Schulleitungen und die digitale Transformation – Systematisches Literaturreview zu individuellen und verhaltensbezogenen Merkmalen erfolgreicher Schulleitungen
Florian Sievert
Universität Potsdam, Deutschland
Forschungsfrage
Welche individuellen und verhaltensbezogenen Merkmale tragen zu erfolgreichem Schulleitungshandeln bei – im Allgemeinen sowie im speziellen Kontext der digitalen Transformation?
Theoretischer Hintergrund
Dass Schulleitungen einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklungen an ihrer Schule, das Schulklima, die Qualität der Lehre und damit auf die Leistungen und Lernerfahrungen der Schüler:innen haben, wurde mehrfach nachgewiesen (Fullan, 2002; Huber, 2009; Navaridas-Nalda et al., 2020; Kareem et al., 2023). Die hohen Anforderungen, die sich den Schulleitungen aufgrund der digitalen Transformation stellen, erfordern ein tieferes Verständnis über Faktoren, die in diesem speziellen Kontext zu einer erfolgreichen Leitungspraxis führen. Auch wenn das Interesse am Schulleitungshandeln insgesamt zunimmt (Leithwood & Riehl, 2003; Fullan & Kirtman, 2019; Day et al., 2020), gibt es hier weiterhin vergleichsweise wenig Forschung (Khan, 2021; Johannmeyer & Cramer, 2023).
Vorgestellt werden erste Befunde einer systematischen Literaturrecherche zum Schulleitungshandeln im Kontext der digitalen Transformation. Im Fokus dieser Arbeit stehen individuelle und verhaltensbezogene Merkmale, die dazu beitragen, dass Schulleitungen die kontextspezifischen Herausforderungen erfolgreich bewältigen können.
Ziel der Arbeit
Das primäre Ziel des Reviews ist es, auf Grundlage empirischer Studien individuelle und verhaltensbezogene Merkmale von Schulleitungen zu identifizieren, die dazu beitragen, (digitalisierungsbezogene) Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Die Synthese der Befunde wird in einem Modell zusammengefasst, welches Schlüsselfaktoren einer professionellen und effektiven Schulführung im Kontext der digitalen Transformation darstellt. Anders als in der Lehrkräfte- oder der allgemeinen Führungsforschung (Costa & McCrea, 1992; Baumert & Kunter, 2006; Baumert et al., 2009; Kauffeld, 2019), mangelt es in der Schulleitungsforschung an Ansätzen, die Merkmale wie Motivation oder selbstregulative Fähigkeiten systematisch erfassen und analysieren (Daniels et al., 2019; Waffner, 2021). Das Review bildet somit auch die Grundlage für eigene, daran anschließende empirische Studien.
Methode
Die systematische Literaturrecherche erfolgt nach den Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses (PRISMA) und wird in den Datenbanken Web of Science, ERC, ERIC und der deutschsprachigen Datenbank Fachportal Pädagogik sowie in Google Scholar durchgeführt. Folgende Fragen sollen mit Hilfe des Reviews beantwortet werden: (1) Welche individuellen und verhaltensbezogenen Merkmale wurden laut empirischer Schulleitungsforschung bereits identifiziert und untersucht? (2) Welche Auswirkungen hat die digitale Transformation auf Schulleitungen? (3) Was genau meint “erfolgreiches” Schulleitungshandeln in diesem Kontext?
Berücksichtigt werden englisch- oder deutschsprachige Studien (qualitatitv, quantitativ, mixed-method). Die Studien müssen frei oder über eine institutionelle Lizenz zugänglich sein.
