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Sitzungsübersicht
Sitzung
E02: Sprachlich-ästhetische Bildung
Zeit:
Montag, 30.09.2024:
13:30 - 15:00

Chair der Sitzung: Michael Veeh
Ort: S16

Seminarraum 1. Obergeschoss

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Präsentationen

Wie gelingt die digitale Transformation in der sprachlichen Bildung? Potenziale und Herausforderungen in der Lehrkräfteprofessionalisierung

Ina-Maria Maahs1, Janna Gutenberg2, Cedric Lawida1

1Mercator-Institut/ Universität zu Köln, Deutschland; 2Technische Universität Chemnitz

Wir erleben derzeit gesellschaftlich eine digitale Transformation, die zu einer schrittweisen Etablierung einer Kultur der Digitalität (Stalder 2016) führt, in der immer mehr Alltagsprozesse unter Bedingungen der Digitalität stattfinden. Gleichzeitig findet eine sozial-strukturelle Transformation statt, die mit einer natio-sozio-sprach-kulturellen Diversifizierung der Gesellschaft einhergeht (El Mafaalani 2022: 139).

Durch diese Transformationsprozesse gewinnen insbesondere sprachliche und digitalitätsbezogene Bildung an Relevanz, die in diesem Kontext nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind und eine Querschnittsaufgabe aller Fächer darstellen (Gutenberg & Lawida 2022). Einerseits sind für digitale Handlungen in aller Regel spezifische Sprachkompetenzen erforderlich, da z.B. das Interface der meisten digitalen Tools und Medien als Text kodiert ist (Stalder 2016: 137). Sie setzen somit Literalität voraus, ermöglichen aber z.B. auch schnellere Wechsel und Kombinationen zwischen Einzelsprachen und Medienformaten (Lawida & Maahs 2022). Andererseits werden sprachliche Handlungen zunehmend digital realisiert, was sich z.B. in der Verlagerung der Alltagskommunikation vom klassischen Telefon zu Messenger-Diensten oder der fachlichen Quellenrecherche von der Präsenzbibliothek zu digitalen Datenbanken und Online-Suchmaschinen widerspiegelt.

Die Digitalisierung von Schulen führt somit zu neuen Potenzialen für bedarfsorientierte Lehr-Lern-Prozesse, die aber nicht von jeder bzw. jedem voraussetzungsfrei genutzt werden können. Damit alle Lernenden in der Lage sind, entsprechende digitalitätsbezogene Sprachhandlungen kompetent auszuführen, müssen nicht nur die technischen Ressourcen bereitgestellt werden, sondern diese erweiterten Sprachkompetenzen auch dezidiert im Unterricht angebahnt werden. Dafür bedarf es entsprechender Angebote in der Lehrkräfteprofessionalisierung, die darauf abzielen eine offene Haltung gegenüber der Nutzung digitaler Medien in Lernprozessen zu entwickeln, sich kontinuierlich weiterzubilden sowie das eigene berufliche Handeln im Abgleich mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu reflektieren (Frederking 2022). Derzeit bestehen in Deutschland in diesem Kontext dringende Aufholbedarfe (Gutenberg, Maahs & Lawida 2024).

Das übergeordnete Forschungsinteresse unserer Forschungsgruppe ist zu erfassen, wie digitale Transformation in der sprachlichen Bildung gestaltbar ist. Das tangiert sowohl die Unterrichts- und Schulentwicklung als auch die Lehrkräftebildung in allen drei Phasen. Im vorliegenden Teilprojekt richtet sich der Forschungsfokus auf die Lehrkräfteweiterbildung. Es wurde ein Weiterbildungskonzept entwickelt, das sprachliche und digtitalitätsbezogene Bildung miteinander verknüpft und so einen Beitrag dazu leisten soll, digitale Transformation in der dritten Phase der Lehrkräftebildung anzustoßen. Um diesen Prozess zu evaluieren, werden Portfolios von Lehrkräften analysiert, die im Rahmen eines Weiterbildungsstudiums zu Deutsch als Zweitsprache an einem Modul zum Thema „Sprachbildend unterrichten unter den Bedingungen der Digitalität“ teilgenommen haben. Im Fokus der Portfolios steht die Reflexion der eigenen Unterrichtsplanung und -gestaltung. Diese Leistung war Voraussetzung für den Abschluss des Moduls, wurde jedoch nicht benotet.

