Wer darf sprechen und wer wird gehört? Interdisziplinäre Perspektiven auf Sprachfähigkeit und Partizipation marginalisierter Gruppen
Chair(s): Schröter, Anne (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Lindmeier, Bettina (Leibniz Universität Hannover), Konz, Britta (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Diskutant*in(nen): Lindmeier, Bettina (Leibniz Universität Hannover)
Die Frage nach Partizipation im Sinne eines „historisch relative[n], mehrdimensionale[n], abgestufte[n] und dynamische[n] Konzeptes, welches handelnd in sozialen Beziehungen sowie Interaktionen und damit in der Gesamtheit gesellschaftlichen Handelns erreicht werden kann“ (Viermann & Meyer, 2022) verhandelt die Frage, wie Zugehörigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen hergestellt und erfahren wird und wie viel Ungleichheit eine Gesellschaft hierbei akzeptiert. Der Zusammenhang zwischen Marginalisierung und der Möglichkeit sprichwörtlich „mitzureden“ ist hinlänglich bekannt, so machte Spivak in ihrem Essay „Can the subaltern speak?“ (Spivak, 2008 [1988] S. 89), darauf aufmerksam, dass es stets die Anderen sind, die über marginalisierte Gruppen sprechen und hierbei ein spezifisches Vokabular verwenden und die mit der Behauptung, die unterdrückten Gruppen könnten für sich selbst sprechen, ihre eigene Machtposition zu verbergen suchten (Castro Varela, 2005). Wenngleich das Konzept der „Subalternität“ nicht immer analog auf alle marginalisierten Gruppen übertragen werden kann, so sollte doch die Frage nach Beteiligung und Gehör unter einer machtkritischen Perspektive gestellt werden.
Im geplanten interdisziplinären Symposium sollen unter diesem Fokus jeweils ein Blick auf die Kategorien Behinderung, Migration und Kindheit gerichtet und die Verwobenheit von Marginalisierung, Sprachfähigkeit und der Möglichkeit zur Partizipation nachzeichnen.
Beiträge des Symposiums
Behinderung und epistemische Ungerechtigkeit
Lindmeier, Christian
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Die Frage, wer sprechen darf, ist eng verbunden mit dem Diskurs über epistemische Ungerechtigkeit, konkretisiert in der Frage, „wem geglaubt wird und wem nicht, wer eine Stimme hat und wer nicht, wer verstanden wird und wer nicht und in welchem Zusammenhang Wissen und unser Vermögen, Wissen zu erlangen und zu Wissensressourcen beizutragen, zu sozialer Macht und Handlungsfähigkeit steht“ (Hänel 2023, 97). Neben den von Fricker (2007) und Dotson (2011, 2014) charakterisierten paradigmatischen Fällen von testimonialer und hermeneutischer Ungerechtigkeit ist in Bezug auf Krankheit bzw. Störung und Behinderung als weitere Form die „pathozentristische epistemische Ungerechtigkeit“ (Kidd & Carel 2016) zu reflektieren. Während pathozentristische epistemische Ungerechtigkeit eine Erklärung dafür bietet, inwieweit institutionelle Strukturen und Prozesse innerhalb des Gesundheits- und Behindertenbetreuungswesens epistemische Ungerechtigkeit hervorbringen, fokussiert pathozentrierte hermeneutische Ungerechtigkeit auf die zugrundeliegenden Verständnisse von Gesundheit und Krankheit resp. Nicht_Behinderung. Beide Formen sollen im Symposium exemplarisch am Neurodiversitätsparadigma (z.B. Walker 2021) erörtert und diskutiert werden. Das Pathologieparadigma, gegen das es sich wendet, gilt als ein bestimmtes theoretisches Verständnis von Störung bzw. Behinderung (z.B. bei Autismus), das selbst epistemisch ungerecht ist und so zu der ungerechten Situation beiträgt (Lindmeier 2024).
Un/doing Migration in Sprechakten
Rohde-Abuba, Caterina
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Im Anschluss an die reflexive Perspektive der Flucht- und Migrationsforschung (Amelina, 2021) beschäftigt sich dieser Beitrag mit dem Performativitätskonzept von Bourdieu (1991) und Butler (1990) zum Verständnis der sozialen Konstruktion von Migrations- und Fluchtidentitäten. Nach Bourdieu ergibt sich die Positionierung von Menschen in einer Ungleichheitsstruktur – und damit verbundene Sprechmöglichkeiten – aus Prozessen des naming, die Menschen in Positionen verweisen und diese zugleich mit bestimmten Verhaltenserwartungen belegen. Sprechakte können diese Ungleichheitslagen äußern und repräsentieren (doing migration/refugeeness). Gerade in beruflichen, politischen, aktivistischen oder wissenschaftlichen Kontexten muss hierbei aber die Problematik der Expertisierung (Molitor/Zimenkova 2019) beachtet werden, die als selbstgewählte, agentische Einnahme einer Sprechenden-Position verstanden werden kann, aber auch das Risiko einer ungewollten Verantwortungsübertragung birgt. Neben der Reproduktion von Ungleichheitslagen beinhalten performative Sprechakte allerdings auch Möglichkeiten der Transformation und Subversion sozialer Ungleichheit (undoing migration/refugeeness).
Kinder als Ko-Konstrukteur*innen in partizipativer Forschung – Reflexion von Repräsentation und Deutungsmacht
Konz, Britta1, Schröter, Anne2
1Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ausgehend von einer 2024 durchgeführten partizipativ angelegten qualitativ-empirischen Studie über Kindheit werden in diesem Beitrag Fragen von Repräsentation und Machtverhältnissen in der empirischen Forschung zu und mit Kindern gestellt. Bislang wurde die Dimension Adultismus und Rahmenbedingungen von generationaler Ordnung nicht tief genug in ihren Implikationen für Methodologie und Forschungspraxis reflektiert. Die Kategorie der „Generationalen Ordnung“ (Eckermann & Heinzel, 2018, S. 259) verweist auf Differenzen, die entlang von Alterskategorien hervorgebracht werden (Kind/Jugendliche/Erwachsene) und sich in Wissensbestände, Institutionen, materielle Erzeugnisse und Praktiken einschreiben. Der Beitrag stellt die Frage, wie sich Forschende hier mit ihrer Machtposition kritisch reflektieren und Repräsentation von Kinderperspektiven adressieren können.