Künstliche Intelligenz in der naturwissenschaftlichen Bildung
Chair(s): Sebastian Becker-Genschow (Universität zu Köln)
Diskutant:in(nen): Johannes Huwer (Universität Konstanz), Christoph Thyssen (Rheinland-Pfälzische Technische Universität)
Künstliche Intelligenz (KI) verändert bereits jetzt die Lebens- und Arbeitswelt und ihr Einfluss auf unsere Gesellschaft wird als eine der Zukunftstechnologien dieses Jahrhunderts noch zunehmen. KI-bezogene Kompetenzen werden damit zu Schlüsselkompetenzen für die jetzige aber auch künftige Generationen. Schulische Bildung steht damit vor dem Hintergrund der Erfüllung ihres Bildungsauftrags in der Verantwortung, solche Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern gezielt zu entwickeln. Aufgrund des zunehmenden Einflusses von KI auf naturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsmethoden kann dabei insbesondere der naturwissenschaftliche Fachunterricht zu einem Lehren und Lernen mit, über und durch KI beitragen. Es bedarf allerdings entsprechend professionalisierter Lehrkräfte, welche über das notwendige technologische aber auch didaktische und pädagogische Wissen verfügen, KI in ihren Unterricht wirksam zu implementieren. Es obliegt damit insbesondere der ersten Phase der Lehrkräftebildung, grundlegende KI-bezogene Kompetenzen kumulativ und anschlussfähig an die zweite Phase bei den Studierenden zu fördern. Eine strukturierte Kompetenzentwicklung setzt allerdings voraus, dass notwendige Kompetenzen in Übereinstimmung mit den Anforderungen der Schulpraxis, d.h.mit Bezug zu tauglichen, fachbezogenen Unterrichtskonzepten identifiziert und formuliert werden können. Ohne eine diesbezügliche Perspektive ist die gezielte, zukunftstaugliche Weiterentwicklung von Curricula für diesen Bereich nicht möglich. Das Symposium fokussiert auf die Transformation von (naturwissenschaftlicher) Bildung durch KI im Allgemeinen und die dadurch notwendige praktische Entwicklung und Förderung von KI-bezogener Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern sowie angehenden Lehrkräften im Speziellen. Dabei wird insbesondere diskutiert, welche KI-bezogenen Kompetenzen angehende Lehrkräfte im Hinblick auf konkrete Unterrichtsaktivitäten erwerben sollten und wie diese gezielt gefördert werden können. Mit DiKoLAN KI wird zudem ein Orientierungsrahmen für KI-bezogene Kompetenzen vorgestellt, der gezielt unterrichtliche Handlungsfelder adressiert.
Beiträge des Symposiums
Lernen mit, über und durch KI – Transformation von (naturwissenschaftlicher) Bildung
Sebastian Becker-Genschow
Universität zu Köln
Die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) verändert zahlreiche Bereiche der Lebens- und Arbeitswelt und hat das Potenzial, die naturwissenschaftliche Bildung grundlegend zu transformieren. Insbesondere durch die Fortschritte im Bereich der generativen Künstlichen Intelligenz (wie z.B. KI-Chatbots) stehen Lehrenden und Lernenden heutzutage bereits Anwendungen zur Verfügung, welche den Lehr-Lern-Prozess grundlegend verändern könnten. So ließen sich mittels KI-Anwendungen Lerninhalte an die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler anpassen. Eine solche Personalisierung von Lernprozessen ermöglicht eine gezielte Förderung von Lernenden in heterogenen Lerngruppen. Dadurch ändert sich jedoch sowohl die Rolle der Lernenden als auch die Rolle der Lehrenden. Lernende übernehmen mehr Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess und interagieren phasenweise mit einer künstlichen Intelligenz als Lernprozessunterstützung. Lehrende nehmen in solchen Phasen die Rolle eines Lernbegleiters ein, welcher die Lernenden nur bei Bedarf bzw. bei der Interaktion mit der KI unterstützt. Eine solche Rollenverschiebung bedarf allerdings einer spezifisch darauf ausgerichteten Pädagogik und Didaktik und somit letztlich einer Transformation von Bildung. Der Vortrag beleuchtet Potenziale aber auch Risiken von KI-Anwendungen insbesondere in der naturwissenschaftlichen Bildung und diskutiert Implikationen sowohl für die schulische Bildung als auch die Lehrkräftebildung.