Die konkreten Forschungsfragen lauten dazu:

  • Inwiefern wird von Unterrichtsaktivitäten berichtet, in denen digitale Medien als Hilfen im sprachlichen Lehr-Lern-Prozess eingesetzt werden?
  • Inwiefern wird von Unterrichtsaktivitäten berichtet, mit denen erweiterte digitalitätsbezogene Sprachhandlungskompetenz adressiert werden?
  • Inwiefern werden persönliche Haltungen zum Einsatz digitaler Medien in Schul- und Unterrichtskontexten kenntlich gemacht?

Untersucht werden 18 Portfolios mittels einer qualitativen strukturierend-zusammenfassenden Inhaltsanalyse (Mayring 2010) in einem deduktiv-induktiven Verfahren der Kategorienbildung. Dabei werden zunächst an den Forschungsfragen orientierte Oberkategorien gebildet und anschließend konkretisierende Unterkategorien aus dem Material heraus abgeleitet. Kodiert wird in einem Forscher:innenteam, Zweifelsfälle mittels kommunikativer kollegialer Validierung geklärt.

Erste Ergebnisse zeigen, dass digitale Medien gerne als sprachliche Hilfen eingesetzt werden und die Teilnehmenden dabei teilweise sehr kreativ motivierende Lehr-Lern-Settings schaffen. Die in den Portfolios beschriebenen Ansätze spiegeln allerdings noch keine echte Transformation wider und erweiterte digitalitätsbezogene Sprachkompetenzen werden nur in wenigen Fällen gezielt berücksichtigt, obwohl das Modul explizit darauf ausgerichtet war.

Im Beitrag wird kritisch diskutiert, wie diese zweite Kompetenzdimension auf dem Weg zur digitalen Transformation in der sprachlichen Bildung in der Lehrkräfteprofessionalisierung gestärkt werden kann. Ein zentraler Aspekt scheint dabei aus Sicht der Forscher:innen in einer gemeinsamen Gestaltung des Prozesses im Sinne einer Ko-Konstruktion mit Lehrkräften und Lernen zu bestehen.



Gemeinsam digital und ästhetisch souverän: Ein Fortbildungsmodell zur Poetischen Bildung in der Digitalität für Grundschulen

Prof. Dr. Petra Anders1,2, Anna-Lena Demi1,2

1Humboldt-Universität zu Berlin, Deutschland; 2DiÄS Poetische Bildung in der Digitalität

Das Teilprojekt richtet den inhaltlichen Fokus auf die ästhetisch gestaltete oder zu gestaltende TextWelt im Internet. Konkret geht es um Gedichte, deren inhaltliche und sprachgestalterische Besonderheiten in Form von Memes pointiert erschlossen werden. Die in Anbetracht der Gedichte angeregte Produktion der Memes fordert die ästhetische Souveränität heraus; indem die Projektbeteiligten die Memes über die Community-Plattform Scratch in Internet-Memes verwandeln, die Reaktion Anderer darauf beobachten und sich gegenseitig kommentieren, werden sie im Umgang mit der Digitalität souverän.

Der Tagungsbeitrag gibt einen Einblick in das an drei Berliner Grundschulen bereits pilotierte und ab Juni 2024 an der Berliner Grundschule am Schäfersee erstmalig durchgeführte Fortbildungsmodell zur Poetischen Bildung in der Digitalität, das sowohl die ästhetische als auch die digitale Souveränität (Frederking/Brüggelmann 2023) im Literaturunterricht als zentralem Handlungsfeld des Faches Deutsch fördert.

Im Rahmen der Projektlaufzeit wird ein innovatives Fortbildungsdesign entwickelt, das folgende Besonderheiten aufweist:

Die Fortbildung basiert auf der konstruktiven Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen einer sogenannten Lernfamilie (Lehrpersonen, Schulleitung, Studierende, Schüler:innen und Wissenschaftler:innen). Die Lehrpersonen bekommen die Zieldimension der Fortbildung in ihrer eigenen Schule vor Augen geführt: Die durch die Wissenschaftler:innen vorbereiteten Studierenden arbeiten mit den jeweiligen Schüler:innen mit der ästhetisch zu gestaltenden TextWelt. Die Lehrpersonen beobachten als Expert:innen für ihre eigenen Lerngruppen die Lernprozesse und entwickeln auf der Grundlage ihrer Beobachtungen ein eigenes Unterrichtsvorhaben, das durch die Wissenschaftler:innen Feedback erhält. Die Lehrpersonen nehmen dabei selbst Einfluss auf die Gestaltung der Fortbildung. Die Transfermotivation sowie die Transfermöglichkeiten im Arbeitsumfeld (Lacerenza et al., 2017) werden damit im Fortbildungssetting mitberücksichtigt.

