Diversitätssensibles Musik-Producing in Schule und Weiterbildung
Chair(s): Mario Dunkel (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Deutschland)
Diskutant:in(nen): Thade Buchborn (Hochschule für Musik Freiburg)
Das Verbundprojekt „Digitalität – Diversität – Producing: Praktiken populärer Musik in Schule und Weiterbildung (DiDiPro)“ entwickelt diversitätssensible Fort- und Weiterbildungsangebote für (angehende) Musiklehrkräfte unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung des digitalen Musik-Producings. Producing vereint in sich eine Vielzahl an Kernpraktiken populärer Musik. Dadurch birgt es einerseits ein enormes, bislang im deutschsprachigen Raum weitgehend vernachlässigtes, Potenzial für den Musikunterricht. Andererseits kann eine unreflektierte Einführung von Aspekten des Producings in den Musikunterricht nicht nur die Beteiligten überfordern, sondern auch soziale Ungleichheiten verstärken. DiDiPro zielt vor diesem Hintergrund auf den Aufbau, die Erweiterung sowie den späteren Transfer von fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten von Lehrkräften entlang diversitätssensibler Zugänge zu Producing im Kontext populärer Musik(-kulturen).
Ausgehend von drei Musikinstituten in Oldenburg, Münster und Lüneburg mit besonderer Expertise in den Bereichen Diversität, Digitalisierung und Ausbildung von Musiklehrkräften schafft der Verbund neue länderübergreifende Synergien zwischen Universitäts- und Hochschulstandorten sowie verschiedenen Institutionen der Lehrkräftefortbildung im Bereich Musik auf regionaler (Kompetenzzentren für Lehrkräftefortbildung), überregionaler (Landesinstitute für Schulentwicklung, Landesmusikakademien) und Bundesebene (Bundesverband Musikunterricht, BMU). Darüber hinaus konnten mit Helvetia rockt (Bern) und der Firma Ableton (Berlin) zwei Partner aus dem Bereich Praktiken populärer Musik gewonnen werden. Das interdisziplinäre Projekt integriert musikpädagogische Perspektiven mit einer breiten Expertise aus der Lehrkräftebildung in Theorie und Praxis, den Popular Music Studies, den Sound Studies sowie der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung. Es greift dabei zentrale Aspekte verschiedener Großprojekte auf (u.a. der BMBF-Projekte OLE+, MIDAKUK, CODIP, DwD.LeL).
Im Rahmen der Tagung „Digitale Transformation für Schule und Lehrkräfte gestalten“ möchte der Verbund DiDiPro ein Symposium anbieten, in dem zentrale Fragen des Projekts eruiert und erste Projektergebnisse vorgestellt werden. Dies soll im Rahmen von drei Vorträgen geschehen, die jeweils einem Projektstandort zugeordnet sind. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Thematisierung und Reflexion von diversitätsbezogenen Aspekten bei der evidenzbasierten Entwicklung von Lehr-/Lernmaterialien zu Musik-Producing. In diesem Zusammenhang gehen die drei Beiträge anhand des Beispiels Musik-Producing der Frage nach, wie die Entwicklung von diversitätssensiblen Angeboten im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte in Theorie und Praxis gelingen kann. Dabei werden auch Anknüpfungspunkte für weitere Fächer (wie Kunst, Englisch, Deutsch) geschaffen, die in dem primär musikpädago-gischen Projektverbund DiDiPro selbst nicht direkt adressiert werden.
Mit dem Musikpädagogen Prof. Dr. Thade Buchborn konnte ein externer Experte als Diskutant gewonnen werden, dessen Einbezug als critical friend eine zusätzliche Perspektive auf die Projekte des Verbundes ermöglichen soll.
Beiträge des Symposiums
Digital Audio Workstations: Werkzeug und Plattform für diverse Produktionspraktiken
Michael Ahlers, Immanuel Brockhaus Leuphana Universität, Lüneburg
In dem Beitrag werden erste Ergebnisse des Teilprojekts “DAW” aus dem Projektverbund DiDiPro vorgestellt. Das Teilprojekt erarbeitet und testet Kurse und Lehr-/Lernmaterialien zum Einsatz von Digital Audio Workstations (DAW) mit einem Schwerpunkt auf Ableton Live und Logic Pro X. Wenngleich diese Tools schon lange in künstlerisch-ästhetischen Praxen etabliert sind, so ist ein kompetenter und facettenreicher Einsatz als Instrument, Werkzeug oder kollaborativ nutzbare Schnittstelle für kreative Prozesse des Erstellens, Editierens oder Aufführens von Musiken in musikpädagogischen Kontexten bisher in Deutschland nicht gegeben. Die DAW bildet hierbei den Ausgangspunkt für produktionsorientierte Prozesse. Dabei fungiert sie nicht nur als digitales Aufnahmestudio, sondern als Groove- und Sound-Experimentierfeld, als Kompositions- und Arrangierwerkzeug und als universelles Meta-Instrument im Live-Einsatz mit diversen Controllern.