Kompetenzen für den Unterricht mit und über Künstliche Intelligenz – DiKoLAN KI
Johannes Huwer
Universität Konstanz
Um Unterricht mit digitalen Technologien zu planen und durchzuführen, sind technologiebezogene fachdidaktische Kompetenzen der Lehrkräfte von zentraler Bedeutung. Mit dem Orientierungsrahmen „Digitale Basiskompetenzen für das Lehramt der Naturwissenschaften“ (DiKoLAN) steht seit 2019 für das Lehramtsstudium ein Rahmen mit konkret operationalisierten Kompetenzen inklusive eines Selbsteinschätzungsinstrument (DiKoLAN-Grid; von Kotzebue et al., 2021) zur Verfügung, der zumindest die im Studium zu erwerbenden Kompetenzen adressiert. Künstliche Intelligenz erhält rasend schnell impliziten und expliziten Einzug in nahezu alle Bereiche des Lebens, Wissenschaft und Bildung. Dies betrifft nicht nur inhaltlich didaktische Aspekte, sondern auch Strategien zu deren Einbindung in zentrale (unterrichtliche) Aufgaben von Lehrkräften, wie z.B. Assessment (vgl. SWK, 2023). Bisher wurde KI als spezielle Technologie im DiKoLAN noch nicht berücksichtigt, sodass KI-bezogene Kompetenzen (angehender) Lehrpersonen ergänzend zu den bereits in DiKoLAN formulierten Kompetenzen beschrieben werden müssen. Auf der Grundlage der Strukturierung von DiKoLAN (Tätigkeit unterrichtlichen Handelns) können auch die Kompetenzen im Umgang mit und in der Nutzung von KI im naturwissenschaftlichen Unterricht abgeleitet und beschrieben werden. Der mit diesem spezifischen Blick auf diese Technologie entstehende Rahmen ist der DiKoLAN-KI. Im Vortrag werden sowohl DiKoLAN-KI präsentiert und hergeleitet, als auch Perspektiven auf und Praxisbeispiele zur Integration der DiKoLAN-KI Kompetenzen in die Lehrkräfteprofessionalisierung vorgestellt.
Referenzen
Von Kotzebue, L., Meier, M., Finger, A., Kremser, E., Huwer, J., Thoms, L.-J., Becker, S., Bruckermann, T., & Thyssen, C. (2021). The Framework DiKoLAN (Digital Competencies for Teaching in Science Education) as Basis for the Self-Assessment Tool DiKoLAN-Grid. Education Sciences, 11(12), 775.
Fachliche Integration von KI in Lernangebote - Lernen mit und über Machine Learning als Werkzeug in der Biologie
Christoph Thyssen
Rheinland-Pfälzische Technische Universität
Nicht nur der de facto zunehmende Einfluss von Künstlicher Intelligenz (KI) auf die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, sondern auch mittlerweile formulierte bildungspolitische Ziele und Stellungnahmen (z.B. SWK, 2023) sind Gründe für eine strukturierte Integration von KI in den Unterricht sowohl aus Perspektive der inhaltlichen Thematisierung als auch der Lehrkräfteprofessionalisierung. Inhaltlich und mit Blick auf eine Kompetenzentwicklung auf Seiten der Schüler*innen betrifft dies gemäß der “Strategie Bildung in der Digitalen Welt” (KMK, 2016) alle Fächer. Deshalb müssen a) fachspezifisch taugliche Themenbereiche identifiziert b) korrespondierende Lern- und Kompetenzziele formuliert sowie c) geeignete Lernangebote konzipiert werden. Neben allgemeinen Prinzipien zur Funktionsweise von KI Systemen (mit Bezug zu Zielen der Strategie Bildung in der Digitalen Welt) sind hierbei auch Anwendungen von KI aus der wissenschaftlichen Forschungsdisziplin des jeweiligen Faches zu berücksichtigen. Für die Biologie bedeutet dies z.B. die Integration von KI in Arbeitsmethoden und fachpraktische Arbeiten, d.h. aus schulischer Perspektive mit Bezug zu den Kompetenzbereichen der Erkenntnisgewinnung und des Fachwissens. Nur auf Basis eines ausreichenden Verständnisses der aktuellen KI Systemen zugrundeliegenden Funktionsprinzipien sowie daraus resultierenden Grenzen, kann ein kompetenter