Die Fortbildung adressiert veränderte Lernkulturen und Lernumgebungen, wobei der Fokus auf veränderbaren Lernprozessen liegt, die sich in einer digitalen Partizipationskultur vollziehen (Anders 2021; Jenkins 2006). Die Lehrpersonen sollen die Kompetenzbereiche im Rahmen der Fortbildung nicht nur erkennen, sondern sind in Form des Creative Learning (Resnick 2017) iterativ durch Imaginieren, Gestalten, Explorieren, Teilen und Reflektieren umsetzen.

Sowohl Lehrpersonen als auch die Schüler*innen erfahren im Rahmen der Fortbildung eine Enkulturation in die Kultur der Digitalität (Stalder 2016), die im Projekt auf Bildungsprozesse zu literar- und medienästhetischen Medien bezogen wird. Am Beispiel des Internet-Memes (Shifman 2014) begegnen Lehrpersonen, Schüler:innen und Studierende einem digitalen Artefakt, das einen multimodalen Zugang (Anders 2023) zur Lyrik darstellen kann. Die Teilnehmenden der Fortbildung lernen dabei, wie sie Memes zur eigenen Erschließung poetischer Texte nutzen können und in den Memes der Schüler*innen gleichsam den kinderkulturellen ästhetischen Ausdruck (Demi i.V.) der nächsten Generation entdecken und im Hinblick auf literar- und medienästhetisches Lernen wertschätzen können.

Die Fortbildung ermöglicht es den Teilnehmenden, Strukturmomente ästhetischer Bildung (Duncker 2023) als Perspektive für den eigenen Unterricht zu erkennen und aufzugreifen. Das im Forschungsprojekt entwickelte IDA-Modell – Identifikation, Distanzierung und (Selbst-)Ausdruck – hilft den Lehrpersonen, auch über den gewählten Lerngegenstand der Fortbildung hinaus den konkreten Unterricht zu literar- und medienästhetischen Texten in der Digitalität zu planen und im Hinblick auf die Aktivitäten der Schüler:innen zu beurteilen.

Die Fortbildung ist am aktuellen Forschungsstand zur wirksamen und transferförderlichen Gestaltung von Fortbildungsmaßnahmen für Lehrkräfte (Seeg et al., 2022; Lipowsky & Rzejak 2021) ausgerichtet. Sie ist abwechslungsreich in den verschiedenen Phasen des Inputs, der Beobachtung und der kollaborativen Zusammenarbeit und wird in Kürze evaluiert.

Der Beitrag möchte zum einen das Fortbildungskonzept selbst vorstellen, erste Ergebnisse hinsichtlich des Kompetenzzuwachses präsentieren und diskutieren, wie das Konzept und das community-based Lernen auf der Online-Plattform zu literar- und medienästhetischen Texten über die Lernfamilie hinaus Verbreitung finden kann.



Aus dem Homeschooling in den Präsenzunterricht: Wie Lehrende Erklärvideos in den Fremdsprachenunterricht integrieren

Anne-Marie Lachmund

Technische Universität Dresden, Deutschland

Hintergrund

Erklärvideos haben insbesondere durch die Pandemie mit der Zunahme des Fernunterrichts (auch durch blended-learning bzw. flipped-classroom-Ansätze) an Bedeutung und Verbreitung gewonnen (Dorgerloh / Wolf 2020). Lehrkräfte mussten in aller Kürze ihre Lehrmethoden anpassen, geeignete Erklärvideos für ihre Lernenden finden / auswählen (zumeist über frei verfügbare Plattformen) und in didaktische Lehr-Lern-Szenarien überführen: Die Videos mussten den Lernenden so bereitgestellt und mit Aufgaben versehen werden, dass ein autonomes, selbstbestimmtes und zumeist asynchrones Lernen ermöglicht werden kann. Mit Rückgang zum Präsenzunterricht scheint die Notwendigkeit für den Einsatz eines Videos, das einen Sachverhalt erklärt, an Relevanz zu verlieren – immerhin ist das Erklären eine der genuinen Aufgaben einer Lehrkraft, die sich flexibler den Bedürfnissen der Lerngruppe anpassen kann als ein statisches Video (einer ggf. fremden Person). Jedoch erweitert sich das Angebot von Erklärvideos für den Fremdsprachenunterricht weiterhin stetig (u.a. bieten Apps wie simpleclub oder Schulbuchverlage vermehrt Erklärvideos an, Lachmund 2022 und 2023) und diverse Praxisbeiträge unterbreiten Vorschläge zum lernenden- und handlungsorientierten Einsatz (z.B. Lachmund 2024; Wengler / Dröge 2021). Wie Erklärvideos im post-pandemischen fremdsprachlichen Präsenzunterricht eingesetzt werden und welche Rolle sie in diesem spielen ist noch nicht bekannt.