Erste Ergebnisse
Eine erste Sichtung der Literatur zeigt, dass bereits Zusammenhänge zwischen den individuellen und verhaltensbezogenen Merkmalen von Schulleitungen und deren Erfolg bei der Bewältigung von digitalisierungsbezogenen Herausforderungen festgestellt wurden (Tulowitzki & Gerick, 2020; Navaridas-Nalda et al., 2020; Ruloff & Petko 2021). Erfolgreiche Schulleitungen sind flexibel, offen und optimistisch gegenüber neuen Entwicklungen, sie setzen sich für kooperative Arbeitsformen in ihrem Kollegium ein, sind selbst bereit, von anderen zu lernen und richten alle Schulentwicklungsprozesse auf die Verbesserung der Lehr- und Lernerfahrungen aus (Jacobsen, 2005; Zadok et al., 2024). In der allgemeinen Führungsforschung wurde bereits deutlich, dass erfolgreiche digitale Führung digitale Kompetenzen der Führungskraft selbst voraussetzt (Thannimalai und Raman, 2018; Tagscherer et al., 2023). Schulleitungen mit einem transformationalem Führungsstil zeigen sich als besonders wirksam. Schmitz et al. (2023) bestätigen den Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und erfolgreicher Technologieintegration in Schulen. Insgesamt befassen sich die meisten Schulleitungsstudien eher mit Aspekten einer erfolgreichen Technologisierung von Schulen (Geräte, Infrastruktur, Software, Personalentwicklung usw.), einige wenige untersuchen das Verhalten und die Fähigkeiten von Schulleitungen im Umgang mit sozialen Netzwerken, kaum untersucht wurden bisher sozio-kulturelle Auswirkungen der digitalen Transformation auf das Schulleitungshandeln (Krein, 2023).
Der Ganztag als „pädagogische Handlungseinheit“? Schul(entwicklungs)theoretische Überlegungen zur Förderung von Kooperation durch Kultivierung von Digitalität
Gabriele Bellenberg1, Till-Sebastian Idel2, Reintjes Christian3, Veber Marcel4
1Uni Bochum, Deutschland; 2Uni Oldenburg, Deutschland; 3Uni Osnabrück, Deutschland; 4RPTU Kaiserslautern-Landau, Deutschland
Kompetenzzentrum Schulentwicklung
Projektverbund DigiSchukuMPK
Der Beitrag geht von Erfahrungen im Feldzugang eines Projekts zur digitalisierungsbezogenen und digital gestützten Förderung von Kooperation in der inklusiven Schulkulturentwicklung im Ganztag aus. Vor dem Hintergrund der Ausgangssituation wird das prominente Fend’sche schul(entwicklungs)theoretische Konzept der „Schule als pädagogischer Handlungseinheit“ (Fend, 1986) problematisiert. Im Anschluss an einen erweiterten Schulkulturbegriff werden Überlegungen zu alternativen Beschreibungen angestellt, die der veränderten Organisationsgestalt des schulischen Ganztags und seinen digital gestützten Entwicklungsmöglichkeiten Rechnung tragen.
Die Analyse der Ausgangssituation an den ganztägigen Projektgrundschulen stützt sich auf qualitative Leitfadeninterviews mit Schulleitungen, Ganztagskoordinator*innen und Steuergruppen, die in der Phase des Feldzugangs und der Initialisierung des Projekts an den Schulen durchgeführt wurden. Die Befunde der Interviews machen die Anforderungen der multiprofessionellen Zusammenarbeit im überwiegenden offenen Ganztag deutlich (Idel et al., 2024): (1) Im Ganztag arbeitet stark diversifiziertes Personal, das zu einem größeren Teil bei verschiedenen außerschulischen Trägern im umliegenden Sozialraum der Schulen beschäftigt ist. Das Personal verfügt über unterschiedliche Qualifikationsniveaus, ist oft teilzeitbeschäftigt und befindet sich in z.T. prekären Anstellungsverhältnissen. (2) Die Zusammenarbeit wird durch differierende institutionelle Logiken und Rahmungen erschwert. (3) Für die Zusammenarbeit in Kopräsenz fehlt es an räumlichen und zeitlichen Ressourcen. (4) Der Rückgriff auf digitale Infrastruktur erfolgt eher informell, wenig strategisch gesteuert und kaum entwicklungsbezogen. (5) Die Kooperation beschränkt sich auf schmale Formen der Koordination des eher voneinander geschiedenen Vor- und Nachmittags. (6) Zuständigkeitsfragen bleiben ungeklärt und werden als Problem wahrgenommen. (7) Trotz bzw. gerade wegen dieser Widrigkeiten lässt sich in den Projektschulen eine große Bereitschaft beobachten, die Zusammenarbeit auszuweiten und sie nicht nur auf die Koordinierung des Alltags zu reduzieren, sondern für gemeinsame pädagogische Schulentwicklungsvorhaben zu nutzen, die im Projekt in Richtung eines inklusiven Ganztags gefördert werden sollen.
