17:15 - 17:50Schulische Transformation(en) in der Reflexion – Professionalisierung in der Lehrer:innenbildung auf der Basis erinnerter Erfahrungen von Sachunterrichtslehrer:innen an die Zeit vor und nach 1989/90
Sandra Tänzer, Isabell Tucholka, Isabelle Lamperti
Universität Erfurt, Deutschland
Grundschullehrkräfte stehen, das unterstreicht auch der Call zur diesjährigen Jahrestagung der DGfE-Kommission Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe, „vielfältigen Veränderungsprozessen wie Digitalisierung, Inklusion und Klimawandel/Nachhaltigkeit und Herausforderungen wie Pandemie, Flucht und Krieg gegenüber“, die Gewissheiten in der Gestaltung des Berufsalltags infrage stellen. Dabei ist die Infragestellung von Gewissheiten in Schule und Unterricht ein zeitübergreifendes Phänomen (Budde 2019), mit dem Lehrer:innen umgehen müssen und wofür sie entsprechende professionelle Kompetenzen benötigen. Das im Vortrag vorgestellte Forschungsprojekt setzt an dieser Stelle an. Es fragt danach, wie ein Aus- und Fortbildungsangebot für Sachunterrichtslehrer:innen gestaltet werden kann, das berufsbiographische Reflexionen und Selbstverortungen unter Bedingungen des Wandels anregt und Möglichkeiten des individuellen Umgangs mit Transformationen in Schule und Unterricht unter Einbezug des jeweiligen Erfahrungsraums der teilnehmenden Lehrkräfte und deren individueller Orientierungsbedürfnisse auslotet. Methodologisch folgt das Forschungs- und Entwicklungsprojekt dem Design-Based Research-Ansatz zur Entwicklung von Innovationen im Bildungskontext (Reinmann 2017) und verknüpft verschiedene Theorieansätze und empirische Befunde zur Konzeptentwicklung (Biographiearbeit, Arbeit mit Vignetten und Anekdoten) und Evaluation (teilnehmende Beobachtungen, Gruppendiskussionen, Dokumentenanalysen).
Als Ausgangspunkt und inhaltlicher Impuls fungieren erinnerte Erfahrungen von Sachunterrichtslehrer:innen an die Zeit der Transformation vom Heimatkundeunterricht der DDR zum Sachunterricht in Thüringen, die berufsbiographisch und fachdidaktisch rekonstruiert wurden (Fischer & Tänzer 2023). Es sind Befunde, die eine Forschungslücke in der fachhistorischen Professions- und Unterrichtsforschung des Sachunterrichts und seiner Didaktik schließen und deren Sichtbarmachung und Diskussion im wissenschaftlichen Kontext insofern auch außerhalb der hier skizzierten professionstheoretischen Verortung von hoher Bedeutung für bildungshistorisch ausgerichtete Diskurse im Fach ist. Denn wenngleich zahlreiche Studien über ostdeutsche Lehrer:innen im Transformationsprozess vorliegen, so mangelt es an empirischen Befunden darüber, wie Fachlehrer:innen aus dem Heimatkunde-/Sachunterricht mit herausfordernden Situationen umgegangen sind, die insbesondere – so unsere Befunde - eine veränderte Fachlichkeit, Handlungsdruck zwischen Freiheit und Verantwortung sowie Abwertungserfahrungen betrafen und zeitübergreifende Spannungsverhältnisse markieren. Im Kontext des hier skizzierten Forschungs- und Entwicklungsvorhabens soll die Wahrnehmung und Deutung eines solchen bildungshistorischen Grundbeispiels – der Blick in die Vergangenheit - Reflexionen über und Erwartungen an die eigene Gegenwart und Zukunft anregen. Dazu werden gegenwärtig die erinnerten Transformationserfahrungen der Sachunterrichtslehrkräfte in Anlehnung an die Anekdotenforschung (Krenn 2020) zu verdichteten Narrationen („Geschichten“) umgewandelt, die in ihrer Wirkkraft die Teilnehmer:innen der Fortbildung in die erinnerte Situation ‚hineinziehen‘ / affizieren sollen. Der Vortrag stellt erste konzeptionelle Überlegungen und das methodische Design des Projekts vor und legt einen besonderen Schwerpunkt auf Herausforderungen der Konstruktion der verdichteten Narrationen und deren Potential für Forschung und Reflexion in der Lehrkräftebildung.