Fernab von reinen Programm-Einführungen geben die Kursinhalte Hinweise zu spezifischen Projekten, popmusikalischen Genres oder performativen Gebrauchspraxen von DAWs, die in schulischen Kontexten sinnvoll genutzt und ausprobiert werden können. Hier sind beispielsweise Projekte wie Remix, Mash-Up, Soundscapes, Songs und Sounds nachbauen, Stilstudien in Funk, House oder Techno, Hörspiele vertonen, eine Band aufnehmen, Songs produzieren oder die Live Performance zu nennen.
Dabei wird eine Spannweite von absoluten Basis-Lernangeboten für Einsteiger:innen über Intermediate-Stufen bis hin zu einem Expert:innen-Niveau bereitgestellt. Diese Angebote verweisen intern innerhalb und außerhalb des Moduls aufeinander und ermöglichen den direkten Zugang zu weiterführenden oder ergänzenden Inhalten. Kursteilnehmer:innen können ihrem Kenntnisstand entsprechend ein oder mehrere Projekte auswählen und sich dabei sowohl technologische als auch künstlerische Kompetenzen aneignen, um dann die Projektthemen in den Unterricht zu transferieren. Auch hierbei werden sie mit pädagogischen Impulsen unterstützt.
Es werden möglichst breitgefächerte Lernformate wie Texte, Tutorials, Videos, Bildmaterial, Aufgabenstellungen oder interaktive Elemente zur Verfügung gestellt. Zudem bietet die Plattform die Möglichkeit zu direktem Feedback und Support. Die Inhalte und Materialien stehen auf einer WordPress-Seite zur Verfügung und können im Kontext der Lehrkräfteaus- und -fortbildung wie auch in der höheren Sekundarstufe sowie im Studium eingesetzt werden. Im Kontext des Symposiums werden u.a. auch diversitätsbezogene Erkenntnisse mit Blick auf die Nutzenden, aber auch auf popmusikalische Praxen in musikpädagogischen Kontexten thematisiert.
„Not SEEING people like me doing these jobs“: Gender und Positionalität im digital-gestützten Musikunterricht
Steffi Rocker1, Arne Wachtmann2 1CcO Universität Oldenburg, 2CvO Universität Oldenburg
„Das ‚Sehen‘ in all seinen Formen und Modulationen kann ein machtvolles Instrument im Aufbau und der Aufrechterhaltung von Privilegien bzw. dem Ausschluss bestimmter Personen oder ganzer Gruppen sein“ (Brighenti, 2010; zit.n. Yekani et al., 2022: 22). Welche Bilder zeigt eine Suchanfrage zum Begriff Music Producing? Welche Bilder evoziert der Begriff Klassenmusizieren? Welche Darstellungsweisen finden sich in Musikvideos und Tutorials?
Bilder und Darstellungen sind Teil der Produktion kulturell-normativer bis stereotyper Vorstellungen davon, wer wie musiziert. In diesem gemeinsamen Beitrag der DiDiPro-Teilprojekte Musikvideos und Tutorials werden zentrale Fragen hinsichtlich Digitalität und Diversität adressiert. Wir untersuchen unterschiedliche mediale Darstellungen, die sich auf die Produktion populärer Musik beziehen lassen, vor dem Hintergrund des Musicking-Konzepts (Small, 1998), das auf ein betont breites Spektrum von musikalischen Praktiken abzielt. Wie diese Praktiken sich typischerweise darstellen, betrachten wir in diesem Beitrag durch die Brille der Visual Cultural Studies.
Im Fokus stehen dabei jene Darstellungen von Musikproduktion, die das allgegenwärtige Narrativ des weißen, cis-männlichen Tech Nerds und seinen „musical toys for boys“ (Born & Devine, 2015) fortwährend reproduzieren, und zugleich jenes der technisch tendenziell inkompetenten Frau* implizieren. Ebenso geht es um genderstereotype Inszenierungen in Musikvideos, die durch hypersexualisierte Close Ups Frauen zu verfügbaren Objekten degradieren, um Reichweiten und Verkaufszahlen zu maximieren, während jedes dritte Musikvideo in einer reinen cis-Männerwelt spielt und aus maskulinen Perspektiven erzählt (Eckhardt Rodriguez & Götz, 2019).
Die Erkenntnis, dass in diesen medialen Darstellungen marginalisierte Gruppen unterrepräsentiert sind, ist wenig überraschend. Allerdings eröffnet eine reine Fokussierung auf die Repräsentation marginalisierter Gruppen in der Mediendarstellung nicht automatisch mehr Gestaltungsräume für betroffene Menschen (Yekani et al., 2022). In vielen Technologien sind Ausschlussmechanismen bereits technisch implementiert, z.B. in den Trainingsdaten des maschinellen Lernens, Algorithmen zur Gesichtserkennung oder Presets in Musiksoftware. Diese beeinträchtigen beispielsweise direkt die Sichtbarkeit von People of Color in der YouTube-Vorschlagsliste. Daher halten wir eine Auseinandersetzung mit den asymmetrischen Machtverhältnissen, die sich bei der Herstellung und Vertreibung von Technologien und Geräten in deren Materialität einschreiben (Yekani et al., 2022), für notwendig.
Die allzu optimistische Rede von der Demokratisierung der musikalischen Mittel durch die Digitalisierung (Harkins & Prior, 2022) verdeckt oftmals die strukturellen Ungleichheiten und Ausschlussmechanismen, die im Bereich digitaler Musikpraxis und -rezeption bestehen und die durch zahlreiche Studien belegt sind (Weingartner, 2021; Wolfe, 2019). Die daraus abzuleitende Konsequenz für den Musikunterricht besteht für uns darin, „Raum für marginalisierte Menschen und Diskurse [zu] schaffen“ (Osman, 2023). Studien haben gezeigt, dass Producing eine Möglichkeit bietet, neben den wenigen Schüler*innen, die Instrumentalunterricht erhalten oder sich in der Schule ohnehin in traditionellen Ensembleformaten (Chor, Bigband, Orchester) engagieren, auch weitere Schüler*innengruppen anzusprechen und neue Zugänge zu vielfältigen musikalischen Erfahrungen zu eröffnen. Dies kann jedoch nur funktionieren, sofern ein Bewusstsein für die normativen und hierarchisierenden Zuschreibungen an Technologie und die damit verbundenen Machtdynamiken besteht.
Hinsichtlich möglicher Lösungsansätze gehen wir abschließend auf Konzepte der Positionalität, des aktiven Verlernens (Sternfeld, 2014) und des Counterstorytellings (u.a. Misawa, 2010) ein. Sie können, wie Osman (2023) ausführt, im Sinne einer kontinuierlichen reflexiven Praxis auf Probleme in Bezug auf Repräsentation und Diversität ausgerichtet werden. Diese reflexive Ebene wird verbunden mit den zukunftsgestaltenden Kompetenzen („21st Century Skills“) aus der Maker-Pädagogik, die Prozesse des Reflektierens, Analysierens und Gestaltens in handlungsorientierten und medienpraktischen Settings kombiniert und Aspekte wie „Kreativität, Problem-lösefähigkeit, Empathie, Kollaboration und Selbstreflexion“ in den Vordergrund stellt (Maurer & Ingold, 2023; Zierer, 2021).
Diversität & Dauerschleife: Loop-basierte Musikpraxen im diversitätssensiblen Musikunterricht
Sophia Tobis, Julian Vorst, Ilka Siedenburg, Malte Pelleter Universität Münster
“Neither alternative to something, nor unusual or marked in any way, loops have become a standard resource in music and sound design production repertoires.“ (Stillar, 2005)
Der Loop hat gemeinhin keinen guten Ruf. Als ‚Dauerschleife‘ ist er in vielen Bereichen musikalischer Praxis stets der bloßen Wiederholung verdächtig. Demgegenüber steht allerdings nicht nur die lange Geschichte zyklischer Formen in allen Bereichen der Musikgeschichte (vgl. Baumgärtel, 2015). Gerade in der Popmusik kommen viele verschiedene ästhetische Strategien und gestalterische Praxen zum Einsatz, die fundamental auf dem Prinzip des Loops basieren. Die digitale Phonographie macht seit den späten 1970er Jahren ein immer feineres musikalisches Umgehen mit aufgenommenen und in Schleife gesetzten Klängen möglich (vgl. Großmann, 2016). Musiker*innen gerade in den Bereichen House, Techno oder HipHop haben daraus ihre je ganz eigenen Sounds entwickelt (vgl. Rietveld, 1998). Loops bergen das Potenzial für Nuancierungen und Veränderungen – sei es durch sukzessive Verschiebungen, wie sie z.B. bereits in Minimal-Kompositionen Steve Reichs realisiert werden, oder auch durch improvisierte Variationen geloopter Figuren, die sowohl live und analog als auch digital ein selbstverständlicher Teil der Praxis sind.
Inwiefern gerade die Soundfigur des Loops neue Möglichkeiten für eine diversitätsorientierte musikalische Bildungen eröffnen kann, untersuchen wir im Rahmen des DiDiPro-Projektverbunds am Standort Münster zum einen für eine improvisatorisches (Klassen-)Musizieren mit Loopern, zum anderen für die DJ- und Sampling-Praxis. Für diesen Beitrag gehen wir davon aus, dass der Loop in seinem Kreisen ein spezifisches Potenzial der prozesshaften Veränderung birgt: sowohl des musikalischen Materials als auch der sozialen Situation der musikalischen Praxis. Aktuelle Theorien der Inklusion und Diversität heben den dynamischen Charakter verschiedener „Kategorien“ der Identität und Ungleichheit hervor (vgl. Boger, 2019; Siedenburg, 2022). Eine ‘Arbeit am Loop’ im Sinne eines „Looping-as-practice“ (Stillar, 2005) soll diese Dynamik und damit die Veränderbarkeit solcher Ausschluss-Kategorien stetig am Laufen halten und neue Impulse setzen.
Das Arbeiten mit Loops ist maßgeblicher Teil digitaler Musikpraxis. Aus einer musikpädagogischen Perspektive lassen sich daraus Handlungsoptionen ableiten. Die Studienlage deutet darauf hin, dass ein großer Teil der Schüler*innen über wenig instrumentalpraktische Erfahrung verfügt, sich aber in anderer Weise kreativ mit Musik auseinandersetzt (vgl. Heß, 2018). Somit ließen sich mithilfe digitaler Musikpraxis auch Schüler*innen ansprechen, denen bislang kein Zugang zum Musizieren ermöglicht wurde. Überdies zeigt sich, dass im Feld des Producing nach wie vor ein eklatanter Gender-Bias vorherrscht, was betont gendersensible Förderung besonders nahelegt. Die Verknüpfung digitaler und analoger Musikpraxen – beispielsweise durch die Integration vokaler oder instrumentaler Elemente, die digital in die Loops integriert und weiterbearbeitet werden können, trägt hier zur Abschwächung von Gender-Konnotationen bei.
Der Loop lädt ein zum Spiel, sei es in Form von Improvisation auf Basis des Loops oder als Re-Mixing und Re-Imaginieren des Loops selbst als ein phonographisches Material. Als eine Art ‚Instant Sample‘ ist er längst fester Bestandteil digitaler DJing-Praxis. Sei es bloß, um Zeit zu schinden, bis der nächste Track „dropt“, Spannung hin zum nächsten Breakdown zu erzeugen oder sich eines geloopten Samples noch etwas länger zu erfreuen. Ein guter Loop macht Spaß, fühlt sich gut an und lässt im Unterricht rhythmisch untermalte Erfolgserlebnisse sammeln. Gerade deshalb werden die genannten Kategorien der Ungleichheit, mit denen individuelle Unsicherheiten im Umgang mit Soundtechnologien einhergehen können, für den Moment des Spiels zum Hintergrundgeräusch. In einem nicht-dramatisierenden didaktischen Ansatz (vgl. Siedenburg, 2022; Debus, 2017) werden positive Erfahrungen ermöglicht, sodass die Reproduktion von Zuschreibungen aufgrund von Gender oder anderer Diversitätsaspekte im Bereich digitaler Musikpraxis reduziert werden kann.
Anhand von konkreten Beispielen aus der Projektarbeit möchten wir in diesem Beitrag einen Ausblick auf die Möglichkeiten und Herausforderungen diversitätssensibler Didaktik im Bereich des digitalen Musik-Producings am Beispiel des Loop-basierten Klassenmusizierens geben.
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