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Ableismus und Leistung in der Schule. Vorschläge für eine theoretische Relationierung
Becker, Jonas; Urban, Michael
Institut für Sonderpädagogik, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Ableismussensible Zugänge haben sich im deutschsprachigen Raum inzwischen als eine kritische analytische Perspektive auf die Konstruktion und Bearbeitung von ‚Behinderung‘ im schulischen Kontext entwickelt, die auch dazu genutzt wird, um „das Klassifikationsschema des Sonderpädagogischen Förderbedarfs“ (Buchner, 2022, S. 207) zu dechiffrieren (vgl. auch Pfahl, 2011; Weisser, 2018). Auch wenn die Bezüge auf die Figur des Ableismus durchaus unterschiedlich gelagert sind, wird dabei doch übergeordnet die Tendenz deutlich, dass ableismuskritische Perspektiven auch Konstruktionen von Leistung in der Schule problematisieren und diese zum Teil sogar in unmittelbaren Zusammenhang zu „ableistische[n] Subjektivierungen“ (Akbaba & Bräu, 2019, S. 181) stellen (vgl. auch Boger, 2022, S. 123; Buchner, 2018, S. 68). Trotz dieses Konsenses liegt bisher keine explizite theoretische Beschreibung zur Relationierung von Ableismus und Leistung in der Schule vor. Der gleiche Befund trifft auch für den englischsprachigen Forschungsraum zu. Hier sind ableismuskritische Bezüge bereits länger etabliert (vgl. Campbell, 2001; Wolbring, 2008) und analog zur Perspektive auf institutionellen Rassismus wird Ableismus auch als institutionalisiertes Differenzsystem im schulischen Kontext untersucht (vgl. Beratan, 2012). Dabei wird der Zusammenhang von Ableismus und Leistung schon seit einigen Jahren thematisiert (vgl. Peters & Oliver, 2009; Hale, 2015; Kangas, 2021), doch eine genaue theoretische Relationierung wird auch hier nicht formuliert. Der Beitrag setzt an dieser Leerstelle an und entwickelt auf der Basis des internationalen Diskussionsstandes sowie empirischer Ergebnisse aus dem vom BMBF geförderten Projekt „Reflexion, Leistung und Inklusion. Professionalisierungserfordernisse für einen reflexiven Umgang mit Leistung in der inklusiven Sekundarstufe (ReLInk, Laufzeit 2017 bis 2021)“ (vgl. zusammenfassend Arndt et al., 2022) einen entsprechenden Vorschlag.
Adaptives Verhalten – ein psychologisches Konstrukt und seine Bedeutung für die Sonderpädagogik
Kölbl, Dr. Sabine; Selmayr, Dr. Anna
Universität Regensburg
Adaptives Verhalten wird als Sammlung von Verhaltensweisen verstanden, die erlernt wurden und für das alltägliche Leben nötig sind. Sie umfassen konzeptuelle Fähigkeiten, z.B. das Beherrschen der Kulturtechniken, soziale Fähigkeiten, wie dem Aufbau und der Pflege von Beziehungen und praktische Fähigkeiten, beispielsweise der Selbstversorgung. Adaptives Verhalten spielt im Zuge der Novellierung der psychologisch-medizinischen Klassifikationen DSM-5 und ICD-11 eine zentrale Rolle bei der Diagnose einer intellektuellen Beeinträchtigung. Neben „Defizite[n] in intellektuellen Funktionen“ sind „Defizite in der Anpassungsfähigkeit“ (DSM-5, S. 43) gleichberechtige Diagnosekriterien.
Auch die aktuellen Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur schulischen Bildung, Beratung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen im sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung (2021) fordern die Diagnostik „adaptive[r] Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (S. 18) zur Erfassung des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs. Die adaptiven Fähigkeiten der betreffenden Schülerinnen und Schüler sollten gemäß der in den psychologisch-medizinischen Klassifikationen angelegten Kriterien im weit unterdurchschnittlichen Bereich angesiedelt sein. Die Forschungslage in deutschsprachigen Ländern ist hier noch unbefriedigend.
Das Forschungsprojekt Adaptive Kompetenzen bei geistiger Behinderung (AKo) verfolgt die Erhebung und Beschreibung der adaptiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schülern an Förderzentren mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Dazu wurden die adaptiven Kompetenzen in einem Querschnitt-Design mittels des Vineland-3 durch Lehrkräfte als Vollerhebung im Regierungsbezirk Niederbayern eingeschätzt (Frühjahr 2023). Ziel dieses Vorhabens ist die differenzierte Beschreibung des adaptiven Funktionsniveaus. Im Einzelbeitrag werden erste Ergebnisse der Auswertung vorgestellt, mit Fokus auf die Veränderung des Gesamtwerts Adaptiven Verhaltens über die Schullaufbahn hinweg.
Optimieren durch fördern? Ambivalenzen in der Verschränkung berufs-, schul- und sonderpädagogischer Logiken in Potenzialanalysen an Sekundarschulen
Reimann, Markus; Thielen, Prof. Dr. Marc
Leibniz Universität Hannover
Seit einigen Jahren startet die systematische Berufsorientierung an Sekundarschulen in nahezu allen Bundesländern mit sogenannten Potenzial- bzw. Kompetenzanalysen in Jahrgang 7 oder 8 an allgemeinbildenden Schulen. Die an Assessment-Center der Personalauswahl angelehnten Verfahren sollen einen alternativen Blick auf Jugendliche eröffnen und Potenziale jenseits schulischer Leistung sichtbar machen. Ein pro Schüler*in individuell hervorgebrachtes Kompetenzprofil soll als Ausgangpunkt der weiteren beruflichen Orientierung und deren pädagogischer Begleitung im schulischen Kontext fungieren. Die bildungspolitische Zielsetzung der Potenzial- bzw. Kompetenzanalysen geht mit Ambivalenzen einher, die auch für sonderpädagogische Förderung konstitutiv sind: Während die Verfahren einerseits von schulischer Leistungsbewertung abgegrenzt und, vergleichbar mit sonderpädagogischer Förderdiagnostik, als konsequent ressourcenorientiert skizziert werden, dienen sie zugleich dazu, potenzielle Defizite in der sogenannten Ausbildungsreife frühzeitig zu identifizieren, um sie mittels individueller Förderung zu beheben. Der auf einem aktuell laufenden DFG-Projekt fußende Beitrag beleuchtet auf Basis ethnografischer Analysen, wie das beschriebene Spannungsfeld der Potenzial- bzw. Kompetenzanalysen in der Praxis der Berufsorientierung an Einzelschulen zum Ausdruck kommt und pädagogisch bearbeitet wird. Hierzu wird das bildungspolitisch als bedeutsam erachtete Rückmeldegespräch in den Blick genommen, in dessen Verlauf ein individueller, mit Förderplänen vergleichbarer, Entwicklungsplan generiert wird. An exemplarischen Gesprächen werden spezifische Förderlogiken rekonstruiert, in denen Elemente von Lernentwicklungs- und Personalentwicklungsgesprächen miteinander verschmelzen.