Der Ganztag und seine Gestaltung stellt sich demzufolge schul(entwicklungs)theoretisch betrachtet als lose gekoppeltes Gefüge an den organisationalen Grenzen der Peripherie von Schule im Zusammenspiel mit außerschulischen Einrichtungen und Akteuren dar (Grasshoff et al., 2019). Er findet zwar am Ort der Schule statt, ist aber in einer intersystemischen Akteurskonstellation situiert. Veränderungsprozesse sind dann kaum als selbstreferentielle innerschulische Organisationsentwicklung zu fassen, sondern als etwas, das in wenig strukturierten Zwischenräumen im Austausch mit anderen schwer zu verankern ist. Die Kooperationsopportunitäten sind infolgedessen nur schwach, obgleich die Notwendigkeit, diese zu verbessern, von den Praxisakteuren als Desiderat angesehen wird. Schulentwicklung theoretisch als ein in enger und dichter Kooperation angesiedeltes Binnengeschehen in Schule als einer „pädagogischen Handlungseinheit“ zu beschreiben, scheint uns daher weniger zielführend.
Statt dieser einheitstheoretischen Vorstellung von Schule und Schulentwicklung möchten wir im Vortrag einen erweiterten Schulkulturbegriff in Anschlag bringen. Unter Schulkultur verstehen wir im Anschluss an die rekonstruktive Schulforschung die soziale und pädagogische Ordnung einer Einzelschule, die in Praktiken auf den Ebenen des Realen, Symbolischen und Imaginären hervorgebracht wird und sich auf die Dimensionen der Inhalte, pädagogischen Orientierungen, der Leistungs- und Lernkultur und der Anerkennungsverhältnisse bezieht (Idel, 2022; Helsper, 2008). An diesem Schulkulturkonzept nehmen wir zwei wichtige erweiternde Weichenstellungen vor: 1. Aus einer netzwerkanalytischen Perspektive beobachten wir Schule im Ganztag mehr als dynamisches Netzwerk unterschiedlicher Akteure denn als stabile Organisation. 2. Mit Bezug auf Theorien der Digitalität (Stalder, 2016) erweitern wir die Schulkulturanalyse um die kulturelle Ebene der Digitalität. Darunter verstehen wir ein Netz von Relationen, das durch die verbindende Verwendung digitaler und analoger Infrastrukturen einen Möglichkeitsraum für Praktiken des Zusammenwirkens im Ganztag eröffnet, in dem die oben angesprochenen Anforderungen der kooperativ-inklusiven Schulentwicklung bearbeitet werden können. Digitalität und ihre schulkulturelle Etablierung ist so gesehen zugleich Dimension und Ressource einer digital gestützten Kooperationsentwicklung. Im Vortrag sollen die empirischen Beobachtungen aus der Initialisierungsphase des Projekts dargestellt und mit den angedeuteten theoretischen Orientierungen, wie Schule und ihre Entwicklung im Ganztag beschreibbar werden, verbunden werden.
