Wissen in Bewegung. Wissenstransfer, Wissenschaftsverstehen und Weiterentwicklung beruflicher Ansprüche als Aufgabe der Erwachsenenbildung
Chair(s): Julia Schütz (FernUniversität in Hagen, Deutschland), Andreas Martin (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung & FernUniversität in Hagen)
Diskutant*in(nen): Tim Stanik (Universität Münster)
Betrachtet man die Erwachsenenbildung in ihrer historischen Genese, ließe sie sich als eine Art „geistige Mutter“ im Wissenstransfer bezeichnen. So ist die moderne Volksaufklärung um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert im Kern als kommunikative Handlungspraxis zu begreifen, die sich im ehrenamtlichen Engagement in Lesegesellschaften ausbildet (vgl. Tietgens 2011) und noch heute „eine Institution [darstellt], die das vorhandene Wissen in der gesellschaftlichen Kommunikation erhält“ (Kade 2005, S. 499). Als Auftrag der Erwachsenenbildung gilt es die gesellschaftliche Teilhabe aller Gesellschaftsmitglieder zu fördern. Dies erfordert die Förderung des Verstehens gesellschaftlicher Zusammenhänge.
Im Symposium wird die Rolle der Erwachsenenbildung im Wissenstransfer sowie in der Vermittlung einer wissenschaftlichen Grundbildung diskutiert. Das Lernen der Berufspraxis selbst, die angesichts gesellschaftlicher Wandlungsprozesse und der damit verbundenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung veränderte Ansprüche an (Handlungs-)Wissen und berufliche Aufgabenstrukturen beschreibt, wird thematisiert.
Beiträge des Symposiums
Zum Einfluss von Forschung-Praxis-Kollaborationen auf die Nutzung von Forschungswissen in der Praxis
Andreas Martin1, Hadjar Ghadiri-Mohajerzad2 1Deutsches Institut für Erwachesenenbildung & Fernuni Hagen, 2Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Neben Theorieansätzen des Boundary-Learning, die in Analysen von Research-Practice-Partnerships (RPPs) eingesetzt werden (z.B. Hartmann & Decristan, 2018), zeigen Studien zu kollaborativen Forschungspartnerschaften, dass Lehrkräfte in solchen ko-konstruktiven Prozessen lernen, Forschung direkt auf ihre Praxis anzuwenden (instrumentelle Nutzung), ihr Verständnis zu erweitern (konzeptionelle Nutzung) oder Forschungsmethoden zur Verbesserung von Bildungsprozessen zu nutzen (Prozessnutzung) (Sjölund et al., 2022). In Anlehnung an Sjölund et al. (2022) nehmen wir an, dass in (Weiter-)Bildungseinrichtungen, in denen Forschungs-Praxis-Kollaborationen durchgeführt wurden, das Personal in der Regel Fähigkeiten zur Nutzung von Forschung erlernt und somit verstärkt empirische Forschungsarbeiten nutzt. Zur Überprüfung unserer Hypothese nutzen wir den wb-monitor aus dem Jahr 2018 mit N=1267, der eine repräsentative Datengrundlage zu Weiterbildungseinrichtungen in Deutschland bietet. Erste Ergebnisse basieren auf einem Propensity-Score Matching und bestätigen den erwarteten Zusammenhang (b=.21; p=.004).
Bibliografie
Hartmann, U., & Decristan, J. (2018). Brokering activities and learning mechanisms at the boundary of educational research and school practice. Teaching and teacher education, 74, 114-124.
Sjölund, S., Lindvall, J., Larsson, M., & Ryve, A. (2022). Mapping roles in research-practice partnerships–a systematic literature review. Educational Review, 75(7), 1490-1518.
