzt und damit zur Aufarbeitung fehlender Verstehensgrundlagen beitragen soll. Die browserbasierte Webplattform bietet Lehrkräften in digitalen Unterrichtseinheiten Materialien für alle Unterrichtsphasen und unterstützt sie technologiebasiert in der Moderation und Orchestrierung (Abraham et al., 2023). Die Entwicklung basiert auf den Designprinzipien „Verstehensorientierung“, „Kognitive Aktivierung“, „Durchgängigkeit“, „Lernenden-Orientierung und Adaptivität“ sowie „Kommunikationsförderung“ (Prediger et al., 2022), die aus mathematikdidaktischen Forschungsergebnissen zu digitalen Medien und dem mediendidaktischen Forschungsstand zu digitalen Lernumgebungen abgeleitet und für divomath in digitale Designelemente ausdifferenziert wurden (Abraham et al., 2023).
Ziel der Lehr-Lernumgebung ist ein nachhaltiger Verständnisaufbau (Prediger et al., 2023), der neben anschaulichen Darstellungen natürlicher Zahlen und ihren Operationen die Basis für verständiges Rechnen bildet (Prediger et al., 2011).
In differenzierenden Unterrichtsgesprächen können einerseits Anknüpfungsimpulse zu Verstehensgrundlagen wie dem Stellenwert- und Operationsverständnis gegeben werden, die insbesondere von schwächeren Lernenden wiederholt, gefestigt und vertieft werden können. Andererseits werden – für stärkere Lernende – weiterführende Impulse zur Präalgebra integriert (Prediger et al., 2023). Austauschphasen im Plenum und in Teilplenen dienen dazu, eventuell nicht tragfähige Verstehensgrundlagen zu identifizieren und Aufarbeitungsmöglichkeiten zu schaffen (Schmidt et al., 2015). Damit bietet verständiges Rechnen das Potenzial, der Heterogenität der Lernenden zu begegnen.

Die Aufgaben der Lehr-Lernumgebung basieren auf Förderaufgaben des etablierten Programms „Mathe sicher können“ und werden so adaptiert, dass sie gezielt an Verstehensgrundlagen anknüpfen (Prediger et al., 2023). Befunde von Rolfes et al. (2020) zeigen, dass digitale Lernumgebungen besonders lernförderlich wirken, wenn komplexe Lerninhalte und Prozesse dynamisch und interaktiv dargestellt werden. Daher wird für die halbschriftliche Addition und Subtraktion auf den leeren Zahlenstrahl als zentrales dynamisches Arbeitsmittel zurückgegriffen (Kaput, 1992; Leuders, 2019). Vorteile solcher dynamischen Arbeitsmittel sind unter anderem die Erstellung verschiedener Repräsentationsformen und die Darstellung von Veränderungen, was mathematische Lernprozesse unterstützen und das Arbeitsgedächtnis entlasten kann (Roth, 2022; Thurm, 2020). Zur Potenzialentfaltung des dynamischen Arbeitsmittels wird es didaktisch reflektiert und den Lehrkräften in konkreten Unterrichtssituationen bereitgestellt (Scheiter, 2021; Thurm, 2020).
Obwohl digitale Medien vielfältige Potenziale für den Verstehensaufbau bieten (Drijvers et al., 2016), fokussieren verfügbare deutschsprachige Lernplattformen oft kalkülbezogene Lernziele (Thurm, 2020). Daher konzentriert sich die Entwicklung der Lehr-Lernumgebung zum verständigen Rechnen auf den Aufbau konzeptuellen Verständnisses. Für die Beforschung dieser im Rahmen lernprozessfokussierender fachdidaktischer Entwicklungsforschung ergeben sich folgende Forschungsfragen, die in iterativen Zyklen untersucht werden sollen:

  • Welches Potenzial bietet das digitale dynamische Arbeitsmittel zum leeren Zahlenstrahl im Rahmen der digitalen Lehr-Lernumgebung?
  • Inwieweit bieten das digitale dynamische Arbeitsmittel zum leeren Zahlenstrahl einen Mehrwert für die Differenzierung?

Erste analoge Erprobungen der adaptierten Aufgaben zur halbschriftlichen Addition und Subtraktion zeigen, dass die vorgenommenen Adaptionen erfolgreich Verstehensgrundlagen fördern konnten. Der aktuelle Fokus liegt auf der Digitalisierung dieser Aufgaben, die im Herbst 2024 digital erprobt werden sollen, bevor Aufgaben zur halbschriftlichen Multiplikation und Division entwickelt und beforscht werden.