Fragestellung

-Wie schätzen Lehrkräfte die Bedeutung von Erklärvideos für den post-pandemischen fremdsprachlichen Präsenzunterricht ein (Einstellungen)?

-Für welche Ziele setzen Fremdsprachenlehrkräfte Erklärvideos im Rahmen des Präsenzunterrichts ein (zielorientierte Dimension)?

-Wie integrieren sie diese in den Unterricht (didaktisch-methodische Dimension)?

-Welche Bedarfe sehen Lehrkräfte, damit Erklärvideos in den Fremdsprachenunterricht funktional integriert werden können (Wünsche und Bedürfnisse zur Nutzenakzeptanz)?

Methode

Von Januar bis Juli 2023 wurden 25 leitfadenorientierte Expert*inneninterviews mit Fremdsprachenlehrkräften (erste und zweite FS) geführt, die Erfahrungen im Umgang mit Erklärvideos im schulischen Präsenzunterricht der Sekundarstufe I und II gemacht haben (Gläser / Laudel 2010: 12). Alle Interviews wurden aufgenommen und vollständig transkribiert. Die Aufbereitung der Daten ist mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) erfolgt.

Ergebnisse

Lehrkräfte weisen dem Einsatz von Erklärvideos im schulischen Präsenzunterricht eine hohe Bedeutung zu. Vor allem zu Zwecken der Differenzierung, der Prüfungsvorbereitung und der eigenen Entlastung (z.B. Ideenfindung, Tafelbild / Visualisierung, Stimmschonung / Sprecher*innenwechsel) werden sie eingesetzt. Einige Lehrkräfte äußerten eine höhere Motivierung der Lernenden durch Videos sowie eigene Defizite beim Erklären als Grund für den Einsatz von Erklärvideos. Didaktisch flexibel dienen Erklärvideos als motivierender Einstieg, zur Erarbeitung eines neuen Phänomens (z.B. Grammatik) aber auch zur Sicherung und Wiederholung. Den Lehrkräften ist auch wichtig, das Anschauen eines Erklärvideos im Klassenraum aktivierend zu begleiten (mit Arbeitsblättern bzw. Aufgaben, mit Stop-and-Go-Technik für Zwischenfragen). Für den funktionalen Einsatz von Erklärvideos gilt es neben einer technischen Ausstattung (Software / Hardware), die das individuelle Lernen begünstigt, vor allem darum, in der Auswahl guter Erklärvideos geübt zu sein (z.B. mittels Unterstützung von Fortbildungen) und diese funktional didaktisch aufzubereiten, damit Erklärvideos nicht den frontalen Input ersetzen im Sinne einer Substitution, sondern für eine Modification bzw. Redefinition von modernem Fremdsprachenunterricht einstehen (SAMR-Modell, Puentedura 2006).

Literatur

Dorgerloh, S. / Wolf, K. D. (Hg.) (2020): Lehren und Lernen mit Tutorials und Erklärvideos. Beltz.

Gläser, J. / Laudel, G. (2010): Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. VS.

Kuckartz, U. (2018): Qualitative Inhaltsanalyse. Beltz.

Lachmund, A.-M. (2022): Erklärvideos in ausgewählten Französischlehrwerken der neuen Generation (2020), in: Franke, M. / Plötner, K. (Hg.): Rekonstruktion und Erneuerung. Die neue Lehrwerksgeneration als Spiegelbild fremdsprachendidaktischer Entwicklungen. Narr, 77-104.

Lachmund, A.-M. (2023): Lernen mit Erklärvideos. Die App simpleclub. On. Lernen digital 15, 37.

Lachmund, A.-M. (2024): Je te recommande une vidéo… Mit Erklärvideos binnendifferenzierend auf eine Prüfung vorbereiten. Der Fremdsprachliche Unterricht Französisch 187, 9-15.

Puentedura, R. (2006): Transformation, Technology, and Education. Online verfügbar unter: http://www.hippasus.com/resources/tte/ (29.5.2024).

Wengler, J. / Dröge, C. (2021): Chancen und Grenzen von Erklärvideos im Spanischunterricht. Der Fremdsprachliche Unterricht Spanisch 74, 3–7.