17:50 - 18:25Professionalisierung im Praktikum mit dem Fokus auf pädagogischen und fachdidaktischen Aspekten
Silvia Pichler, Anne Frey, Katharine Rümmele
Pädagogische Hochschule Vorarlberg, Österreich
Im zweiten und dritten Semester absolvieren Primarstufenstudierende an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg jeweils ein Tagespraktikum. Dabei sind Studierende über ein Semester hinweg einmal wöchentlich in einer Klasse eingesetzt und erhalten vor Ort ein Mentoring durch eine Lehrperson. Parallel dazu werden die Studierenden von Dozierenden der pädagogischen Hochschule betreut und besuchen zudem ein Begleitseminar, das als Professionelle Lerngemeinschaft (PLG) konzipiert ist und sich an deren Bestimmungsmerkmalen orientiert: reflektierender Dialog, De-Privatisierung der Unterrichtspraxis, Fokus auf Lernen statt auf Lehren, sowie Zusammenarbeit und das Festlegen gemeinsamer, handlungsleitender Ziele (Rolff, 2015; Vescio & Adams, 2015). Ausgehend von ihren Erfahrungen in der Praxis identifizieren die Studierenden im Rahmen der PLG individuelle und gemeinsame Entwicklungsbereiche, zu denen sie in Aktionsplänen Ziele und Maßnahmen formulieren, die sie dann in der Praxis umsetzen und anschließend reflektieren.
Damit werden subjektiv als bedeutsam wahrgenommene Herausforderungen (Entwicklungsaufgaben) in den Bereichen der Fachdidaktik und Pädagogik fokussiert und als persönliche Ziele mit Maßnahmen bearbeitet und während des Praktikums umgesetzt. Hericks (2006) definiert Entwicklungsaufgaben als „gesellschaftliche Anforderungen an Menschen in je spezifischen Lebenssituationen, die individuell als Aufgaben eigener Entwicklung gedeutet werden können. Entwicklungsaufgaben sind unhintergehbar, d.h. sie müssen wahrgenommen und bearbeitet werden, wenn es zu einer Progression von Kompetenz und zur Stabilisierung von Identität kommen soll.“ (ebd., S. 60). Im Berufseinstieg von Lehrpersonen ist das Modell der Entwicklungsaufgaben (Rollenfindung, Vermittlung, Klassenführung und Kooperation) bereits etabliert (Hericks 2006; Keller-Schneider 2020; Keller-Schneider und Hericks 2014). Leineweber et al. (2021) identifizieren für die Praxisphasen im Studium fünf Entwicklungsaufgaben: Entwicklung eines beruflichen Selbstverständnisses, Adressatenbezogene Vermittlung, Anerkennende Klassenführung, Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteur*innen, Sich in Ausbildung befinden. Diese unterscheiden sich von den Entwicklungsaufgaben im Berufseinstieg, da sich Studierende in der Rolle als Lehrer*in mit vielfältigen Aufgaben ausprobieren und durch die Rahmung (zeitlich Begrenzung, Bewertungssituation und Ansprüche der Ausbildungslehrperson und Betreuungslehrperson der PH) in einer spezifischen Situation befinden.
In der vorliegenden Studie werden Aktionspläne von zwei Studierendenjahrgängen (n=50) inhaltsanalytisch entlang der Entwicklungsaufgaben (Leineweber et al., 2021) ausgewertet. Darüber hinaus werden grundschulpädagogische und fachdidaktische Aspekte gezielt in den Blick genommen. Erste Ergebnisse zeigen, dass eher grundschulpädagogische Themen wie Klassenführung, Selbstsicherheit oder verständliche Erklärungen abgeben als Entwicklungsaufgaben wahrgenommen und bearbeitet werden. Aufbauend auf den Ergebnissen von Theurl et al. (2023) zeigen die Auswertungen einen für die Studierenden wahrnehmbaren Kompetenzzuwachs. Ziel der Forschung ist es, hochschuldidaktische Möglichkeiten aufzuzeigen, die den Kompetenzerwerb der Studierenden in Praktika gezielter fördern und den Studierenden ein kollaboratives Werkzeug zum dynamischen Umgang mit Herausforderungen im Berufsleben an die Hand geben. Weiterhin können vor dem Hintergrund des Tagungsthemas Möglichkeiten für Bezüge von Grundschulpädagogik und Fachdidaktik in der Grundschulbildung diskutiert werden.
18:25 - 18:55Interdisziplinäres, fachdidaktisches Rahmenmodell für Unterrichtsentwicklung in der Ausbildung von Lehrpersonen
Katharina Kalcsics, Ursula Aebersold
Pädagogische Hochschule Bern, Schweiz
Am Institut Primarstufe der PHBern wurde von verschiedenen Fachdidaktiken gemeinsam ein Rahmenmodell für Unterrichtsentwicklung (RaMUE) entwickelt, das auf der aktuellen empirischen Lehr-Lernforschung basiert. Es wird im Studium von allen Fachdidaktiken eingesetzt, denn ein zentrales Element des Curriculums ist die enge Verzahnung der fachdidaktischen Module mit den berufspraktischen Studien und den Praktika.
Da die konkrete Planung von Unterricht fach- und sogar lerngegenstandspezifisch erfolgt, war es das Ziel, ein Modell für die Lehrerbildung zu entwickeln, das sowohl den generalistischen Anforderungen der Primarstufe als auch den fachspezifischen Aspekten der verschiedenen Fachdidaktiken gerecht wird. In die Arbeit wurden bestehende Planungsdokumente der beteiligten Fachdidaktiken sowie Erkenntnisse aus aktuellen Arbeiten zur Unterrichtsqualität (z.B. Praetorius et al. 2020; Helmke 2021) und zu Fragen des kompetenzorientierten Fachunterrichts (Adamina 2020) einbezogen. Das Ergebnis ist ein Rahmenmodell mit den Phasen KLÄREN, ENTSCHEIDEN, ENTWICKLEN, RESÜMIEREN, REALISIEREN und REFLEKTIEREN. Dieses Modell führt zu Grobplanungen für fachspezifische Lernarrangements. Es stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen Fachdidaktiken und den berufspraktischen Studien dar. Dabei ist es dezidiert ein Ausbildungsmodell und unterstützt die systematische Integration fachdidaktischer Theorien und Modelle.
An der Entwicklung waren rund 70 Dozierende aus verschiedenen Fachbereichen beteiligt. Aus einer Forschungs- und Entwicklungsperspektive interessierte, welche Anforderungen an ein Modell zur Unterrichtsentwicklung in den beteiligten Fachdidaktiken bestehen und welche Unterschiede sich dabei zeigen. Dazu wurden die Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge aus dem Entwicklungsprozess entlang der Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden systematisch ausgewertet.
Neben dem Modell selbst liegen nur Ergebnisse vor, die aufzeigen, welche unterschiedlichen Ansprüche an ein multidisziplinäres Planungsmodell von den verschiedenen Fachdidaktiken herangetragen werden. Es zeigte sich schnell, dass generische Modelle von Unterrichtsqualität eine sehr gute Ausgangsbasis sind, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten im fachspezifischen Unterricht über die Fächer hinweg zu identifizieren. Als Herausforderung erwies sich, dass häufig verwendete Begriffe wie «Lerngegenstand» oder «Lernbegleitung» sehr unterschiedlich verstanden werden können und sich dahinter konzeptionelle Unterschiede verbergen. Auch die Arbeit mit dem Deutschschweizer Lehrplan (D-EDK, 2016) führt zu unterschiedlichen Anforderungen an die Modelle der Unterrichtsplanung. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Kompetenzen der Fächer, obwohl es sich um den gleichen Lehrplan handelt, sehr unterschiedlich konzipiert und dargestellt sind. Das bedeutet, dass die Bearbeitung bzw. Weiterentwicklung im Planungsprozess nicht von einem Fach auf ein anderes übertragen werden kann. Dies hängt auch mit der Verfügbarkeit und Vielfalt von Lehr- und Lernmaterialien in den verschiedenen Fächern zusammen. Während es Fächer mit sehr strukturierten Lehrmitteln gibt, die auch einen großen Unterstützungscharakter für die Lehrpersonen bieten, kann in anderen Fächern kaum auf standardisierte und qualitativ hochwertige Lehrmittel zurückgegriffen werden.
Der Beitrag skizziert das Modell und den von den Fachdidaktiken initiierten und getragenen interdisziplinären Entwicklungsprozess. Im Zentrum steht die Frage nach den Gelingensbedingungen und Grenzen eines Rahmenmodells für Unterrichtsentwicklung, das sowohl generischen Anforderungen gerecht wird als auch die fachlichen Unterschiede ernst nimmt.
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