Sozialraumorientierte Schulentwicklung – Versuch einer Verortung
Matthias Forell1, Dagmar Killus1, Sonja Nonte2, Aladin El-Mafaalani3
1Universität Hamburg, Deutschland; 2Universität Osnabrück, Deutschland; 3Technische Universität Dortmund, Deutschland
Der (einzel-)schulische Sozialraum ist für Schulentwicklung von besonderer Bedeutung (Forell, 2023). Das Projekt Sozialraumorientierte Schulentwicklung[1] zielt darauf, die Lebenswelt von Schüler:innen durch digitale Tools (#stadtsache-App) sichtbar zu machen, sozialräumliche Herausforderungen zu identifizieren und darauf bezogene Handlungsstrategien durch (multiprofessionelle) Kooperation zu entwickeln. Mit Sozialraumforschung, Sozialräumlich orientierter Kindheitsforschung und Schulentwicklungsforschung führt der Beitrag drei Diskurse zusammen, die für Sozialraumorientierte Schulentwicklung relevant sind, bislang aber weitestgehend unabhängig voneinander thematisiert wurden. Im Ergebnis soll ein Referenzrahmen für Sozialraumorientierte Schulentwicklung skizziert und Perspektiven für einschlägige Projekte diskutiert werden:
- In den vergangenen Jahrzehnten hat in der Sozialraumforschung eine Abkehr von absoluten hin zu relationalen Raumvorstellungen stattgefunden (Löw, 2001; Kessl & Reutlinger, 2022). Während absolute Raumvorstellungen von örtlich fixierten (An-)Ordnungsstrukturen ausgehen, fassen relationale Raumvorstellungen den Raum als soziales Phänomen auf und betonen seine Prozesshaftigkeit. Im Kontext von Schule ist die Rezeption beider Raumvorstellungen relevant (Forell, 2023). Die Einzelschule lässt sich dabei als Sozialraum im Sozialraum verstehen. Mehrere Dimensionen eröffnen einen differenzierten Blick (ebd.): eine physisch-materielle (Infrastruktur), eine soziodemografische (milieuspezifische Verteilungsstruktur im Einzugsgebiet) sowie eine handlungsbezogene Dimension (Deutungsmuster, Aneignungsprozesse und Interaktionen). Anschlussfähig sind Überlegungen zur ‚Super-Diversität‘ (El-Mafaalani, 2023; Vertovec, 2007). Daraus eröffnen sich Schulentwicklungsperspektiven, die eine Orientierung an sowie die Aktivierung von standortspezifischen sozialraumbezogenen Ressourcen ermöglichen.
- Räumliche Ordnungen sind für Prozesse konstitutiv, die sich auf Erziehung und Bildung in der Kindheit beziehen. Als Sozialräumlich orientierte Kindheitsforschung werden Forschungen verstanden, die nach dem Verhältnis des Räumlichen und des Sozialen fragen (Fegter & Andresen, 2019). Zu der Forschung, die das Individuum im Raum (einschließlich der Raumaneignung in sozialen Interaktionen) und den Raum an sich erkunden, gehört die soziostrukturell ausgerichtete Child-Well-being-Forschung (ebd.; Fegter, 2014). Interessant sind die wenigen Studien, die sozialräumliche Wohlergehens-Indikatoren theoriebasiert entwickelt (Capability Approach) und empirisch die Perspektive der Kinder in den Mittelpunkt gerückt haben (Fattore, Mason & Watson, 2016; Fegter & Richter, 2014). Danach fühlen sich Kinder subjektiv wohl, wenn das räumliche Umfeld es ihnen erlaubt, sich einbringen und mitbestimmen zu dürfen (Agency and Autonomy), sie sich sicher und geschützt fühlen (Safety and Security) und sie sich als wertgeschätzt und anerkannt erfahren (Self and Identity). Um die Wechselbeziehung zwischen (infra-)struktureller Raumebene und individueller Deutungs- und Handlungsebene zu erfassen und Räume von Kindern erschließen und verstehen zu können, empfehlen sich (digital gestützte) ‚Sozialraumanalysen‘ unter Einbeziehung qualitativer und partizipativer Forschungsmethoden (Kogler, 2015; Fegter, 2014).