Antisemitismus im Klassenzimmer: Lehrkräfte stärken durch forschungsbasierte Rollenspiele

Michael Veeh

Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland

Antisemitismus ist ein langanhaltendes Problem in Deutschland (Schwarz-Friesel 2022; Bernstein 2021; Antonio Amadeu Stiftung 2023; BPB 2023). Trotz der offensichtlichen Bedeutung dieses Themas wird der Umgang mit Antisemitismus in der Lehrkräftebildung bisher nicht ausreichend berücksichtigt. Aus Sicht der Kultusministerkonferenz fehlt es an einer systematischen Verankerung der Vermittlung von Kenntnissen zu Antisemitismus, Judentum und jüdischer Geschichte in allen Phasen der Lehrkräftebildung​ (KMK)​. Die KMK betont die Notwendigkeit, Lehrkräfte für die Erkennung und Intervention bei antisemitischen Vorfällen zu sensibilisieren und die Perspektive der Betroffenen wahrzunehmen​ (KMK)​. In unserem Vortrag gehen wir diesem Desiderat nach und stellen ein Fortbildungskonzept vor, das auf Rollenspielen basiert und Lehrkräfte aller Schularten unterstützt, sowohl direkte als auch indirekte Formen von Antisemitismus zu erkennen, auf antisemitische Äußerungen und Verhaltensweisen zu reagieren sowie eigene Vorurteile und Stereotype zu reflektieren.

Die Fortbildung basiert auf einer breiten empirischen Datengrundlage (Rüb 2023; Kumar et al. 2022) sowie auf der Analyse von sechs Gruppendiskussionen mit Deutschlehrkräften (Bohnsack 1997; Lamnek 2005), die ihre Erfahrungen und Herausforderungen mit Antisemitismus schildern. Deutschlehrkräfte spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle, da der Deutschunterricht oft kulturelle und gesellschaftliche Themen intensiv behandelt. Die Auseinandersetzung mit Sprache, Literatur und weiteren Medien im Deutschunterricht bietet Raum, um Schülerinnen und Schüler für die Themen Antisemitismus, Diskriminierung und Menschenrechte zu sensibilisieren (Ballis 2023). Deutschlehrkräfte haben die Möglichkeit, durch die Wahl geeigneter Texte und Medien, etwa aus dem Medienverbund um Anne Franks Tagebuch, unterschiedliche Formen von Antisemitismus zu thematisieren und zu reflektieren. Zudem können sie ihre Schülerinnen und Schüler im Rahmen gezielter Diskussionen und durch kritische Analyse von Texten und Medien dazu anregen, über Vorurteile und Stereotype nachzudenken, die Mechanismen von Ausgrenzung und Hass zu verstehen und kritische Haltungen zu entwickeln (Frederking/Krommer 2022). Durch die zentrale Stellung des Deutschunterrichts im Curriculum aller Jahrgangsstufen und Schularten und ihren täglichen Kontakt mit Lernenden sind Deutschlehrkräfte daher besonders gut positioniert, um präventive Bildungsarbeit zu leisten und eine Kultur der Toleranz und des Respekts im Schulalltag zu fördern (Wintersteiner/Zelger 2021). Ein interdisziplinäres Team aus Forschenden der Teilprojekte DiSo-SGW und DiäS entwickelt die Fortbildung an den Standorten München, Erlangen-Nürnberg und Bamberg. Ziel ist es, Lehrkräfte und Schüler in der digitalen Welt zu befähigen, selbständig und unabhängig zu agieren (Goldacker 2017), insbesondere im Umgang mit antisemitischen Übergriffen und Diffamierungen im Netz. Der Deutschunterricht bietet dafür eine ideale Plattform: Lehrkräfte können durch gezielte Textauswahl und kritische Analysen von (digitalen) Medien Schülerinnen und Schüler für dieses Thema sensibilisieren (Veeh 2024).

Elf praxisnahe Situationen, eingebunden in Rollenspiele, präsentieren verschiedene Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus im Schulalltag, unter besonderer Berücksichtigung von Social Media und digitalen Medien. Die Szenarien reichen von „subtilen" antisemitischen Bemerkungen bis hin zu direkten Formen, wie der Diskussion über den Nahostkonflikt, antisemitischen Verschwörungstheorien und Widerstand gegen die Lektüre von Anne Franks Tagebuch im Deutschunterricht. Die Perspektiven von Jüdinnen und Juden auf erlebten Schulalltag in Deutschland finden ihren gleichberechtigten Platz (BMI). In den Rollenspielen versetzen sich die Lehrkräfte in verschiedene Perspektiven und erproben Handlungsoptionen. Begleitende Skalen zur Selbsteinschätzung unterstützen die Reflexion und Weiterentwicklung ihrer Fertigkeiten (Horn et al. 2020). Diese praxisorientierte, forschungsbasierte Fortbildung befähigt Lehrkräfte, souverän auf Antisemitismus im Klassenzimmer zu reagieren und eine respektvolle Lernumgebung zu schaffen, in der antisemitische Äußerungen keinen Platz haben.