Krise als Lernanlass – Medienbezogene Professionalität als Aufgabe einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung
Franziska Bellinger Universität zu Köln
Als vierte Säule des Bildungssystems kommt der Erwachsenenbildung die Aufgabe zu, den gesellschaftlichen Wandel professionell zu be- und verarbeiten (vgl. Nuissl 2018, S. 500). Die Corona-Pandemie stellte die Erwachsenenbildung vor Herausforderungen: Schließungen, wechselnde Hygieneverordnungen und deren Umsetzung hatten direkte Auswirkungen auf die Bildungsarbeit und wurden von Volkshochschulen (VHS) als existenzielle Bedrohung wahrgenommen (Echarti et al. 2022). Aus historischer Sicht waren die VHS immer wieder mit Krisen konfrontiert, die als Lernanlässe genutzt wurden. So wurde auch die Corona-Krise als Chance für Lernen und Innovation begriffen (Ehses et al. 2021). Der Vortrag nimmt Bezug auf ein Forschungsprojekt, in dem 18 VHS-Leiter:innen aus SH zu ihren Krisenerfahrungen narrativ interviewt wurden. Dabei werden Bewältigungsstrategien fokussiert und bzgl. der Bedeutung medienbezogener Professionalität als Aufgabe einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung diskutiert. Es wird gezeigt, dass digitale Praktiken zur Krisenbewältigung etabliert wurden, indes zur Bewältigung der digitalen Transformation (Widany et al. 2022) noch medienbezogene Professionalisierungsbedarfe vorherrschen.
Bibliografie
Echarti, N., Huntemann, H., Lux, L., Reichart, E. (2022). Volkshochschul-Statistik 59. Folge, Berichtsjahr 2020. Bielefeld: wbv.
Ehses, C., Käpplinger, B., Denker, T., Hohmann, E. & Koehnen, C. (2021). Volkshochschulen können Krise! In: Hessische Blätter für Volksbildung (HVB), 2021 (2), 68–75. 10.3278/HBV2102W008.
Nuissl, E. (2018). Ordnungsgrundsätze der Erwachsenenbildung in Deutschland. In: R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (6., überarbeitete und aktualisierte Auflage, S. 499–520). Wiesbaden: Springer VS.
Widany, S., Reichart, E., Echarti, N. & Hoenig, K. (2022). Das digitale VHS-Angebot im ersten Lockdown der Corona-Pandemie. Analysen zu Veranstaltungsformaten und Programmstrukturen an Volkshochschulen. In: Zeitschrift für Weiterbildungsforschung 45, 391–416.
Wissenstransfer im Wandel – Neues Arbeiten, Lernen und veränderte Ansprüche in der Erwachsenenbildung
Uwe Elsholz, Stefan Klusemann, Julia Schütz FernUniversität in Hagen
Im Beitrag werden Ergebnisse aus dem Projekt „Lernen und Arbeiten in der digitalen Transformation im Bildungssektor – New Work und New Learning von Beschäftigten in Berufsbildung, Erwachsenenbildung und Hochschulbildung“ hinsichtlich der Aufgabe des Wissenstransfers fokussiert auf die Erwachsenenbildung diskutiert. Das Projekt verfolgt die Fragestellung, inwiefern sich Strukturen und Inhalte des Arbeitens und Lernens für das Bildungspersonal in der digitalen Transformation verändern. Impulsgebend für diese Fragestellung sind die populär zirkulierenden Diskurse um New Work und agiles Arbeiten (Laloux 2015). Die Datengrundlage bilden Expert:innen-Interviews sowie Gruppendiskussionen, die qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Die Ergebnisse verweisen darauf, dass sich das Bildungspersonal in einer Art Suchbewegung befindet, die sich in Fragen abbilden lässt, die im Wissenstransfer bedeutsam sind: Welche Formate & Bildungsangebote bei zunehmend komplexen Kommunikationskanälen sind und bleiben sinnvoll? Wie gelingt Wissenstransfer in Ambiguität? Welches Wissen und welche Fähigkeiten benötigen die Tätigen, um eben diese Aufgaben bearbeiten zu können?
Bibliografie
Laloux, Frédéric: Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München 2015
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