- In der Schulentwicklungsforschung hat sich ein Verständnis durchgesetzt, wonach Schulentwicklung ein komplexer und kollektiver Prozess an einer (Einzel-)Schule ist, für den primär schulische Akteur:innen verantwortlich sind. Organisationale, Personale und interpersonale Aspekte bilden dabei zentrale, miteinander zusammenhängende Dimensionen einer ‚Schulentwicklungskapazität‘ (Maag Merki, 2017). Dass Schulentwicklung sich nicht immer rational planen und steuern lässt, hängt mit der Eigendynamik von Schulentwicklungsprozessen zusammen. Sie rückt – jenseits von Strukturen und Ressourcen auf organisationaler Ebene – personale (z.B. Wissen, Fertigkeiten und Haltungen) und interpersonale (z.B. gemeinsame Ziele und gemeinsames Lernen) Aspekte in den Mittelpunkt. So sind für sozialraumorientierte Schulentwicklung personale Aspekte wie ‚Ressourcenorientierung‘ des schulischen Personals (Kiso & Lotze, 2014) sowie ‚Habitussensibilität‘ (Rutter & Weitkämper, 2022), verstanden als professionelle Auseinandersetzung mit (fremden) Lebenslagen, Denkmustern und Alltagskulturen, Bedingung und Ziel zugleich. Dasselbe gilt für interpersonale Aspekte, die auch (dynamische) diskursive Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse zwischen Akteur:innen in formalen und informalen Gruppen einschließen (Lütje-Klose & Kuhn, 2023, zur multiprofessionellen Kooperation).
Die verbindende Klammer aller drei skizzierten Diskurse besteht darin, dass sie das Handeln von individuellen und kollektiven Akteur:innen im Zusammenspiel mit (infra-)strukturellen Kontexten betrachten. Welche Folgen sich daraus für Sozialraumorientierte Schulentwicklung ergeben (v.a. in Bezug auf Sozialraumanalysen durch Kinder, die Gestaltung von Strukturen in der Schule und darüber hinaus, die Gestaltung pädagogischer Orte oder der pädagogischen Arbeit an diesen Orten), soll abschließend diskutiert werden.
[1] Angesiedelt ist das Projekt im Kompetenzverbund lernen:digital: Kompetenzzentrum Schulentwicklung, Projektverbund DigiSchuKuMPK (https://lernen.digital/verbunede/digischukumpk/).
Digitale Schulentwicklung in der Primarstufe: Erste Einblicke aus einer Interviewstudie mit Schulleiter:innen
Nina Autenrieth, Thomas Irion
PH Schwäbisch Gmünd, Deutschland
Die Anforderungen an Führung haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Wie Organisationen als Ganzes sowie ihre Führungskräfte und Mitarbeitenden in Zeiten des digitalen Wandels auf die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen reagieren, ist Gegenstand aktueller Forschungs- und Entwicklungsprojekte (Anderegg et al. 2023; Röhl et al. 2023; Strauß & Anderegg 2020, Autenrieth 2024). Für wirtschaftliche Unternehmen wurde der Begriff des Digital Leaderships geprägt (Creusen et al.) und im Kontext von Bildungseinrichtungen z.B. Digital Leadership in Education (Breitschaft et al. 2023) oder Agile Educational Leadership (Mayrberger 2023). Unabhängig von diesen Zuordnungen wird Leadership zunehmend als “Verantwortung dafür [verstanden], andere in die Lage zu versetzen, ein gemeinsam verfolgtes Ziel auch unter bisher unbekannten Bedingungen zu erreichen" (Ganz 2010, 1). Jene unbekannten Bedingungen sind maßgeblich für die heutige Zeit, die geprägt ist durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, und Ambiguität (Bennis & Nanus 1985).
Digitalisierung und Mediatisierung und die Folgen für Bildungsinhalte und -prozesse stellen dabei eine besondere Herausforderung für Grundschulen dar (DGfE 2022; KMK 2017, 2021; SWK 2022) und erfordern zum einen eine Veränderung von Lehr- und Lernkulturen (Irion & Knoblauch 2021) sowie die Förderung von Zukunftskompetenzen (z.B. 4C/6C, Fullan & Scott 2014; OECD o.J.) und insbesondere auch eine Weiterentwicklung vorhandener Führungskulturen. Digital Leadership nimmt dabei eine Schlüsselrolle in einem Prozess ein, der die Schule als gesellschaftlichen Teilbereich herausfordert, sich “mit einer Vielzahl von spannungsgeladenen Anforderungen [auseinanderzusetzen]” (Breitschaft et al. 2023., 10) und fordert gleichzeitig ein Umdenken in der Art und Weise, wie sich Schulen organisieren und mit welchen Strukturen sie operieren. Insbesondere für den Bereich der Grundschule besteht eine Forschungslücke hinsichtlich der empirischen Erforschung der Digitalisierung von Schulentwicklungsprozessen (Eickelmann & Gerick 2017).
Vor diesem Hintergrund möchte dieser Beitrag ein Forschungsprojekt vorstellen, das im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts LeadCom (Digital Leadership & Kommunikations- und Kooperationsentwicklung) an der PH Schwäbisch Gmünd durchgeführt wird. Es geht um die forschungsgeleitete Entwicklung von Fortbildungsangeboten zur Professionalisierung von Schulleitungen und mit digitaler Schulentwicklung befassten Lehrkräften (“Digital Leaders”).
Aufbauend auf einem Überblick über theoretische Modelle zu (Distributed) Leadership (Spillane 2006, Lumby 2020), Digital Leadership in Education (Breitschaft et al. 2023), Leadership for Learning (Tulowitzki & Pietsch 2020) sowie Schulentwicklung (Rolff 2016; Eickelmann & Gerick 2017) werden Einblicke in den Forschungsprozess gegeben. Der Beitrag stellt Ergebnisse einer Interviewstudie vor, welche mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2022) die spezifischen Einstellungen und Verhaltensweisen (Breiter et al. 2013; Irion & Ruber 2019; Irion et al. 2023; Dertinger et al. 2023) von Digital Leaders untersucht und darauf abzielt, den Status quo der (digitalen) Grundschulentwicklung zu erheben sowie die Strategien zu identifizieren, die die Befragten im Rahmen der digitalen Schulentwicklung verfolgen. Erste Ergebnisse deuten u.a. bereits darauf hin, dass:
- Führungskräfte häufig keine Vorstellung von Leadership haben und keine Vision für die Entwicklung der eigenen Schule vorhanden ist
- Digitalisierung primär für Effizienzsteigerung genutzt wird und weniger für die Umsetzung veränderter Lehr- und Lernkulturen
- Kompetenzen für die Digitalität im Sinne von Zukunftskompetenzen (z.B 4C, 6C) für eine VUCA-Welt nicht an allen Schulen diskutiert werden
- Partizipative Entwicklungsprozesse und Kooperationen selten stattfinden und von den Befragten oft als herausfordernd empfunden werden.
Insgesamt wird vor dem Hintergrund der Studienergebnisse der Bedarf zur Professionalisierung von Digital Leaders mit Blick auf integrative Ansätze unterstrichen, die alle Dimensionen der Schulentwicklung umfassen und auf die spezifischen Bedürfnisse und Bedingungen der Primarstufe eingehen.
Aufbauend auf den Forschungsergebnissen soll daher weiterhin vorgestellt werden, wie im weiteren Verlauf des Projekts eine Delphi-Studie durchgeführt werden soll, um durch Konsensbildung unter Expert:innen (Häder 2014; Niederberger und Renn 2019) aus Schule und Hochschule praxisrelevante Konzepte und Ideen zu identifizieren, um dem skizzierten Status quo zu begegnen.
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