Veranstaltungsprogramm

Sitzung
A01: Erfahrungsaustausch über Virtual Reality in Bildungskontexten. (Infra)strukturelle Spannungsfelder zwischen Er- und Entmächtigung, Selbst- und Fremdbestimmung
Zeit:
Montag, 30.09.2024:
13:30 - 15:00

Chair der Sitzung: Nicola Przybylka
Ort: S15

Seminarraum 1. Obergeschoss

Präsentationen

Erfahrungsaustausch über Virtual Reality in Bildungskontexten. (Infra)strukturelle Spannungsfelder zwischen Er- und Entmächtigung, Selbst- und Fremdbestimmung.

Nicola Przybylka, Dorina Rohse, David Wiesche

Universität Duisburg-Essen, Deutschland

Das Austauschformat widmet sich dem Thema Virtual Reality (VR) in Bildungskontexten anhand zweier überfachlicher Themen, die im Sinne einer inklusiv gedachten sowie kritisch-reflexiven Medienbildung Fragen nach dem lernförderlichen Einsatz von VR-Anwendungen zugrunde liegen.

Zum einen geht es um eine kritische Inblicknahme von technologisch-infrastrukturellen Abhängigkeiten und datenkapitalistischen Strukturen. Forschung und Bildungspraxis profitieren von jüngsten Entwicklungen in der VR-Technik, insofern diese mobiler, günstiger, zugänglicher und leistungsstärker geworden ist. Auch das Softwareangebot ist im Zuge dessen gestiegen. Diese Ermächtigung fußt jedoch auf datenkapitalistischen, privatwirtschaftlichen und plattformlogische Strukturen, die wir in unserer Fortbildungspraxis durch den Einsatz entsprechender Technik zwangsläufig fortführen. Bei der Nutzung von VR prozessierende umgebungs- und körperbezogene Daten verbleiben nicht im Klassenraum, sondern werden durch Dritte gesammelt, verarbeitet und kommodifiziert – und dies primär durch den Tech-Konzern Meta, der eine problematische datenschutzrechtliche Historie aufweist (vgl. Leistert 2015). Darüber hinaus setzt das Unternehmen durch seine Vormachtstellung auf dem VR-Markt technische Standards, die nicht nur technologisch formatiert, sondern von privatwirtschaftlichen Interessen durchzogen sind und in die sich „Interessen und Vorurteile, d.h. soziopolitische Umstände“ (Burkhardt et al. 2021) einschreiben (vgl. Egliston/Carter 2022; Carter/Egliston 2023). Nicht zuletzt greifen wir durch fehlende Kapazitäten bei der Erstellung von Inhalten auf kommerzielle Anwendungen zurück, die nicht genuin für den formalen Bildungskontext erstellt wurden. Darin angelegte Lernpraktiken und Logiken der Wissensvermittlung gilt es ebenfalls zu reflektieren.

Zum anderen geht es um die Thematisierung von Teilhabemöglichkeiten für eine inklusiv gedachte Schüler*innenschaft. VR wird ein immer relevanteres Thema für die Schule, von dem eine inklusive Zielgruppe umfassend profitieren könnte (Wehrmann und Zender 2023). Für Menschen mit Behinderungen könnte der Zugang zu und die Nutzung von VR Teilhabe im Sinne der inklusiven Medienbildung (Bosse et al. 2018) ermöglichen. Darüber hinaus wird angenommen, dass eine VR-Nutzung Barrieren abbauen könnte auf Grund ihrer Niederschwelligkeit (Schäfer et al. 2023). Gleichzeitig gibt es bestehende Barrieren, wenn es um einen gleichberechtigten VR-Zugang geht. Ein Zugang zu VR kann bisher aus z.B. einer medizinischen Perspektive nicht für alle Menschen ermöglicht werden (Zender et al. 2022). Daraus ergibt sich der Bedarf, über Lösungsansätze und potenzielle Umgänge zu diskutieren, damit VR möglichst selbstbestimmt für eine inklusive Zielgruppe nutzbar wird.

Beide Themenkomplexe bewegen sich in Spannungsfeldern zwischen Er- und Entmächtigung sowie Selbst- und Fremdbestimmung, wobei sich auch vielfältige Bezüge zwischen beiden Schwerpunkten ausmachen lassen. So muss bei der Erweiterung von Teilhabemöglichkeiten durch z. B. zusätzliche Trackingverfahren (Ermächtigung & Selbstbestimmung) reflektiert werden, inwiefern Menschen mit Behinderungen dadurch um ein Vielfaches stärker zu sensorisch erfassten, datafizierten Subjekten gemacht werden (Entmächtigung & Fremdbestimmung).

Ziel des Formats ist ein Austausch mit den Teilnehmenden über die (forscherische) Haltung gegenüber und den bildungspraktischen Umgang mit diesen Themen im eigenen Teilprojekt. Mögliche Diskussionsfragen könnten dabei sein:

• Wie ist eine konstruktive Thematisierung von infrastrukturellen Rahmenbedingungen möglich, ohne Verantwortung auf die Individualebene (Lehrkräfte) zu verschieben und politische Regulierungsaufgaben auf nationaler und europäischer Ebene zu ignorieren? Welche Zugangsweisen finden Sie in Ihrem Projekt zu dem Thema? Welche konkreten Maßnahmen können wir Lehrkräften an die Hand geben?

• Haben Sie Erfahrung bei der Entwicklung einer VR-Anwendung und sind Sie dabei an gestalterische Grenzen – auch im Hinblick auf Barrierefreiheit – kommerziell-standardisierter Hard- und Software gekommen? Wie sind Sie damit umgegangen?

• Welche weiteren Funktionen braucht es, um VR-Brillen in ihrer Bedienung barrierärmer zu machen?

• Wie könnte die Gestaltung einer Übersicht aussehen, in der klar definiert ist, für wen VR-Brillen aus medizinischer Perspektive zugänglich sein können und für wen nicht?

• Wie können Menschen teilhaben, die aus bestimmten Gründen keine VR-Brille aufsetzen und erfahren können?

• Wie kann VR sensibel begleitet werden, damit Nutzende sich selbstwirksam erleben?