Umgang und eine Bewertung solcher Systeme, ihres Einsatzes und damit gewonnener Ergebnisse erfolgen. Mangelndes Verständnis der Funktionsweise von KI Systemen resultiert dabei oft in Fehlvorstellungen, welche die Fähigkeiten von KI-Systemen „mystisch verklären“ [Engel, 2023] und eine kritische Ergebnisreflexion verhindert. Der naturwissenschaftliche Unterricht bietet eine ideale Plattform, um Schüler:innen nicht nur ein grundlegendes Verständnis von dafür relevanten KI Systemen, auch abseits von Large Language Modellen, zu vermitteln, sondern ihnen auch praktische Erfahrungen in einem fachlich relevanten Kontext zu ermöglichen. Anhand einer für das Fach Biologie konzipierten Lerneinheit zur Blattbestimmung, die traditionelle analoge Bestimmungsprinzipien und -methoden mit modernen Ansätzen mittels KI verbindet, können Strategien einer zielführenden Integration von KI im naturwissenschaftlichen Unterricht unter Berücksichtigung fachlicher und digitaler Kompetenzentwicklung vorgestellt und diskutiert werden. Im Sinne eines naturwissenschaftlich informatischen Unterrichts werden dabei, ausgehend vom Beispiel der mittlerweile verbreiteten Verwendung von Bestimmungsapps, die Funktionsweise von KI Systemen im Bereich des Machine-Learnings, die Anwendung von KI-Modellen und die eigenständige Arbeit von Schüler:innen mit selbigen integriert. Über ein Verständnis der Methode der analogen Blattbestimmung werden Bezüge zum lernenden KI-System hergestellt. Auf einer schülergerechten Plattform trainieren Lernende selbst ein solches KI-Modell zur Blattbestimmung. Dessen anschließende praktische Anwendung, liefert unter Nutzung didaktisch ausgewählter Datensätze Ergebnisse, deren Interpretation in Verbindung mit den genutzten Trainingsdatensätzen Rückschlüsse auf die Funktionsweise und die Grenzen von solchen KI-Systemen zulassen Ein damit erreichbares Lernziel ist das Verständnis, dass die Zuverlässigkeit von solchen KI-gestützten Systemen von der Qualität und Quantität der Trainingsdaten abhängt, eine Anwendung trainierter Systeme deshalb nur in korrespondierenden Bereichen erfolgen kann und sowohl Fehler als auch eine garantierte Korrektheit nicht vorhergesagt werden können. Die für die Konzeption und Durchführung solcher Lernangebote auf seiten der Lehrkräfte identifizierten digitalisierungsbezogenen Kompetenzen konnten in bisher begleiteten Fällen in ausreichendem Maße durch Begleitmaterialien angelegt und entwickelt werden. Dies öffnet Perspektiven für zukünftige Bemühungen und Bestrebungen, eine unterrichtlichen Berücksichtigung von KI strukturiert und auch für das Lernen im Fach im Unterricht zu implementieren. Fachspezifische Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen profitieren von konkreten Anwendungsfällen für die schulische Praxis. Hier zeigen sich Synergien aus Forschungsprojekten (GeNIUS, Gelingensbedingungen naturwissenschaftlich-informatischen Unterrichts) und Fortbildungsinitiativen wie den Kompetenznetzwerken, konkret MINT-ProNEd.
Engel, R. M. (2023). Entmystifizierung maschinellen Lernens: Ein Beitrag zur didaktischen Theoriebildung. In L. Hellmig, M & Hennecke (Eds.): Informatikunterricht zwischen Aktualität und Zeitlosigkeit (pp. 113-122). Gesellschaft für Informatik, Bonn
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2023): Large Language Models und ihre Potenziale im Bildungssystem. Impulspapier der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz.
Kultusministerkonferenz (2016).Strategie der Kultusministerkonferenz. Bildung in der digitalen Welt. Abgerufen am 20.04.2024 von https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf