14:00 - 14:35Rechtschreiberwerb in der digitalen Welt – disziplinübergreifende Erforschung grundlegender Kompetenzen
Richard Böhme, Meike Munser-Kiefer, Sven Hilbert
Universität Regensburg, Deutschland
Aufgrund der großen Streuung der Vorkenntnisse (Martschinke & Kammermeyer, 2003) stellt insbesondere der Schriftspracherwerb Grundschullehrkräfte häufig vor Herausforderungen. Indizien, dass diese nur bedingt bewältigt werden, finden sich beispielsweise in der IQB-Studie (Stanat et al., 2022). Da Rechtschreibentwicklungsverläufe interindividuell vergleichbar sind (Klicpera et al., 2020), kann davon ausgegangen werden, dass sich Unterschiede v.a. in den Lernprozessen finden. Es gibt jedoch nur wenige Studien, die die konkreten Prozesse untersuchen – nicht zuletzt, weil dies bislang, insbesondere im Anfangsunterricht (Lotz, 2016), aufwändig war. Inzwischen bieten digitale Medien die Möglichkeit, Prozesse engmaschig mit geringerem Aufwand mittels Log-Daten zu protokollieren (Klose et al., 2022). Allerdings scheinen digitale Medien und Scaffolds den Schreibprozess zu beeinflussen (Knopf, 2022), sodass medienspezifische Fehler auftreten und sich das Korrekturverhalten ändert (Böhme, i.V.).
Im Beitrag des transdisziplinären Projekts L@digt.ED wird das prozessbezogene digitale Rechtschreibverhalten von Schüler*innen mit hoher (ShR) und niedriger Rechtschreibkompetenz (SnR) im Anfangsunterricht mittels Log-Daten verglichen, um Hinweise auf Unterschiede im Lernprozess zu finden. Diesen disziplinübergreifenden Forschungsfragen wird nachgegangen:
1. Wie setzen sich die Fehler bei ShR und SnR zusammen?
2. Inwiefern unterscheidet sich das Korrekturverhalten und die Nutzung von Scaffolds von ShR und SnR?
3. Inwiefern unterscheiden sich ShR und SnR in ihrem (meta-)kognitiven Rechtschreibwissen?
Untersuchungsinstrument. Zur Erhebung wurde die Rechtschreib-App talidu entwickelt, mit der Schüler*innen Wörter in bis zu drei Versuchen verschrifteten. Als Scaffolds bekamen die Schüler*innen eine Anzeige der letzten Eingabe, eine Rückmeldung zur korrekten bzw. fehlerhaften Verschriftung (Graphem und Position) sowie die Möglichkeit, sich das Wort einzeln und in einem kontextualisierenden Satz anzuhören.
Stichprobe und Daten. Die App wurde über 6 Wochen im Anfangsunterricht eingesetzt (N = 685 Schüler*innen an 11 bayerischen Schulen). Es wurden Eingabe- und Löschvorgänge sowie Audioabrufe mit Zeitstempeln geloggt. Aus der Gesamtstichprobe wurde das oberste und unterste Dezil der Schüler*innen (bezogen auf die Rechtschreibleistung) selektiert (n = 16) und hinsichtlich der oben genannten Forschungsfragen analysiert.
Methode. Die Datenerhebung kann als indirekte non-reaktive Beobachtung charakterisiert werden (Döring & Bortz, 2016). Bei der Analyse handelt es sich um eine quantitative Analyse qualitativer Daten (Bernard & Ryan, 2010), die sich auf die Ereignis-Teil-Methode stützt (Krohne & Hock, 2015) und dabei Prozesse zwischen und innerhalb von Versuchen berücksichtigt.
Ergebnisse. Die einzelnen Versuche weisen unterschiedlichen Informationsgehalt auf: Versuch 1 zeigt die grundsätzliche Fehlerzusammensetzung, die sich in beiden Gruppen qualitativ ähnelt und sich nur quantitativ unterscheidet. Versuch 2 gibt Einsichten in den Problemlöseprozess. Hier gehen SnR eher unsystematisch mit Trial-and-Error-Strategien beim Hypothesentesten vor, zeigen häufiger Vermeidungsstrategien und nutzen die Lerngelegenheiten weniger. Demgegenüber korrigieren ShR die relevanten Lupenstellen häufiger, erfolgreicher und nutzen öfter das Satzaudio an sinnvollen Stellen. Versuch 3 gewährt Einblicke, welche Rechtschreibprinzipien noch nicht in der Zone der nächsten Entwicklung liegen. Während SnR vielfach einen Drittversuch benötigen, ist dies bei ShR kaum der Fall.
Die talidu-App macht den Lernprozess anders als klassische Paper-Pencil-Tests sichtbar. Im Vortrag wird diskutiert, welche Implikationen und Konsequenzen dies für die Forschung und Praxis hat. Dabei werden auch medienspezifische Effekte, die positiv (z.B. Scaffolds) wie negativ sein können (z.B. Tastaturprobleme), mit den vorgefundenen Strategien sowie dem sichtbar gewordenen (meta-)kognitiven Rechtschreibwissen in Verbindung gebracht.
14:35 - 15:10Sprachintegrierte Förderung des Emotionswissens: Eine Interventionsstudie in Vorklassen
Christin Tekaath1, Irene Corvacho del Toro1, Miriam Hansen2, Mirjam Naomi Menz2, Arianne Lydia Andreas2
1Universität Siegen; 2Goethe-Universität Frankfurt
Nach den aktuellen Ergebnissen des IQB-Bildungstrends verfehlen ungefähr ein Fünftel der Viertklässler:innen die Mindeststandards im Bereich Sprache (Rank et al., 2023). Sprachliche Kompetenzen stellen jedoch eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilhabe an Bildungsprozessen dar (Gabler et al., 2020). Zudem beeinflusst die Sprache das Emotionswissen, indem die sprachliche Benennung emotionaler Zustände zur Organisation und Reflexion eigener emotionaler Erfahrungen beiträgt (von Salisch & Wübker, 2021). Der Ausbau des Emotionswissens kann wiederum zu einer emotionalen Balance führen, wodurch das schulische Lernen erleichtert wird (Blair & Dennis, 2010).
Neben der Kita und der Grundschule gibt es in Hessen sogenannte Vorklassen, welche von Kindern besucht werden, die aufgrund verschiedener Bedarfe von der Einschulung zurückgestellt worden sind. Oft betriff dies, eine für den Schultritt noch nicht hinreichend entwickelte Kompetenz im Bereich der deutschen Sprache. Trotz des Bestehens von hessischen Vorklassen seit 1953 gibt es bisher kaum bis keine Forschung über die Lernentwicklung dieser Kinder.
Das interdisziplinäre Teilforschungsprojekt SEM zielt darauf ab, einen Beitrag zum Schließen dieser Forschungslücke zu leisten, indem die sprachlichen und emotionsbezogenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler untersucht werden und eine sprachintegrierte Emotionsförderung implementiert und evaluiert wird. Dadurch soll der Fragestellung „Welche Wirkung zeigt die sprachintegrierte Emotionsförderung auf die sprachlichen und emotionsbezogenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler?“ nachgegangen werden.
Die SEM-Studie (Sprache-Emotion-Mathematik, BMBF) zieht ein Pre-Post-Follow-up-Design mit einer Interventions- und einer Wartekontrollgruppe mit alternativem Treatment (EG 1: Emotion, EG 2: Mathematik) heran. An der Studie nehmen 17 hessische Vorklassen teil. Die sprachlichen und emotionsbezogenen Kompetenzen der Kinder werden an drei Messzeitpunkten mit dem standardisierten Sprachstandserhebungstests (SET 5-10) (Petermann, 2018) und dem adaptiven Test des Emotionswissens (ATEM 3-9) (Voltmer & von Salisch, 2021) erhoben.
In die Analyse des Emotionswissens (Pre- und Posttest) konnten 164 Kinder im Alter zwischen sechs bis sieben Jahren einbezogen werden. Mittels IBM SPSS wurde eine gemischte ANOVA durchgeführt, wobei die Interventionsgruppe (EG1: Mathematik oder EG2: Emotion) als intersubjektiver Faktor und der Messzeitpunkt als innersubjektiver Faktor diente. Zum ersten Messzeitpunkt lag ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Interventionsgruppen vor, F(1, 162) = 4,708, p = .031 (Mathematik M = 12,95, SD = 6,224; Emotion M = 10,94, SD = 5,363), zum zweiten Messzeitpunkt nicht mehr, F(1, 162) = .093, p = .761 (Mathematik M = 14,86, SD = 5,363; Emotion M = 15,15, SD = 6,200). Es konnte ein signifikanter Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Messzeitpunkt in beiden Interventionsgruppen (Mathematik F(1,91) = 11,556, p = .001, partial η² = .113; Emotion F(1, 71) = 40,132, p < .001, partial η² = .361) festgestellt werden. Beide Gruppen erlangten demnach Emotionswissen.
Hinsichtlich der sprachlichen Fähigkeiten konnten 138 Kinder in die Analyse einbezogen werden. Zum Zeitpunkt der ersten Messung lagen die sprachlichen Kompetenzen der Kinder weit unter dem Durchschnitt (T-Wert: M = 34,12, SD = 7,94, SET 5-10). Eine detaillierte Analyse der Daten ist noch ausstehend.
Trotz der bestehenden Unterschiede in den Ausgangswerten hinsichtlich des Emotionswissens scheinen die Kinder, die an der Interventionsgruppe teilnahmen, im Vergleich zur Wartekontrollgruppe ein höheres Emotionswissen zu erzielen. Eine Analyse der ersten beiden Messzeitpunkte hinsichtlich der sprachlichen und emotionsbezogenen Kompetenzen vergleichbarer Untergruppen ist noch ausstehend. Diese und weitere Ergebnisse sollen in einem Einzelbeitrag präsentiert und diskutiert werden.
15:10 - 15:40Die Uni-Klasse Würzburg als Erprobungsraum für Tablet-gestützten Grundschulunterricht – Raumkonzept, Seminarangebot, wissenschaftliche Begleitung
Katharina Kindermann, Larissa Ade, Caroline Theurer, Sanna Pohlmann-Rother
Universität Würzburg, Deutschland
Die Uni-Klasse als Raum für die medienpädagogische Professionalisierung angehender Lehrkräfte:
Unter dem Begriff Uni-Klasse werden Klassenräume subsummiert, in denen Unterricht mit Hilfe von Videotechnik erfasst und in einen anderen Raum übertragen werden kann. Dadurch wird eine Beobachtung des Unterrichts möglich, ohne auf das Geschehen im Klassenraum einzuwirken (Nitsche 2014). Das Raumkonzept eröffnet angehenden Lehrkräften bereits in der universitären Qualifizierungsphase die Möglichkeit, im Rahmen von Seminaren eigene und innovative Unterrichtsentwürfe in der Praxis zu erproben, anderen Studierenden live bei unterrichtspraktischen Versuchen zuzusehen und diese anschließend gemeinsam am Videomaterial zu reflektieren. Eine besondere Chance von Seminaren in der Uni-Klasse liegt darin, unterrichtliches Handeln nicht nur theoretisch zu durchdenken, sondern auch praktisch zu erproben. Der Einsatz digitaler Medien wird somit in einen direkten Zusammenhang mit unterrichtlichem Handeln gestellt, was als bedeutsam für medienpädagogische Professionalisierungsprozesse betrachtet wird (Porsch, Reintjes, Görich & Paulus 2021).
Seminarangebot für Tablet-gestützten Grundschulunterricht im Schnittfeld von Digitalisierung und BNE:
Ein Seminarkonzept des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg fokussiert die eigenständige Planung, Durchführung und Reflexion Tablet-gestützten Unterrichts in einer solchen Uni-Klasse durch die Studierenden. Zu den Interaktionsmerkmalen des Tablets als digitales Endgerät zählen seine zahlreichen Darstellungsformen sowie verschiedene Steuerungsarten (z. B. Touchscreen, Pen). Die Tatsache, dass mehrere Hardware-Komponenten (z. B. Foto- und Videokamera, Tastatur) bereits im Gerät selbst enthalten sind, die Nutzung über Application-Software und nicht zuletzt der unkomplizierte mobile Einsatz führen dazu, dass dem Gerät häufig eine besondere Eignung für den Unterricht in der Grundschule zugeschrieben wird (Bastian & Kolb 2020). Im Seminar entwickeln die angehenden Lehrkräfte in Kleingruppen eine mehrstündige Unterrichtsreihe zum Thema „Die Reise der Kakaobohne“ und dazu passende Aufgabenformate für das Tablet (Ade, Kindermann, Theurer & Pohlmann-Rother i. E). Diesen Unterricht führen sie in der Uni-Klasse mit Drittklässler:innen durch, die übrigen Seminarteilnehmer:innen beobachten den Unterricht via Livestream in einem Nebenraum.
Wissenschaftliche Begleitung des aktuellen Seminarkonzepts:
Es stellt sich die Frage, inwieweit dieses stark praxisorientierte Seminarangebot einen Beitrag zur medienpädagogischen Professionalisierung angehender Grundschullehrkräfte leisten kann. Deshalb wird das Seminar in Anlehnung an das Modell zum Fortbildungserfolg nach Kirkpatrick (1998) wissenschaftlich begleitet. Angeleitet durch offen formulierte Impulsfragen reflektieren die Seminarteilnehmer:innen schriftlich, 1) wie sie die Planung und Durchführung des Tablet-gestützten Unterrichts erleben, 2) welchen Lernfortschritt sie dadurch für sich selbst feststellen und 3) ob sie in ihrer späteren Unterrichtspraxis Tablet-gestützten Unterricht umsetzen möchten. Die Auswertung erfolgt mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018). Aktuell liegen die Daten von N = 54 Studierenden aus drei Semestern vor. Der geplante Vortrag fokussiert, welchen Lernfortschritt die angehenden Lehrkräfte durch die Durchführung des von ihnen entwickelten digital gestützten Unterrichts in der Uni-Klasse für sich selbst ausmachen. In den Rückmeldungen der Studierenden lassen sich drei Bezugsfelder identifizieren: Lernfortschritt mit Blick auf das Potenzial Tablet-gestützten Unterrichts für die Schüler:innen (z. B. motivationale Effekte), mit Blick auf sich selbst (z. B. Bedeutung der Unterrichtsvorbereitung) und nicht zuletzt in Bezug auf strukturelle Merkmale von Unterricht (z. B. Veränderung der Arbeitsläufe durch das Tablet). Diese Ergebnisse möchten wir kritisch und unter der Perspektive der Weiterentwicklung medienpädagogischer Professionalisierungsangebote im Rahmen der Uni-Klasse diskutieren.
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